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BERICHT/139: Die Inflation des Maispreises in Mexiko (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 2/2007
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Inflation des Maispreises und Wirtschaftsliberalisierung in Mexiko

Von A. Cristina de la Vega-Leinert, Sofia Monsalve


Mexiko ist ein reiches Land, das Erdöl und vielfältige Agrarprodukte besitzt - ein dynamisches 'advanced middle income' Schwellenland. Seit dem das NAFTA-Abkommen (North-American Free Trade Agreement) in Kraft getreten ist, hat Mexiko sich 'erfolgreich' in der internationalen Wirtschaft integriert. Alle wichtigen Indikatoren für makroökonomisches Wachstum steigen. Der Handel und die Industrie- und Dienstleistungsbranchen boomen. Ausländischen Investitionen fließen ins Land und immer mehr Fabriken werden gebaut (bzw. Maquiladoras, die niedrige Sozial- und Umweltstandards ausnutzen). Trotzdem lebten in 2005 nach den Kriterien der Weltbank (2 US-Dollar/Tag) 45 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Fünf Prozent sind laut FAO unterernährt.


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Mais ist das traditionelle Grundnahrungsmittel Mexikos. Im Durchschnitt verbraucht jede/r MexikanerIn täglich ungefähr 350 Gramm Tortilla, und da die Tortilla das billigste Nahrungsmittel ist, decken die Ärmsten damit über die Hälfte ihres täglichen Bedarfs an Kalorien und Eiweiß ab. Um den mexikanischen Mais im Vergleich zu dem hoch subventionierten und genetisch modifizierten amerikanischen Mais halbwegs konkurrenzfähig zu halten, sind die mexikanischen Maispreise zwischen 1994 und 2000 um bis zu 50 Prozent gefallen. Obwohl der Mais generell billiger produziert oder importiert wird, steigt der Tortillapreis in jüngster Zeit kontinuierlich und teilweise dramatisch an, zuletzt zwischen Oktober 2006 und Januar 2007 von 6 auf bis zu 30 Pesos/kg (von 0,40 Cent auf bis zu 2 Euro). Der Mindestlohn - und selbst zu dem haben 20 Prozent der Bevölkerung keinen Zugang - liegt im Vergleich bei 50 Pesos/Tag (3,40 Euro).

Am 26. Januar diesen Jahres verkündete die mexikanische Nationale Union autonomer regionaler Bauernorganisationen (UNORCA) die Chilpancingo Erklärung zur Nahrungssouveränität. Die starke Inflation der Maispreise wurde angeprangert und der mexikanische Staat als Hauptakteur der radikalen Wirtschaftsliberalisierung angeklagt. Die Liste der Kritik ist lang und weist auf beunruhigende Entwicklungen hin: Die staatliche Regulierung des Maissektors sei fehlerhaft. Beispielsweise seien die öffentlichen Produktions- und Konsumsubventionen, die den Preis wichtiger Lebensmittel stabilisierten, im Rahmen des NAFTA stark gekürzt worden. Der mexikanische Staat hätte sich zudem geweigert, Steuern von den USA zu kassieren, welche das Nafta für Importe über die verhandelten Quota erlaubt (2 Milliarden US-Dollar hätten so in die staatlichen Kassen fließen müssen, um zum Beispiel den nationale Maisanbau zu fördern). Die Lagerung und Verteilung von Mais ist mittlerweile in den Händen weniger Firmen, die durch Preisspekulationen Grundnahrungsmittel künstlich verteuern. Die Regierung hat diese Entwicklung vorangetrieben, indem sie die Preiserhöhung gefördert und durch das konventionelle Liberalisierungscredo legitimiert hätte. Vor dem Hintergrund der so geschaffenen Abhängigkeit von Maisimporten steigen nun die Preise von Importmais stark an, weil der Mais in den USA zunehmend in erneuerbare Energie beziehungsweise Ethanol umwandelt wird. Bei den hohen Energiepreisen rechnet sich der Export kaum noch.

UNORCA rief zu einer Bürgerdemonstration auf, die am 31. Januar 2007 in Mexikostadt 100.000 Menschen mobilisierte. Die starke soziale Mobilisierung hat eine kritische Debatte ausgelöst. Mexiko lässt die eigene Maiswirtschaft verfallen und verliert damit mehr und mehr die Fähigkeit, seine Bevölkerung unabhängig zu ernähren. Dörfer leeren sich, weil die Eigenbedarfwirtschaft ruiniert wird und immer mehr junge Menschen versuchen, in die USA auszuwandern. Die Ärmsten haben zunehmend Schwierigkeiten, sich zu ernähren. Der mexikanische Mais wird von genetischen modifizierten Organismen kontaminiert. Ist das der Preis der ökonomischen Integration? Seit Januar versucht die Regierung, den Tortillapreis durch massive Importe bei 8,5 Pesos/kg zu stabilisieren: eine Notfallmaßnahme, aber keine Lösung, wie die jüngsten Tortillapreiserhöhungen zeigen. Könnte Nafta nochmals verhandelt werden? Könnte der Maisanbau mit NAFTA Sonderregelung für Agrarprodukte geschützt werden? Die Zeit ist knapp um wirksame Lösungen zu finden. Ab 2008 wird der Handel mit den zwei wichtigsten Grundnahrungsmitteln Mexikos - Mais und Bohnen - gänzlich liberalisiert ... zu Gunsten der USA.

A. Christina de la Vega-Leinert ist an der
Alice-Salomon-Fachhochschule, Berlin tätig,
Kontakt: ac.delavega@gmail.com.
Sofia Monsavle arbeitet bei FIAN-International.


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 2/2007, März 2007, S. 12
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. September 2007