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BERICHT/165: Papierlos ist rechtlos - Indigene Gruppen Pakistans (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 2/2008
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Papierlos ist rechtlos
Indigene Gruppen Pakistans

Von Wasim Wagha


Bereits seit Jahrhunderten Leben im pakistanischen Industal verschiedene indigene Bevölkerungsgruppen. Ihr größtes Handicap: aufgrund ihrer (halb)-nomadischen Lebensweise sind sie nicht registriert, haben keine Papiere und damit oft genug faktisch auch keine Bürgerrechte. Sie sind "nicht aufspürbar und daher nicht existent" - so einfach ist das laut NADRA - der staatlichen Behörde für Bevölkerungsstatistik - für die Regierung Pakistans.


Nur wenige der nomadischen Gemeinschaften sind noch heute als Gemeinschaften präsent: so zum Beispiel die Kihal und die Mor. Früher zogen sie am Indus entlang, die Wanderwege saisonal bestimmt durch das wechselnde Nahrungsangebot der Flüsse und Wälder und abhängig von verschiedenen Anbauzonen. Dadurch hatte jede Gruppe ihren eigenen Mobilitätsbereich innerhalb historisch definierter Grenzen, mit denen auch Rechte und Pflichten einhergingen. Die Kihal ernährten sich zu 60 Prozent vom Fischen; ergänzt durch verschiedene Nutzpflanzen, Vögel und die Nutzung des Waldes. Ihre Unterkünfte hauten sie aus dem natürlichen Vorkommen von weidenähnlichen Pflanzen, woraus sie auch Körbe, Käfige und andere Gebrauchsgüter für den Handel anfertigten.


Nomaden sind keine Bürger?

Mit kolonialem und postkolonialem Macht- und Ressourcenhunger kam auch die Bestrebung, die lokalen Ressourcen zu kontrollieren. Also wurden die Bevölkerungsgruppen des Indus nach Volkszählungen als "nomadisch ziehende Population" in Landkarten auf bestimmte Gebiete beschränkt, jedoch nicht als Bürger erfasst. Daher besitzen bis heute rund 90 Prozent der Mitglieder dieser indigenen Gruppen keine Papiere, die sie als Bürger Pakistans ausweisen. Schätzungen zufolge betrifft dies bis zu 40.000 Familien. Und ohne Papiere keine Rechte und auch kein Rechtsweg, um den Zugang zu Fisch, Wald, Land, Bildungs- oder Gesundheitswesen geltend zu machen. Bis heute gibt es keine politische Leitlinie für den Umgang mit papierlosen (Halb-)Nomaden, obwohl das Problem allgemein bekannt ist.

Hinzu kommen für diese Bevölkerungsgruppen massive Einschränkungen ihrer Lebensgrundlagen. In staatlichen Entwicklungsprojekten wie Megadämmen oder großflächigen Bewässerungssystemen werden Flüsse kanalisiert oder aufgestaut und anliegende Landbesitzer erschließen die Flusslandschaften zur landwirtschaftlichen Nutzung. Dadurch verringert sich die Artenvielfalt im Wasser und auf dem Land, ganze Flussabschnitte trocknen aus, Grundmaterialien für die handwerkliche Flechtproduktion - 'kaanb' und 'kanh' - wachsen nicht mehr. Die Kihal und andere Gruppen haben so schon über 60 Prozent ihres ursprünglichen Migrationsgebietes und einen Großteil ihrer Nahrungsquellen verloren. Dazu kommen noch die Verschmutzung der Flüsse durch städtische und industrielle Abwässer und die Konkurrenz um den Fischbestand, auf den staatlich lizenzierte Fischer Anspruch erheben.


Erniedrigungen und statistische Unsichtbarkeit

Heute leben die indigenen Gruppen als stark eingeschränkte Minderheit in der pakistanischen Gesellschaft. Erniedrigungen erfahren nicht nur die Frauen, die nun oftmals in den Städten betteln statt ihrem traditionellen Handwerk nachzugehen. Auch die Kinder berichten über anhaltende Probleme in den Schulen, wo ihre IntegratIon keinerlei Förderung erhält.


Papierlos ist rechtlos

Aufgrund der fehlenden Registrierung werden Gruppen wie zum Beispiel die Kihal oftmals auch statistisch unsichtbar und damit auch durch internationale Nichtregierungsorganisationen nicht wahrgenommen. In Zusammenarbeit mit der lokalen Organisation DAMAAN stellten Mitglieder der indigenen (halb-)nomadischen Gruppen daher den folgenden Forderungskatalog an die pakistanische Regierung zusammen:

1. Keine weitere Umleitung und Verschmutzung des Indus
2. Erarbeitung und konsequente Umsetzung einer politischen Strategie,
    die Indigenen die Registrierung als Staatsbürger ermöglicht
3. Abschaffung der Lizenzfischerei und Anerkennung des Rechts der Kital und Mor auf
    den Fischbestand in ihrem Mobilitätsbereich
4. Einrichtung eines 3 bis 8 Kilometer breiten Landstreifens beiderseits
    des Indus zur vorrangigen Nutzung durch indigene Gruppen
5. Einbeziehen von Repräsentanten der indigenen Gruppen in den relevanten politischen Gremien
6. Einrichtung von Schulen für Kihal- und Morkinder

Nur auf dieser Grundlage können indigene Gruppen einerseits sozial wie auch rechtlich in die pakistanische Gesellschaft integriert werden und andererseits ihre Lebensweise und Identität erhalten.


Wasim Wagha ist aktiv im CIPI (Centre for Indigenous Peoples of Indus) und bei der DAMAAN Development Organization Islamabad, Pakistan und setzt sich für die Rechte indigener Gruppen ein.

Rückfragen/Kontakt in englischer Sprache gerne an wasim_wagha@yahoo.com.


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 2/2008, S. 12
Herausgeber: FIAN-Deutschland e.V., Briedeler Straße 13, 50969 Köln
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Oktober 2008