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AFRIKA/045: Sierra Leone - Ohne Geld und ohne Land (FoodFirst)


FoodFirst Ausgabe 2/2016
FIAN Deutschland - Mitgliedermagazin. Für das Menschenrecht auf Nahrung

Sierra Leone: Ohne Geld und ohne Land


Anfang April traten Ralf Leonhard und Brigitte Reisenberger von FIAN Österreich eine Recherchereise nach Sierra Leone an. Im Norden des Landes hat das Schweizer Unternehmen Addax BioEnergy 57.000 Hektar Land gepachtet. Auf etwa 10.000 Hektar sollte Zuckerrohr zur Herstellung von Agrartreibstoffen (Bioethanol) angebaut werden, hauptsächLich zum Export nach Europa. FIAN Österreich arbeitet bereits seit 2013 zu diesem Fall. Die Investition von Addax wird gemeinhin als Vorzeigeprojekt angepriesen. Entwicklungsbanken haben mit Krediten oder Zuschüssen etwa zur Hälfte die gut 400 Millionen Euro schwere Mega-Investition finanziert. Beteiligt sind auch die Österreichische EntwickLungsbank OeEB und wieder einmal die deutsche Entwicklungsbank DEG.


Addax fasst Fuß in Sierra Leone

Addax BioEnergy ist eine Tochter von AOG, einer Ölfirma in Genf. Konzernchef Jean Claude Gandur ist Multimilliardär. Er kannte Sierra Leones Präsident Ernest Bai Koroma aus dem Ölgeschäft und wurde eingeladen, die günstigen Investitionsbedingungen des kleinen westafrikanischen Landes zu nützen. ALs eines der am wenigsten entwickelten Länder genießt es auch Zollprivilegien für den Export in die Europäische Union, die damaLs eine zehnprozentige Beimischungsquote für Agrotreibstoffe angepeilt hatte.

Addax schickte 2009 seine Leute, flankiert von wortgewandten Anwälten nach Sierra Leone, die mit der Regierung und den regionaLen Verwaltungsbehörden, den Bezirksräten und Chiefdoms in Gespräche eintraten. Zuletzt wurden auch die betroffenen Gemeinden informiert. Die Botschaft lautete, so erinnert sich Bafudi Kamara, Ortsvorsteher von Kolisoko, der Staatspräsident wünsche, dass man das Land an Addax verpachte. In anderen Dörfern schildert man den Druck noch drastischer. Selbst ein Parlamentsabgeordneter sei ins Dorf gekommen und habe mitten in der Nacht gebrüllt: "Wenn ihr das jetzt nicht unterschreibt, dann geht es euch schlecht". Man sei daran gewöhnt, den Wunsch der übergeordneten Stellen zu befolgen, sagt Bafudi. Also habe man unterschrieben. Noch bevor der Vertrag aufgesetzt war, hatte Addax die erste Plantage für Zuckerrohrsetzlinge auf dem Gebiet der Gemeinde Lungi Acre angelegt. Dann ging alles sehr schnell: Wäldchen wurden abgeholzt, Bäche zugeschüttet, Unebenheiten planiert und Straßen angelegt.


Anfänglicher Optimismus enttäuscht

Im Dorf Kolisoko habe anfänglich Optimismus geherrscht, so Suleyman Masari, ein 53-jähriger Bauer: "Addax hat uns erklärt, sie würden uns aus der Armut befreien. Sie sagten, sie bräuchten unser Land, um die Armut zu beseitigen und die Kinder in die Schule zu schicken. Und alle Söhne und Töchter von Landeigentümern würden angestellt".

Addax setzte neben den Zuckerrohrplantagen auch ein Bauernentwicklungsprogramm um, welches jedoch nicht die prophezeite Wirkung zeigte. Als dann die Ebola-Krise im Land ausbrach, standen die Behörden der Seuche völlig hilflos gegenüber und das ohnehin marode Gesundheitssystem brach zusammen. Gerade als die Epidemie nach mehr als einem Jahr abzuebben begann, verkündete Addax im Juni 2015, dass sie ihre Produktion drosseln würden. Gelegenheitsarbeiter fanden keine Beschäftigung mehr, die Festangestellten wurden mit 45 Prozent ihrer Bezüge nach Hause geschickt. Als Begründung gab die Firmenleitung an, die Ebola-Krise habe das Unternehmen geschwächt, der Ölpreisverfall habe die Rentabilität der Agrartreibstoffproduktion beeinträchtigt, die Kosten für die ausländischen Angestellten seien zu hoch und Diebstahl habe die Zuckerrohrernte dezimiert. Den Vorwurf des Diebstahls weisen die Bauern und Bäuerinnen entrüstet zurück. Man könne schwerlich sie verantwortlich machen, wenn statt der geplanten 80 Tonnen Zuckerrohr pro Hektar nur 30 bis 40 Tonnen geerntet würden.


Masethle - das Dorf, das sich selbst versorgt

Unter elf im April besuchten Dörfern gab es ein einziges, bei dem FIAN zufriedene Menschen antraf und sich ein gewisser Wohlstand zeigte: Das Dorf Masethle. Dessen BewohnerInnen hatten den Schalmeienklängen von Addax widerstanden und nur etwa ein Viertel ihres Landes verpachtet. Sie produzieren genug Nahrung, um auf dem Markt von Makeni gute Gewinne zu erwirtschaften. Aus den Nachbardörfern kommen ständig Leute, die Brenn- und Bauholz brauchen. Denn deren Wälder wurden von Addax gerodet.

Der Anwalt Sonkita Conteh arbeitet für die gemeinnützige Kanzlei Namati, die ihre Dienste gratis anbietet. Die anderen Gemeinden hatten sich auf die von Addax bezahlten Anwälte verlassen. "Womit sich diese Anwälte nicht befasst haben", kritisiert Conteh, "ist, dass die Dörfer im Pachtvertrag selbst die Flächen, wo ihre Häuser stehen, und die Hinterhofgärten dem Unternehmen überschrieben haben. Das heißt, Addax hätte sogar das Recht, sie aus ihren Häusern zu vertreiben". Entsprechend verstörend sind Gerüchte über einen völligen Rückzug von Addax und den Verkauf des Projekts. Landwirtschaftsminister Monty Jones hat Verkaufsverhandlungen mit dem britisch-chinesischen Konzern Sunbird BioEnergy bestätigt. Der Anwalt Conteh fragt sich nun, welche Pläne dieses Unternehmen hat, wenn Addax wegen offensichtlicher Unwirtschaftlichkeit aussteigt: "Jeder neue Investor, der in den Vertrag einsteigt, hätte die gleichen Rechte und Verpflichtungen". Also auch die Vertreibung der DorfbewohnerInnen, wenn die Investoren damit ihre Gewinne steigern können.


Unsichere Zukunft: Wir bleiben dran!

Für die Menschen vor Ort kommt der Ausstieg von Addax unerwartet. Jetzt steht die lokale Bevölkerung vor einer ungewissen Zukunft. Auch Mohammed Conteh von FIANs Partnerorganisation SiLNoRF bereitet die vollkommene Abhängigkeit der Gemeinden vom Gutdünken eines Konzerns größte Sorge. "Es braucht Investitionen in kleinbäuerliche Strukturen", bekräftigt er. FIAN unterstützt zusammen mit SiLNoRF die Menschen vor Ort im Kampf für ihre Rechte, während die überwiegend europäischen Entwicklungsbanken nun auf Distanz zu ihrem einstigen Vorzeigeprojekt gehen. FIAN wird deren Mitverantwortung weiter einfordern.

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Quelle:
FoodFirst - FIAN Deutschland - Mitgliedermagazin für
das Menschenrecht auf Nahrung, Ausgabe 2/2016, Seite 8-9
Herausgeber: FIAN Deutschland e.V., Briedeler Straße 13, 50969 Köln
Tel. 0221/7020072, Fax 0221/7020032
E-Mail: fian@fian.de
Internet: www.fian.de
 
Erscheinungsweise 4 Ausgaben/Jahr
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juli 2016

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