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BERICHT/218: Investitionen im Ausland - Verantwortung zuhause (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 2/2010
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Investitionen im Ausland - Verantwortung zuhause
Unternehmensverantwortung von Aldi, Thyssen & Co

Von Johanna Kusch


Welche Chance hätte eine Klage brasilianischer FischerInnen gegen die in Deutschland ansässige ThyssenKrupp AG vor einem deutschen Gericht wegen Rückgang des Fischbestandes seit dem Beginn von Bauarbeiten an einem Stahlwerk in ihrer Bucht durch ein Tochterunternehmen von Thyssen? Wie sind die Erfolgsaussichten, wenn chinesische TextilarbeiterInnen wegen ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen bei einem Zulieferer von Aldi gegen den Discounter vor ein deutsches Gericht ziehen würden? Im Mai 2010 startete die europäische Kampagne Rechte für Menschen - Regeln für Unternehmen, um durch Reformen des EU-Rechts genau solchen Klagen zum Erfolg zu verhelfen. Sie will den Betroffenen Gehör verschaffen und den Weg für Schadensersatzansprüche frei machen.


Mehr als 8.000 FischerInnen beklagen seit Beginn eines Stahlwerkbaus in der Bucht von Sepetiba im Jahr 2006 den Rückgang der Fischbestände. Sie fangen nicht mehr genug, um davon leben zu können. Die Fischmenge ging von durchschnittlich sieben Tonnen Fisch pro FischerIn im Jahre 2000 auf knapp vier Tonnen Fisch im Jahr 2007 und auf lediglich 840 kg im Jahr 2009 zurück. An dieser derzeit größten Auslandsinvestition in Brasilien ist die deutsche ThyssenKrupp AG maßgeblich beteiligt, sie hält 74 Prozent der Anteile des vor Ort tätigen Tochterunternehmens TKCSA. Umweltschützer vermuten, dass Absaugarbeiten der TKCSA am Grund der Bucht Schwermetalle aufgewirbelt haben, die bereits vor Baubeginn dort abgelagert wurden. Diese Schwermetalle sowie die Absaugarbeiten selbst und der erhöhte Schiffsverkehr in der Bucht im Zuge der Bauarbeiten werden als Gründe für das Fischsterben angeführt. Proteste der FischerInnen und Klagen auf Schadensersatz bleiben seit Jahren erfolglos. Weder die TKCSA noch die brasilianischen Behörden oder Gerichte haben den Protesten der FischerInnen Gehör geschenkt.


Schadenersatzklagen aktuell ohne Aussicht auf Erfolg

Welche Chance eine Klage der FischerInnen gegen die ThyssenKrupp AG vor einem deutschen Gericht hätte - diese Frage beantwortet eine juristische Studie, die im Rahmen der Kampagne Rechte für Menschen - Regeln für Unternehmen verfasst worden ist. Die Studie untersucht exemplarisch anhand der Auslandstätigkeiten von ThyssenKrupp und Aldi die Haftung von Unternehmen für Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen durch ihre im Ausland angesiedelten Töchter und Zulieferer. Nach geltendem deutschen Recht hätten Schadensersatzklagen von Geschädigten gegen die in Deutschland ansässigen Unternehmen derzeit keine Aussicht auf Erfolg. Deshalb schlussfolgert die Studie, dass das deutsche Recht reformiert werden muss.

Eine Klage der brasilianischen FischerInnen beispielsweise würde schon daran scheitern, dass nach dem so genannten Trennungsprinzip Mutter- und Tochterunternehmen juristisch selbständig sind. Das heißt Mutterunternehmen haften grundsätzlich nicht für ihre Tochterunternehmen, egal, ob sie diese maßgeblich steuern und an deren Gewinnen beteiligt sind. Die Kampagne Rechte für Menschen - Regeln für Unternehmen fordert daher unter anderem die Aufhebung des Trennungsprinzips und die Einführung einer direkten Haftung des Mutterunternehmens bei menschenrechtsverletzenden oder umweltschädigenden Aktivitäten ihres Tochterunternehmens. Die Klage der brasilianischen FischerInnen wäre bei Umsetzung dieser Forderung ein gutes Stück erfolgversprechender.


Drei Hauptforderungen

Das europäische Netzwerk für Unternehmensverantwortung, die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ), hat drei Hauptforderungen zur Verbesserung der Haftung in Europa ansässiger Unternehmen für ihre Aktivitäten im Ausland entwickelt:

1. Eine verstärkte Haftung von Unternehmen für ihre Tochterunternehmen sowie für ihre Zulieferer.

2. Offenlegung von Informationen über die Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit auf Menschen und Umwelt - also umfassende, verifizierbare und vollständige Berichts- und Publizitätspflichten im Bereich Menschenrechte und Umwelt.

3. Zugang zu Gerichten in Europa und Anwendung deutschen bzw. europäischen Rechts.

Um die Forderungen bekannt zu machen und um breite Unterstützung zu werben, läuft bis Ende des Jahres die Kampagne Rechte für Menschen - Regeln für Unternehmen. Im Dezember sollen 100.000 Unterschriften dem Europäischen Rat übergeben werden. Die Kampagne kann online auf www.rechtefuermenschen.de unterstützt werden. Jede Stimme zählt!

Johanna Kusch ist Referentin für Unternehmensverantwortung bei Germanwatch.
kusch@germanwatch.org


Kampagnenwebsite:
www.rechtefuermenschen.de
(mit Unterschriftenaktion)

Kampagnenmaterial zu bestellen bei
Johanna Kusch@germanwatch.org

Studie: "Unternehmensverantwortung - Vorschläge für EU-Reformen. Eine juristische Analyse der Auslandstätigkeit zweier deutscher Unternehmen"

Kampagnenflyer mit Aktionspostkarte: Rechte für Menschen - Regeln für Unternehmen

Die deutschen Aktivitäten zur Kampagne Rechte für Menschen - Regeln für Unternehmen werden vom CorA-Netzwerk für Unternehmensverantwortung getragen, in dem FIAN Mitglied ist. Germanwatch koordiniert die deutsche Kampagne für das CorA-Netzwerk.


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 2/2010, Juli 2010, S. 13
Herausgeber: FIAN-Deutschland e.V., Briedeler Straße 13, 50969 Köln
Tel. 0221/702 00 72, Fax 0221/702 00 32
E-Mail: fian@fian.de
Internet: www.fian.de

Erscheinungsweise: drei Ausgaben/Jahr
Einzelpreis: 4,50 Euro
Abonnementpreis: Standardabo 15,- Euro,
Förderabo 30,- Euro (Ausland zzgl. 10,- Euro)


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Oktober 2010