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BERICHT/198: Menschenrechtliche Kontrolle deutscher Unternehmen im Ausland notwendig? (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 3/2009
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Freiwillige Regeln nicht ausreichend
Menschenrechtliche Kontrolle deutscher Unternehmen im Ausland notwendig?

Von Katharina Spieß


Auch heute, 25 Jahre nach der größten Chemiekatastrophe im indischen Bhopal, werden transnationale Unternehmen nur unzureichend kontrolliert. Obwohl sich die transnationale Aktivität der Unternehmen in den letzten Jahrzehnten vervielfacht hat, sind die Staaten zurückhaltend in der Regulierung der extraterritorialen Aktivität ihrer Unternehmen.


In der Nacht zum 3. Dezember 1984 explodierte im indischen Bhopal in einer Pestizidfirma der amerikanischen Firma Union Carbide Bhopal ein Ventil. Tausende Tonnen giftiger Gase entwichen. Die Katastrophe hatte verheerende Folgen: unmittelbar nach dem Unglück starben 7.000 bis 10.000 Menschen. Auch heute sterben Menschen an den Spätfolgen der Katastrophe, mehr als 100.000 Menschen leiden an Gesundheitsproblemen, haben aber keinen Zugang zur notwendigen medizinischen Versorgung.

Zum Zeitpunkt des Unglücks waren wichtige Sicherheitsvorrichtungen defekt. Ein Notfallplan existierte nicht. Und nach dem Flächennutzungsplan hätte auf dem Gelände keine Pestizidfirma gebaut werden dürfen, denn es handelte sich um ein dichtbesiedeltes Gebiet. Die Verantwortlichen sind bis heute nicht zur Rechenschaft gezogen worden, die Opfer sind nur unzureichend entschädigt und das Gelände nicht dekontaminiert worden, so dass das umliegende Grundwasser verseucht ist. Die Folge: die Überlebenden der Katastrophe leiden bis heute unter den Spätfolgen und sind in einem Teufelskreis von Krankheit und Armut gefangen.

Auch wenn die Katastrophe von Bhopal in ihrem Ausmaß einzigartig war, so zeigt sie doch, welche verheerenden Auswirkungen die Tätigkeit von Unternehmen haben können. Sie zeigt, dass transnationale Unternehmen sich durch Auflösung von Tochtergesellschaften oder Verkauf von Unternehmensteilen der Verantwortung für Eingriffe in die Menschenrechte entziehen können. Gerade in Staaten, die nicht willens oder nicht in der Lage sind, Unternehmen so zu kontrollieren, kann die unternehmerische Tätigkeit in die Menschenrechte der Bevölkerung eingreifen.

Die Frage, wie Unternehmen reguliert werden müssen, damit sie nicht in die Menschenrechte eingreifen, und in welchem Umfang Unternehmen selbst eine Verantwortung für die Menschenrechte tragen, ist Gegenstand einer kontrovers geführten Debatte. Allgemein anerkannt ist, dass Staaten eine menschenrechtliche Schutzpflicht haben: sie müssen den Einzelnen vor Eingriffen in seine Menschenrechte schützen. Was passiert aber, wenn ein Staat nicht willens oder nicht in der Lage ist, dieser Schutzpflicht nachzukommen? In dieser Situation kommt zum einen dem transnationalen Unternehmen selbst eine besondere Verantwortung zu. Dies hat auch der UN-Sondergesandte zu Wirtschaft und Menschenrechte, John Ruggie, unterstrichen. Zum anderen muss der Staat, in dem ein transnationales Unternehmen seinen Hauptsitz hat, sicherstellen, dass das Unternehmen auch im Ausland Menschenrechte achtet und dass Unternehmen zur Verantwortung gezogen werden können.

Heute gibt es eine Vielzahl von freiwilligen Initiativen, wie den Global Compact oder den Kimberley Prozess, der beispielsweise sicherstellen soll, dass keine Konfliktdiamanten verkauft werden können und in dem sich Unternehmen verpflichten, Menschenrechte zu achten. Aber Staaten stehen einer extraterritorialen Verantwortung bezüglich Unternehmen zurückhaltend gegenüber. Nur in wenigen Staaten, zum Beispiel den USA, ist es möglich, Unternehmen für im Ausland begangene Handlungen zu verklagen.

Auch die Bundesregierung steht einer stärkeren Kontrolle der Unternehmen skeptisch gegenüber, weil sie fürchtet, dass dies zu Wettbewerbsnachteilen von deutschen Unternehmen führen könnte. Statt dessen setzt sie auf freiwillige Maßnahmen, wie den Global Compact und die OECD-Leitsätze. Dass diese nicht ausreichend sind, hat in letzter Zeit der Kimberley-Prozess gezeigt. Hier haben sich Staaten und Unternehmen verpflichtet, den Handel mit Blutdiamanten zu stoppen. Trotzdem werden bis heute Diamanten aus der von Rebellen kontrollierten Elfenbeinküste über Nachbarstaaten als Kimberley-zertifiziert verkauft. Auch Diamanten aus Simbabwe dürfen weiterhin legal gehandelt werden, obwohl das simbabwische Militär im letzten Jahr ein Massaker an mindestens hundert Diamantenschürfern verübt hat, um die Kontrolle über die Minen zu erhalten.

Dies zeigt: freiwillige Regeln sind nicht ausreichend. Notwendig sind verbindliche Regeln für Unternehmen und die Möglichkeit, gegen Unternehmen zu klagen. Nichtregierungsorganisationen fordern deswegen, dass auch deutsche Unternehmen für ihre Handlungen im Ausland in Deutschland verklagt werden können.


Katharina Spieß ist Referentin für Wirtschaft und Menschenrechte bei Amnesty International.


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 3/2009, November 2009, S. 10
Herausgeber: FIAN-Deutschland e.V., Briedeler Straße 13, 50969 Köln
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Januar 2010