Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → FIAN

BERICHT/219: Faire Beschaffung - Die Europäische Kommission rudert zurück (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 2/2010
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Neues aus der Blumenkampagne
Faire Beschaffung: Die Europäische Kommission rudert zurück

Von Gertrud Falk


Das Ringen um die Einführung eines fairen Beschaffungswesens geht weiter. Während die Zahl der Kommunen wächst, die keine Produkte aus ausbeuterischer Kinderarbeit mehr kaufen wollen, rudert die Europäische Kommission in ihrem Entwurf eines Handbuchs für die öffentliche Beschaffung zurück. Die Einhaltung sozialer Standards bei der Produktion einer Ware soll nicht als Produktmerkmal akzeptiert werden.

In seinem Bericht über neue Entwicklungen in der öffentlichen Beschaffung an die Europäische Kommission kritisiert der Ausschuss für den Binnenmarkt und Verbraucherschutz des Europäischen Parlaments unter anderem mangelnde Klarheit zur Umsetzung eines sozial verantwortlichen Beschaffungswesens. Die Kommission müsse klar stellen, dass Behörden beim Kauf von Waren und Dienstleistungen die Einhaltung von Sozialstandards bei der Produktion und in der Lieferkette verlangen können. Die Kommission solle darüber hinaus öffentliche Einrichtungen dazu ermutigen, Standards des fairen Handels in ihre Ausschreibungen aufzunehmen.

Der Bericht kommt rechtzeitig, um den Entwurf für ein Handbuch zur öffentlichen Beschaffung der Europäischen Kommission noch zu korrigieren. Denn darin schränkt die Kommission die Möglichkeit, die Einhaltung von Sozialstandards bei der öffentlichen Auftragsvergabe zu berücksichtigen, stark ein. Zum einen dürfe eine Behörde nicht einfach die Kriterien eines Gütesiegels in seine Ausschreibung übernehmen. Das würde gegen die Gebote der Nicht-Diskriminierung und des Wettbewerbs verstoßen. Zum anderen würden soziale Standards, im Unterschied zu ökologischen Kriterien, nicht die Eigenschaft eines Produktes beeinflussen. Eine schwer nachvollziehbare Position. Denn dem Strom aus erneuerbaren Energien gesteht die Kommission diese besondere Produkteigenschaft durchaus zu, obwohl er in der Anwendung keinen Unterschied zu Strom aus nicht-erneuerbaren Energiequellen macht.

Mit einer so restriktiven Auslegung würde die Europäische Kommission die Bemühungen vieler Organisationen unterlaufen, die sich national und regional erfolgreich für ein faires Beschaffungswesen einsetzen. So haben am 12. Juni 2010 38 Ruhrgebietsstädte die so genannte Magna Charta Ruhr 2010 unterzeichnet, mit der sie sich selbst verpflichten, keine Produkte mehr zu kaufen, die unter ausbeuterischer Kinderarbeit hergestellt wurden (www.faire-Kulturhauptstadt.de). Der Rat der Stadt Bremen ist darüber hinaus gegangen und hat beschlossen, dass die Verwaltung bei Beschaffungen auch die Einhaltung der Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation sowie Tariftreue verlangen muss. Rund 140 Kommunen in Deutschland haben darüber hinaus Beschlüsse zur Einführung eines fairen Beschaffungswesens gefasst (www.aktiv-gegen-kinderarbeit.de).

Eine restriktive Auslegung der entsprechenden EU-Richtlinie würde diese Kommunen der Gefahr aussetzen, von Unternehmen verklagt zu werden, die sich durch die Forderung nach der Einhaltung von Sozialstandards in Ausschreibungen benachteiligt sehen. In den Niederlanden hat beispielsweise der Kaffeeröster Douwe Egberts gegen die Stadt Den Helder geklagt, weil er sich vom Wettbewerb ausgeschlossen sah. Die Stadt Den Helder hatte in einer Ausschreibung für einen Liefer- und Servicevertrag für die Versorgung mit Kaffee und Kakao die Einhaltung der Kriterien des fairen Handels zur Bedingung gemacht. Utz Certified, der Zertifizierer von Douwe Egberts, erfüllt diese Standards nur zum Teil. Das zuständige Bezirksgericht in Alkmaar hat aber am 18. März 2010 entschieden, dass die Kommune Den Helder sehr wohl die Einhaltung der Kriterien des fairen Handels verlangen darf, solange sie nicht die Lieferung mit Waren mit einem bestimmten Siegel. fordert (KG Nummer 117231/KG ZA 10-44). In Bezug auf Strom aus erneuerbaren Energien sind solche Klagen in der Vergangenheit von verschiedenen Gerichten ebenfalls abgewiesen worden. Sollte die EU ihre restriktive Auslegung zu Sozialstandards als Kriterium in der Öffentlichen Beschaffung beibehalten, ist zu befürchten, dass die Rechtsprechung sich in Zukunft daran orientiert.


Unterschriftenaktion

FIAN und die Kampagne fair flowers - Mit Blumen für Menschenrechte unterstützen diese Stellungnahme des Parlamentsausschusses. Die Unterstützung eines fairen Beschaffungswesens ist Teil der vier Kernforderungen der Kampagne. Am 1. Juni hat die Kampagne mit Unterstützung des Netzwerks Solidar im Europäischen Parlament um Unterstützung für seine an die EU gerichteten Forderungen nach menschenwürdigen Arbeitsbedingungen für BlumenarbeiterInnen geworben. Teil des Forderungskatalogs ist eine stärkere Unterstützung des fairen Beschaffungswesens in den Mitglieds-Ländern und den EU-Behörden. 33 EU-Abgeordnete haben die Forderungen bereits unterzeichnet. Machen Sie mit und unterstützen Sie die Forderungen mit Ihrer Unterschrift (Unterschriftenliste siehe online unter: http://www.ipetitions.com/petition/fairflowers/)


*


Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 2/2010, Juli 2010, S. 20
Herausgeber: FIAN-Deutschland e.V., Briedeler Straße 13, 50969 Köln
Tel. 0221/702 00 72, Fax 0221/702 00 32
E-Mail: fian@fian.de
Internet: www.fian.de

Erscheinungsweise: drei Ausgaben/Jahr
Einzelpreis: 4,50 Euro
Abonnementpreis: Standardabo 15,- Euro,
Förderabo 30,- Euro (Ausland zzgl. 10,- Euro)


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. November 2010