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BERICHT/200: Die Renaissance der Kohle (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 3/2009
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Die Renaissance der Kohle
Deutschlands Energiepolitik ignoriert Klimaschutz und Menschenrechte zugunsten der Versorgungssicherheit

Von Sebastian Rötters


Nach dem Willen der Energiekonzerne in Deutschland sollen in den nächsten Jahren zahlreiche neue Steinkohle-Kraftwerke gebaut werden. Inmitten der Klimadebatte erlebt der fossile Energieträger eine nicht für möglich gehaltene Renaissance. Versorgungssicherheit wird jedoch nicht über heimische Kohle, sondern über Importe hergestellt - zum Beispiel aus Kolumbien.


Bis zu 25 neue Kohlekraftwerke sollten in den nächsten Jahren errichtet werden. Aufgrund massiver Widerstände seitens der lokalen Bevölkerung wurden einige Neubaupläne schon aufgegeben. Trotzdem gehen die Planungen für die verbliebenen 20 Kraftwerke weiter. Einige befinden sich sogar schon im Bau. Dank enormer Kohlereserven und günstiger Preise im Vergleich zu Gas und Öl gelten sie als wirtschaftlich. Politisch wird vor allem eine Verbesserung der Energie-Versorgungssicherheit angestrebt. Öl wird vorwiegend aus einer Reihe politisch instabiler Länder und Regionen bezogen, wie dem Nahen Osten, Venezuela und Nigeria. Beim Gas sieht es nicht viel besser aus. Die EU als größter Gasimporteur der Welt bezieht über 80 Prozent ihres Bedarfs aus nur drei Ländern: Russland, Norwegen und Algerien. Dies hat die Sorge geweckt, dass eine starke Gasabhängigkeit die europäische und damit auch die deutsche Versorgungssicherheit gefährden könnte.

Demgegenüber gilt die Versorgung mit Kohle als sicher - obwohl Deutschland auch bei der Kohle mittlerweile gut zwei Drittel importiert, Tendenz steigend. Jedoch stammt die Kohle aus allen Teilen der Welt. Hauptexportländer sind Russland, Südafrika, Kolumbien und Kanada. Die geographische und politische Heterogenität dieser Länder schützt vor Risiken und Abhängigkeit. Die heimischen Kohlevorräte bieten zusätzliche Sicherheit. Die CO2-Schleuder Steinkohle ist durch die Hintertür wieder hoffähig geworden. Aus umweltpolitischer Sicht gleicht die Kohle-Strategie im Vorfeld des Kopenhagener Klimagipfels einem Holzweg in die Steinzeit. Aber auch aus menschenrechtlicher Perspektive werfen der geplante Ausbau des Steinkohle-Kraftwerkparks und die Erhöhung der Importe Fragen auf. Denn es sind die Bewohnerinnen und Bewohner der Abbaugebiete, die den Preis für unsere billige Energie zahlen.


Kohle für die Welt, Elend für die Anwohner

Im Nordosten Kolumbiens, im Departement Guajira, fördert das Unternehmen Cerrejón seit 1986 Steinkohle im größten Tagebau der Welt. Cerrejón war bei seiner Gründung 1975 ein Gemeinschaftsunternehmen der staatlichen Bergbaugesellschaft Carbocol und des ExxonMobil-Tochterunternehmens Intercor. Im Jahr 2000 wurde im Zuge eines Strukturanpassungsprogramms des Internationalen Währungsfonds (IWF) der staatliche Anteil des Unternehmens privatisiert. Die neuen Anteilseigner BHP Billiton (Australien), Anglo American (Großbritannien) und Glencore (Schweiz) übernahmen 2002 auch den Anteil von Intercor. 2006 wiederum übernahm das Schweizer Unternehmen Xstrata den Anteil der Firma Glencore. Bereits während der Bauphase einer Bahnlinie für den Kohle-Transport und eines Verladehafens wurden 1981-86 mehrere Gemeinden der Wayuu-Indigenas vertrieben und ihr Territorium wurde von den Gleisen der Bahn durchtrennt.

Der folgenschwerste Zwischenfall ereignete sich jedoch genau in der Zeit, in der die Eigentümer der Mine wechselten. Im April 2001 wurde der Ort Tabaco von Polizei und privaten Sicherheitskräften der Minenbetreiber zerstört und seine BewohnerInnen vertrieben, weil er der Erweiterung der Mine im Weg stand. Ersatzland und -unterkünfte wurden den Menschen nicht zur Verfügung gestellt. Für die BewohnerInnen begann damit ein jahrelanges Ringen um Anerkennung des begangenen Unrechts und um Entschädigungen. Selbst ein Urteil des Obersten Gerichtshofs Kolumbiens zugunsten der Vertriebenen blieb folgenlos, da das Unternehmen Cerrejón der Aufforderung zur Wiedergutmachung nicht nachkam. Erst nach mehr als sieben Jahren wurde eine Einigung zwischen VertreterInnen der Vertriebenen und dem Unternehmen erzielt und ein Umsiedlungsplan beschlossen, der diesem Unrecht ein Ende setzen soll. Verabschiedet wurde er, nicht weil das Unternehmen sich geläutert hätte, sondern in erster Linie aufgrund langer und starker lokaler, nationaler und internationaler Proteste. Cerrejón weigert sich bis heute, das begangene Unrecht anzuerkennen.

Ob und wie dieser Plan umgesetzt wird, muss genau beobachtet werden. Unterdessen fristen weitere Gemeinden im Umfeld der Mine ein trauriges Dasein. Während täglich Kohle im Wert von vielen Millionen Euro per Zug gen Überseehafen rollt, bleiben die Menschen im Abbaugebiet mit Lärm und Luftverschmutzung zurück. Atemwegserkrankungen sind eine häufige Folge des aufgewirbelten Kohlenstaubs. Die Verwirklichung der Umsiedlungspläne für die anderen betroffenen Gemeinden geht nur schleppend voran. Besondere Anstrengungen um faire Lösungen sind seitens des Unternehmens nicht zu erkennen.

Ein solch rücksichtsloses Vorgehen ist kein Einzelfall im Geschäft mit Kohle und anderen Rohstoffen. Meist wird gar nicht, völlig unzureichend oder viel zu spät verhandelt, umgesiedelt und entschädigt. Häufig müssen die Betroffenen ihr Recht gegen korrupte Gerichte und multinationale Konzerne erstreiten - ein oftmals aussichtsloses Unterfangen. Dass die Probleme nicht bereits im Vorfeld gelöst werden, liegt vor allem daran, dass sowohl nationale Bergbaugesetze als auch internationale Verträge und Richtlinien den menschenrechtlichen Anforderungen nicht genügen. Staaten wie Kolumbien haben - ebenso wie die Bergbaukonzerne - kein Interesse an verschärften Regeln. Für sie sind Investitionen und Profit wichtiger als die Menschen. Dies zeigt sich auch in der Region Catatumbo, einer der am stärksten vom Bürgerkrieg betroffenen Regionen Kolumbiens.


"Blutkohle" für deutsche Kraftwerke?

Mit dem Wissen um riesige Kohle- und Ölvorkommen unter dem umkämpften Boden in der Region Catatumbo ließen paramilitärische Verbände in Zusammenarbeit mit den kolumbianischen Sicherheitskräften nichts unversucht, um möglichst viele Menschen zu vertreiben. Tausende Menschen wurden seit Mitte der 1990er Jahre getötet oder vertrieben. Wahrscheinlich wird das Geschäft mit der Kohle in wenigen Jahren beginnen, ohne dass diese Verbrechen jemals aufgearbeitet wurden. Der große zeitliche Abstand zwischen den Menschenrechtsverletzungen und der wirtschaftlichen Erschließung erleichtert dabei das Ignorieren der Verbrechen. Von einer freien, informierten, vorherigen Zustimmung (free prior informed consent) der betroffenen Gemeinden vor Aufnahme der Bergbautätigkeiten, wie sie FIAN und andere Menschenrechtsorganisationen seit Jahren fordern, sind die Menschen dort Lichtjahre entfernt.

Doch auch diese "Blutkohle" wird ihren Weg nach Deutschland finden. Wie steht es um die deutsche Verantwortung angesichts des Imports kolumbianischer Kohle? Bis heute stört es die Kraftwerksbetreiber wenig, was im Abbaugebiet vor sich geht - wohl auch, weil das Geschäft mit der Kohle wenig transparent ist. Zwar veröffentlicht das Statistische Bundesamt monatlich Zahlen, aus welchen Ländern die Bundesrepublik wie viel Kohle bezieht. Wer jedoch wissen möchte, aus welcher Mine wie viel Kohle in ein bestimmtes Kraftwerk wandert, steht vor einer nahezu unlösbaren Aufgabe. Dies erleichtert es Politik und Wirtschaft, die Abbaubedingungen zu ignorieren. Mehr Transparenz und wirkungsvolle Menschenrechtsstandards sind dringend notwendig, um das Geschäft mit Kohle und anderen Rohstoffen sauberer und fair zu gestalten. In Zeiten, in denen aufmerksame KonsumentInnen jedes Hühnerei fast bis zur Henne zurückverfolgen können, ist es nicht zu rechtfertigen, dass bei der Steinkohle eine solche Transparenz fehlt. Es ist Aufgabe der Politik, hierfür die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen.


Sebastian Rötters ist Bergbau-Referent bei FIAN-Deutschland.


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 3/2009, November 2009, S. 13-14
Herausgeber: FIAN-Deutschland e.V., Briedeler Straße 13, 50969 Köln
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Januar 2010