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BERICHT/201: Steuerung der Welternährungspolitik - Herausforderung für die UNO (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 3/2009
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Steuerung der Welternährungspolitik: Herausforderung für die UNO

Von Olivier De Schutter


Wir kennen die Ursachen des Hungers und der Unterernährung: höchst ungleiche Einkommensverteilung; unzureichende soziale Sicherungssysteme; mangelnder Schutz für LandarbeiterInnen; Diskriminierung wegen Geschlechtszugehörigkeit oder aus ethischen und anderen Gründen; zunehmend dualistische Landwirtschaftssysteme, In denen KleinbäuerInnen Schwierigkeiten haben, von der Landwirtschaft zu Leben; schlechte Verbindungen zu Absatzmärkten; hohe Inputkosten; ungleicher Zugang zu Ressourcen.


Und die Liste der Ursachen ist noch länger: mangelnde Regulierung der Nahrungsmittelkette; ungerechte internationale Handelssysteme; unkontrollierte Märkte, die keine lukrativen Preise gewährleisten; ungenügende oder fehlgeleitete Investitionen in Landwirtschaft sowie Spekulationen an Warenterminbörsen. Diese Ursachen verdeutlichen die mangelnde Anerkennung des Rechts auf Nahrung - und die Notwendigkeit geeigneter Mechanismen, um das Recht auf Nahrung zu gewährleisten.

Bisher haben die Regierungen und die internationale Gemeinschaft es größtenteils versäumt, diese Ursachen des Hungers an der Wurzel zu packen. Ein Grund hierfür ist die Zersplitterung der globalen Gremien für Ernährungssicherungspolitik auf internationaler Ebene. Verschiedene UN-Organisationen (inkl. Internationale Arbeitsorganisation [ILO], Weltbank und Internationaler Währungsfonds [IWFJ) bieten den Ländern Orientierungshilfen in einigen der oben erwähnten Bereiche, während die Welthandelsorganisation (WTO) bei multilateralen Verhandlungen über Handelsabkommen technische Beratung anbietet. Dies führt oft zu widersprüchlichen Empfehlungen an die Länder, da jede Organisation die Tendenz hat, sich auf ihr eigenes Fachgebiet zu konzentrieren. Die Koordination zwischen diesen Organisationen muss dringend verbessert werden und deren Bemühungen müssen einem übergeordneten Zweck dienen: der Bekämpfung des Hungers und der Unterernährung. Ebenso so wichtig ist es, die Legitimität und Verantwortlichkeit dieser politischen Empfehlungen durch die Schaffung enger Partnerschaften mit Regierungen und zivilgesellschaftlichen Organisationen zu stärken.

Zur effektiven Hungerbekämpfung ist eine bessere Steuerung der Welternährungspolitik dringend erforderlich. Eine zentrale Rolle muss dabei das Komitee für Welternährungssicherung (CFS) spielen. Das 1996 gegründete und seither weitgehend vernachlässigte Gremium muss von Grund auf reformiert und verstärkt werden. Das CFS muss drei Kernfunktionen übernehmen: Koordinieren, Lernen und Überwachen. Daraus ergeben sich die fünf folgenden Betrachtungen.


Eine Koordinationsplattform

Das CFS muss eine Plattform bilden, über das alle relevanten UN-Organisationen, die mit Ernährungssicherung und dem Recht auf Nahrung zu tun haben - inkl. ILO, Weltbank, IWF und WTO -, ihre Aktionen kanalisieren. Ziel muss es sein, die Konsistenz und Kohärenz ihrer politischen Empfehlungen zu verbessern. Die teilnehmenden Organisationen können auf diese Weise angehalten werden, bei der Ausübung ihrer Mandate den jeweiligen Auswirkungen auf das Recht auf Nahrung voll Rechnung zu tragen.

Zweitens sollten die Staaten hochrangig vertreten sein, vorzugsweise durch einen Delegierten, der einer interministeriellen Projektgruppe zur Beseitigung des Hungers auf nationaler Ebene untersteht. Drittens würden die Legitimität des CFS und deren effektive Handlungsfähigkeit durch eine angemessene Vertretung der Zivilgesellschaft weiter gestärkt. Um eine vollwertige Vertretung verschiedener Bevölkerungsgruppen zu sichern, sollte sich das CFS zu einer dreiteiligen Struktur entwickeln, bestehend aus Regierungen, internationalen Organisationen und Zivilgesellschaft.


Ziele setzen und Richtlinien erarbeiten

Die Hauptaufgabe des CFS muss darin bestehen, die Verwirklichung zeitgebundener Zielsetzungen zur Bekämpfung von Hunger und Unterernährung zu überwachen. Das CFS sollte Leitlinien herausgeben, in denen festgehalten wird, was die internationale Gemeinschaft einerseits und die nationalen Regierungen andererseits zu tun haben. Es sollte auch Bereiche identifizieren, in denen eine internationale Zusammenarbeit erforderlich ist, um die nationalen Bemühungen zur Bekämpfung von Hunger und Unterernährung zu unterstützen. Die Leitlinien des CFS sollten regelmäßig auf die Erfolge und Misserfolge nationaler und internationaler Politik hin überprüft werden. Auf diese Weise würde das CFS eine wesentliche kollektive Lernfunktion erfüllen.

Es ist wesentlich, dass diese Leitlinien alle Hindernisse und Kernbereiche zur Verwirklichung des Menschenrechts auf Nahrung aufgreifen: Klimawandel, Beschäftigung und soziale Sicherheitsnetze, Rechte der Landarbeiter, Bildung, Landpolitik; die Lieferkette für Nahrungsmittel, Handel und Nahrungsmittelhilfe. Missstände, die geschlechtsspezifisch sind oder besonders gefährdete Bevölkerungsgruppen betreffen, sollten übergreifend in Angriff genommen werden. Die freiwilligen Leitlinien der FAO von 2004 zur progressiven Verwirklichung des Rechts auf angemessene Ernährung sollten möglichst in vollem Umfang als Ausgangspunkt für die Ausarbeitung der CFS-Leitlinien dienen. Diese Leitlinien sollten eine Orientierungshilfe sein, um praktische Ziele zu definieren, die innerhalb bestimmter Zeitrahmen zu verwirklichen sind. Auch sollten in Verbindung mit jedem der angestrebten Ziele Indikatoren festgelegt werden.


Überwachung der Umsetzung der Leitlinien

Die Leitlinien sollten durch konkrete Maßnahmen in vier Schritten über einen Zeitraum von vier Jahren in die Tat umgesetzt werden:

a) Annahme der Leitlinien durch das CFS aufgrund einer gemeinsamen Einschätzung und Bestimmung der Maßnahmen, die erforderlich sind, um Hunger und schwere Unterernährung zu bekämpfen;

b) Annahme von Zielsetzungen durch Regierungen und internationale Organisationen;

c) Berichterstattung von Regierungen und internationalen Organisationen an das CFS und Überprüfung der Fortschritte hinsichtlich der Zielerreichung. Dies führt dann zu Empfehlungen an die betreffenden Staaten und Organisationen, inkl. Empfehlungen zur Verbesserung der internationalen Unterstützung und Zusammenarbeit;

d) Überprüfung der CFS-Leitlinien aufgrund einer Einschätzung der Hindernisse, die die Staaten und internationalen Organisationen bei der Verwirklichung ihrer Ziele vorgefunden haben.


Das hochrangige Expertengremium für Ernährungssicherung

Dieses Gremium sollte als Hauptaufgabe haben, das CFS bei der Ausübung seiner Funktion zu unterstützen. Es sollte die wissenschaftlichen Fachkenntnisse zur Verfügung stellen, um die von den Staaten und internationalen Organisationen vorgelegten Berichte zu analysieren und um die Leitlinien regelmäßig weiter zu entwickeln. Da die CFS-Leitlinien nicht nur die Landwirtschaftliche Produktion betreffen, sondern auch Bereiche wie Entwicklung, Gleichheit der Geschlechter oder Ernährung, sollte die Zusammensetzung dieses Gremiums mannigfaltig sein: AgrarwissenschaftlerInnen, Landwirtschafts- und EntwicklungsexpertInnen, ErnährungswissenschaftlerInnen und MenschenrechtsexpertInnen. In erster Linie sollte das Gremium den Staaten und internationalen Organisationen helfen, die Empfehlungen des Weltagrarrats (IAASTD) in konkrete Maßnahmen umzusetzen.


Die Rolle des Rechts auf angemessene Ernährung

Das Recht auf angemessene Ernährung sollte in diesem erneuerten CFS eine zentrale Rolle spielen. Erstens sollte bei der Festlegung der CFS-Leitlinien das höchste Ziel die umfassende Verwirklichung des Rechts auf Nahrung sein. Zweitens müssen Staaten zu regelmäßigen Berichten über die Umsetzung der FAO-Leitlinien zum Recht auf Nahrung angehalten werden. Umgekehrt wird dies bei der Gestaltung des CFS und des Expertengremiums hilfreich sein: Das Büro des Hochkommissars für Menschenrechte sollte das CFS unterstützen und als ein Mitglied vertreten sein. MenschenrechtsspezialistInnen sollten auch dem Expertengremium angehören. Auch der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und der Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung sollten in dem Expertengremium realisiert werden.

Wenn die neuen Initiativen der internationalen Gemeinschaft tatsächlich zur Verwirklichung des Rechts auf Nahrung beitragen sollen, können wir es uns nicht leisten, die aktuelle Gelegenheit zur Reform der Global Governance zu versäumen. Wenn keine entschiedenen Schritte beschlossen werden, wird die Zahl der Hungernden weiter steigen. Wir können dies ändern, vorausgesetzt, wir treffen die richtigen Entscheidungen. Wenn wir versagen, werden wir eine Mitverantwortung für die Fortdauer einer inakzeptablen Situation tragen.


Olivier de Schutter ist UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung.


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 3/2009, November 2009, S. 6-7
Herausgeber: FIAN-Deutschland e.V., Briedeler Straße 13, 50969 Köln
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Januar 2010