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BERICHT/145: Prekäre Ernährungslage in den palästinensischen Gebieten (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 2/2006
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Prekäre Ernährungslage in den palästinensischen Gebieten

Von Petra Schöning


Mehr als ein Drittel aller PalästinenserInnen im Westjordanland und dem Gazastreifen befinden sich laut einem im März 2007 erschienenen Bericht des WFP (World Food Programme) und der FAO (Food and Agriculture Organization) in einer ungesicherten Ernährungslage. Weitere 12 Prozent sind in Gefahr, diesen Status zu erreichen. Am meisten davon betroffen sind die Menschen im Gazastreifen, wo 54 Prozent der Bevölkerung unter unzureichender Ernährung leiden. 60 Prozent der palästinensischen Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze, die bei 2,1 US-Dollar pro Tag liegt.


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Seit Beginn der Zweiten Intifada Ende September 2000 haben sich die wirtschaftlichen Bedingungen im Wesjordanland und im Gazastreifen erheblich verschlechtert. Das palästinensische Bruttoinlandsprodukt ist seitdem um 40 Prozent gesunken. Nach dem Sieg der Hamas bei den Wahlen zum Palästinensischen Legislativrat im Januar 2006 und der Bildung einer Hamas-geführten Regierung hat sich die Situation nochmals verschärft. Aufgrund ihrer Weigerung, den israelischen Staat ausdrücklich anzuerkennen und eine Gewaltverzichtserklärung abzugeben, stellte die internationale Staatengemeinschaft die Zahlungen an die palästinensische Autonomiebehörde ein und Israel verweigerte die Auszahlung der im Auftrag der Autonomiebehörde eingenommenen Steuern und Zölle. Dies machte die Zahlung von Gehältern der öffentlichen Bediensteten sehr schwierig, was zu monatelangen Streiks des öffentlichen Sektors und dem Zusammenbruch von Dienstleistungen führte.

Aufgrund des mangelnden Einkommens wird in den palästinensischen Haushalten weniger Geld ausgegeben - auch für Lebensmittel. Im Gazastreifen betrifft dies 84 Prozent und im Westjordanland 58 Prozent der PalästinenserInnen. Dagegen setzen sie die verschiedensten Strategien: Verringerung der Essensportionen, Reduzierung auf eine Mahlzeit pro Tag, Kauf von Nahrungsmitteln geringerer Qualität, Verzehr von weniger Obst, Gemüse und frischem Fleisch und mehr Kohlehydraten, Kreditaufnahme sowie Verkauf von Wertgegenständen und Land. Die Netzwerke aus Familie und Freunden können das Schlimmste auffangen, jedoch steigt die Zahl derer, die nichts mehr zu teilen haben.

Ein Resultat dieser Strategien ist die Zunahme chronischer Mangelernährung in den palästinensischen Gebieten. Eisenmangel (Anämie) beeinträchtigt ein Drittel der Frauen und Kinder. Mehr als 22 Prozent der Kinder zwischen ein und fünf Jahren leiden unter Vitamin A-Mangel. Hinzu kommt häufig ein Mangel an Vitamin D und Jod. Diese Mangelernährung trifft vor allem Kinder unter 14 Jahren und damit 46 Prozent der palästinensischen Bevölkerung.

Neben israelischen Militäraktionen wird die Ernährungslage vor allem durch die Einschränkung der Bewegungsfreiheit der PalästinenserInnen massiv beeinträchtigt. 540 israelische Kontrollpunkte, physische Barrieren, der Bau der Mauer beziehungsweise des Zauns auf palästinensischem Gebiet, Ausgangssperren und die eingeschränkte Ausstellung von Passierscheinen verschärfen die mangelnde Versorgungslage. Derart abgeriegelt wird die Herstellung und der Absatz von Produkten erschwert, manchmal komplett verhindert. Dies wiederum verstärkt die weit verbreitete Arbeitslosigkeit, die nach UN-Angaben mittlerweile bei 30 Prozent liegt.

Die Produktionskapazitäten in den besetzten Gebieten sind darüber hinaus durch begrenzten Zugang zu Wasser und durch schlechte Wasserqualität dauerhaft eingeschränkt. Nur etwa 25 Prozent der verfügbaren Wasserressourcen in den palästinensischen Gebieten sind in palästinensischer Hand. Zur Verbesserung der wirtschaftlichen Situation schlagen WFP und FAO Beschäftigungspläne, Entwicklung von Kleinstunternehmen, die Unterstützung der palästinensischen Produktion von Geflügel, Fleisch, Gemüse und Olivenöl sowie weitere Maßnahmen vor. Dauerhaft wird dies nicht zu einer verbesserten Ernährungslage führen. Auch die UN-Organisationen treffen die klare Aussage, dass grundlegende Veränderungen nur zu erwarten sind, wenn die politischen Ursachen der Ernährungsunsicherheit beseitigt werden. Insbesondere müssen hierzu die Einschränkungen der Bewegungsfreiheit der Palästinenser aufgehoben werden.

Weitere Informationen finden sich unter:
http.//www.wfp.org/policies/Introduction/other/Documents/pdf/CJFSVA_21_Feb.pdf.

Die Autorin ist Sprecherin der amnesty international Koordinationsgruppe Israel/Besetzte Gebiete/Palästinensische Autonomiegebiete.


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 2/2007, März 2007, S. 8
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. November 2007