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BERICHT/191: Recht auf Nahrung als dritter Strang der Hungerbekämpfung (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 2/2009
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Recht auf Nahrung als dritter Strang der Hungerbekämpfung
Potenzial und Risiken

Von Sandra Ratjen


Bisher verfolgten die Vereinten Nationen (UNO) bei der Hungerbekämpfung zwei Handlungsstränge: Nahrungsmittelhilfe und Förderung der Landwirtschaft. Auf der Welternährungskonferenz in Madrid hatte UN-Generalsekretär Ban Ki-moon in seiner Abschlussrede versprochen, diese beiden Stränge um einen dritten zu ergänzen: das Recht auf Nahrung (vgl. FoodFirst 1/2009). FIAN sieht darin eine große Chance, aber auch Risiken. Entscheidend wird sein, ob dem positiven Diskurs auch die notwendigen politischen Veränderungen folgen.


Die Diskussion über die Ausgestaltung des "dritten Strangs" bei der UNO ist in vollem Gange, sowohl hinsichtlich des Inhalts als auch des institutionellen Rahmens. Inhaltlich ist die Schlüsselfrage: Wird es drei Stränge geben oder einen einzigen Strang mit drei Komponenten? Die erste Strategie birgt das Risiko, dass das Recht auf Nahrung als bloßer Slogan oder "Stempel" missbraucht wird, um die Weiterführung derselben Politik zu rechtfertigen. In diesem Fall würde das Recht auf Nahrung als ein unabhängiger Handlungsbereich neben der humanitären Hilfe und der Verbesserung der landwirtschaftlichen Produktion betrachtet. Politikkohärenz unter dem Gesichtspunkt des Rechts auf Nahrung wäre damit keineswegs garantiert. Widersprüchliche Entscheidungen innerhalb der Regierungen, etwa zwischen den Wirtschafts-, Außen- und Landwirtschaftsministerien, könnten nicht vermieden werden.


"Third track" vs "triple track"

Mehr Potenzial birgt hingegen eine einzige Strategie der Hungerbekämpfung, in der die drei Stränge zusammenlaufen. In einer solchen Strategie wäre das Recht auf Nahrung die normative Grundlage zur Entwicklung, Umsetzung und Evaluierung von Maßnahmen in den beiden anderen Bereichen. Als universell anerkanntes Menschenrecht schreibt das Recht auf Nahrung Prinzipien vor, die die Entscheidungsfindung und Prioritätensetzung etwa in der Sozial- und Wirtschaftspolitik leiten sollen. Zu diesen Prinzipien gehören Partizipation, Transparenz und Rechenschaftspflicht. Insbesondere verlangt die Rechenschaftspflicht nationale und internationale Strategien zur Ernährungssicherheit, die öffentlich diskutiert und verabschiedet werden. Diese Strategien müssen klar definierte Ziele haben und müssen die notwendigen finanziellen Mittel vorsehen. Darüber hinaus erfordern sie Überwachungsinstrumente und Beschwerdemöglichkeiten, die von der lokalen bis zur internationalen Ebene reichen. Diese Mechanismen müssen effizient und zugänglich für die Menschen sein, deren Recht auf Nahrung verletzt wird oder die mit der Umsetzung der Strategien nicht einverstanden sind. Ganz konkret würde so ein Ansatz erlauben, dass ein landwirtschaftliches Entwicklungsmodell in Frage gestellt wird, das Kleinbauern und Landlose zugunsten von exportorientierten Unternehmen benachteiligt.


60 Jahre Recht auf Nahrung: nicht abschwächen, sondern verwirklichen!

Bislang offenbart die Debatte um den "dritten Strang" ein begrenztes Menschenrechtsverständnis bei vielen Entscheidungsträgern und Funktionären, Wörter wie "Staatenpflichten" und "Verletzungen" werden ungern gehört. Dabei wird ignoriert, dass 160 Staaten bereits den internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte ratifiziert haben und daher völkerrechtlich verpflichtet sind, das Recht auf angemessene Nahrung zu verwirklichen. Diese bereits angenommenen Verpflichtungen zugunsten vager freiwilliger Versprechungen abzuschwächen; wäre völlig inakzeptabel.

Sorgen bereitet auch der Versuch einiger Staaten, wichtige internationalen Entscheidungen zu Welternährungsfragen aus der UNO auszulagern. Welternährungspolitik darf weder der Weltbank, noch der Privatwirtschaft oder Nichtregierungsorganisationen überlassen werden. Die Zivilgesellschaft, insbesondere die Organisationen der von Hunger Betroffenen, muss eingebunden werden, doch die Entscheidungen müssen gewählten Regierungen obliegen. Das Prinzip "ein Staat - eine Stimme", das bei der UNO vorherrscht, darf dabei nicht zugunsten einer Dominanz reicher Geberstaaten aufgeweicht werden. Institutionen wie das UN-Menschenrechtssystem in Genf und eine - grundsätzlich reformierte - UN-Organisation für Landwirtschaft und Ernährung in Rom sind für internationale Debatten und Entscheidungen zur Hungerbekämpfungen deshalb der richtige Ort.

Sandra Ratjen ist Mitarbeiterin von FIAN-International.


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 2/2009, Juni 2009, S. 12
Herausgeber: FIAN-Deutschland e.V., Briedeler Straße 13, 50969 Köln
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. September 2009