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BERICHT/205: Grundsatzentscheidung über Patente auf Saatgut beim EU-Patentamt (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 1/2010
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Recht auf Saatgut
Grundsatzentscheidung über Patente auf Saatgut beim Europäischen Patentamt

Von Okka Hübner


Die Vereinten Nationen haben 2010 zum Jahr der biologischen Vielfalt erklärt. Die Fragen nach geistigen Eigentumsrechten in der Landwirtschaft und damit nach Agrobiodiversität, Monopolbildung in der Saatgutindustrie und dem Zugang zu Saatgut sind somit zentrale Themen für dieses Jahr. Mitte des Jahres steht bei der großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes (EPA) eine Grundsatzentscheidung über die Patentierbarkeit von konventionell gezüchtetem Saatgut an, denn sie entscheidet über die Patente auf Brokkoli (EP 1069819) und Tomate (EP 1211926).


In den letzten Jahren haben die Patentanmeldungen auf konventionelles Saatgut enorm zugenommen, nun kommt es diesbezüglich zum ersten Mal zu einer Klage vor der höchsten Instanz des EPA. Das EPA muss über die Rechtmäßigkeit der Patente entscheiden. Damit werden die Patente auf Brokkoli und Schrumpeltomate zu Präzedenzfällen für die Frage der Patentierbarkeit von konventionellem Saatgut. Grund für den Einspruch ist Art. 53 (b) des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ): "Europäische Patente werden nicht erteilt für: (...) b) Pflanzensorten oder Tierrassen sowie im wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen oder Tieren".

Während ab den 1980er Jahren in Europa zunächst nur Patente auf gentechnisch veränderte Pflanzen angemeldet wurden, zeigt sich in den letzten Jahren ein deutlicher Zuwachs bei Patentanmeldungen auf konventionell gezüchtetes Saatgut. Da die Saatgutindustrie mit gentechnisch verändertem Saatgut keinen Durchbruch erzielen konnte, versucht sie seit einigen Jahren, mit Hilfe von Patenten auf konventionelles Saatgut den Saatgutmarkt unter ihre Kontrolle zu bringen.

Wird den Patenten auf Brokkoli und Tomate bei der anliegenden Entscheidung trotz der strittigen Formulierung in der EU-Biopatentrichtlinie und im EU-Patentübereinkommen grünes Licht gegeben, so steht damit Patenten auf Pflanzen und Tiere in Zukunft die Tür offen. Der bereits jetzt zu verzeichnende Trend zur Patentierung von konventionellem Saatgut würde somit weiter wachsen - mit massiven Folgen für die Landwirte in Europa und mit schwerwiegenden Folgen für die Länder des Südens. Gerade diese werden von den Verschärfungen geistiger Eigentumsrechte auf Saatgut stark gefährdet.

Über Jahrtausende hinweg haben Bauern und Bäuerinnen weltweit einen sehr großen Reichtum an Pflanzenvielfalt geschaffen. Während in den Industrieländern Pflanzenzucht und Saatgutvermehrung schon lange kommerzialisiert sind - was zu einem massiven Rückgang der Biodiversität geführt hat -, bilden Pflanzenzucht und -vermehrung in vielen Entwicklungsländern nach wie vor die Lebensgrundlage vieler Bauern und Bäuerinnen. Die Patentierung von Saatgut bedroht ihre Rechte, Saatgut aufzubewahren, auszutauschen, zu verkaufen und weiter zu züchten und damit auch die Ernährungssouveränität und das Recht auf Nahrung. Von den mehr als einer Milliarde extrem Armen leben drei Viertel in den ländlichen Gebieten der Entwicklungsländer. Die meisten von ihnen sind für ihr Überleben auf die traditionelle Landwirtschaft angewiesen. Durch einen erschwerten Zugriff auf Saatgut wird ihnen die letzte Lebensgrundlage entzogen und die globale Agrobiodiversität aufs Spiel gesetzt.

Aufgrund der zunehmenden Patentierung von Saatgut hat sich das internationale Bündnis Keine Patente auf Saatgut gegründet. Hierin sind Organisationen aus der Entwicklungspolitik, landwirtschaftliche Vertreter und andere Nichtregierungsorganisationen vereinigt. Im Oktober 2009 wurde vom Bündnis ein globaler Aufruf gegen Patente auf Pflanzen und Tiere gestartet, der von Bauernorganisationen und Privatpersonen aus der ganzen Welt unterzeichnet wurde.

Scharfe Kritik an Patenten auf Saatgut kommt auch von Seiten der Vereinten Nationen (UN). So fordert UN-Sonderberichterstatter Olivier de Schutter in seinem Bericht vor der UN-Generalversammlung in New York ebenfalls ein Verbot von Patenten auf Saatgut, da sich hierdurch die globale Nahrungsmittelkrise verstärken könnte. Auch im IAAST-Bericht wird vor Patenten auf Saatgut gewarnt: "Geistige Eigentumsrechte können den Zugang zu Forschung, Technologien und genetischem Material behindern, was sich wiederum auf Ernährungssicherheit und Entwicklungspotenziale auswirken kann." (Weltagrarbericht - Synthesebericht: Seite 199)

Die Entscheidung beim EPA wird weltweit mit großer Spannung erwartet. Ein Nein zu den Patenten auf Brokkoli und Tomate wird vom Bündnis Keine Patente auf Saatgut freudig als erster Schritt für ein endgültiges Verbot von Patenten auf Tiere und Pflanzen begrüßt werden.

Der globale Aufruf Keine Patente auf Saatgut kann noch bis zum 10. Juli unterschrieben werden und wird am Verhandlungstermin am 20. Juli 2010 dem EPA überreicht. Der globale Aufruf Keine Patente auf Saatgut kann noch bis zum 10. Juli unterschrieben werden und wird im Anschluss dem EPA übergeben:
http://www.keinpatent.de/index.php?id=132&L=0

Die Verhandlung beim EPA ist öffentlich, jede/r ist eingeladen teilzunehmen.

Okka Hübner absolvierte bei FIAN Deutschland ein Praktikum im Bereich Agrarreform.


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 1/2010, März 2010, S. 3
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. April 2010