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BERICHT/123: Ernährungssouveränität oder Ernährung als Recht? (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 4/2006
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Standpunkt: Ernährungssouveränität oder Ernährung als Recht?

Von Johannes Brandstäter


"Ernährungssouveränität heißt, dass Länder und Völker das Recht haben müssen, den Handel einzuschränken, soweit das für den Schutz von Kleinbauern, Fischern, Hirtenvölkern, indigenen Gemeinschaften etc. und die Förderung der einheimischen Nahrungsmittelversorgung erforderlich ist" - so definierte es Marita Wiggerthale im FOODFirst Nr. 3/05. So gesehen handelt es sich um eine Art kollektives Recht für Entwicklungsländer gegenüber den Agrarriesen wie der EU.

Das aus dem Süden stammende Konzept nimmt dabei die verfehlten agrarpolitischen Rezepte ins Visier und stellt der Ideologie der Wirtschaftsliberalisierung im Agrarbereich etwas entgegen. Wohl als erste haben Michael Windfuhr und Jennie Jonsén unter diesem Begriff eine ausgezeichnete agrarpolitische Agenda entwickelt (http.//www.ukabc.orgfoodsovpaper2.htm#3). So ausformuliert, wird der Begriff der Ernährungssouveränität zu einer Hilfe für die Legitimation alternativer Politikansätze. Ursprünglich von der internationalen Kleinbauernbewegung Via Campesina verbreitet, greift ihn zum Beispiel auch Attac sehr gerne auf.

Das Konzept ist allerdings noch nicht ganz fertig, ihm fehlt noch seine innere Geschlossenheit. Kollektive Rechte sind bisher nicht klar definiert und es fehlen die Konzepte für die Herstellung ihrer Justiziabilität. Wer sollte kollektive Rechte wahrnehmen - da sind ja erst einmal nur die Regierungen auf dem Plan. Und die haben selber mit der Ernährung für alle nicht immer viel im Sinn. Es fehlen die demokratisch legitimierten Akteure, die über den Agrarhandel bestimmen sollen (und noch dazu genügend Macht haben).

Für den politischen Diskurs ist Ernährungssouveränität gut geeignet, vielleicht sogar als ein guter politischer Kampfbegriff. Aber sie bietet nicht die Perspektive für die Übernahme in das Völkerrecht oder das nationale Recht. Mehr noch - es darf nicht vergessen werden, dass die Menschenrechte wie das auf Freiheit von Hunger konkrete Rechtsgüter sind und damit weitaus mehr als politische Schlagworte. Das Recht sich zu ernähren ist ein universelles Gut, es ist für jeden verstehbar. Für FIAN ist dieses im Sozialpakt verbriefte Recht ein Schatz, wie die Schatzbriefe der Bundesbank. FIAN sollte alles unterlassen, es zu relativieren, indem wir uns davon losgelöste politische Konzepte zu sehr zu eigen machen, selbst wenn sie attraktiv aussehen.

FIAN liebt den traditionell-alternativen agrarpolitischen Ansatz zur Förderung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft. Er ist ja auch nicht falsch. Aber er reicht nicht aus für die Formulierung einer politischen Agenda von FIAN als Menschenrechtsorganisation. Vielmehr verstellt uns unser Steckenpferd sogar den Blick für andere, uns bisher eher wenig vertraute Situationen von Menschenrechtsverletzungen wie dem Verhungernlassen von Flüchtlingen in den vergessenen Lagern des Sudan, der Dalits in den ländlichen Distrikten Indiens oder der Erdbebenopfer im Kaschmir. Es ist längst nicht immer nur die verfehlte und den falschen Interessen dienende Agrar- und Agrarhandelspolitik, die Hunger verursacht. Politische Analysen und die Konzepte zur Wiederherstellung der Würde der Hungernden müssen für jede Situation neu entworfen werden. Wir müssen uns endlich auch auf die für uns bisher unkonventionellen Hungersituationen einstellen, wollen wir neue Mitglieder und neue SpenderInnen gewinnen.

Der Autor ist Vorstandsmitglied
von FIAN-Deutschland.


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 4/2006, Seite 13
Herausgeber: FIAN-Deutschland e.V., Düppelstraße 9-11, 50679 Köln
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Erscheinungsweise vierteljährlich.
Einzelpreis: 4,50 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Februar 2007