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LATEINAMERIKA/067: Paraguay - Bauernlegen für den Export (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 2/2011
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Bauernlegen für den Export


Im April 2011 waren Perla Álvarez Britez von der Organisation CONAMURI und Marcos Andrés Glauser vom Sozialforschungsinstitut BASE IS aus Paraguay in Deutschland um über die Zusammenhänge zwischen Landraub und Importen von Soja und Holzkohle zu informieren. FIAN organisierte Gesprächstermine mit Verantwortlichen in Deutschland und Informationsveranstaltungen, bei denen die Beiden über die Auswirkungen der vermehrten Sojaproduktion in Paraguay berichteten. Die Rundreise wurde unterstützt von Misereor.

FRAGE: Welche Eindrücke nehmt ihr von der Rundreise mit nach Hause?

MARCOS: Das zentrale Thema unseres Besuches, Land Grabbing, weckte großes Interesse, sowohl bei Nichtregierungsorganisationen als auch bei PolitikerInnen. Wir bedauern, dass wir von den angesprochenen Unternehmen, die mit Importen aus Paraguay zu tun haben, nicht zu Gesprächen empfangen wurden.

FRAGE: Welches waren die am meisten angesprochenen Themen in Bezug auf Paraguay, Deutschland und die Beziehungen zwischen den beiden Ländern?

PERLA: Die PolitikerInnen wollten vor allem wissen, was sie "für Paraguay tun können"! Es werde doch schon viel, getan. Deutschland importiere Produkte aus Paraguay...! Immerhin werden Maßnahmen gegen das Übermaß an Agrochemikalien erwogen.

MARCOS: Von PolitikerInnen wurde uns auf unsere Ausführungen zur Landwirtschaftspolitik und zu Land Grabbing geantwortet, da "könne man sich nicht einmischen", das seien interne Angelegenheiten des Landes. Damit werden natürlich die tatsächlichen Einflussmöglichkeiten einfach geleugnet. Auch durch den Konsum können Deutsche die Situation in Paraguay beeinflussen.

FRAGE: Wie beurteilt ihr Ernährungssicherheit und Gesundheit der paraguayischen Bevölkerung? Haltet ihr die Ernährungssouveränität für Wirklichkeit oder Fiktion?

PERLA: Die Ernährungssituation in Paraguay ist kritisch. Die Armut wächst und damit Fehl- und Unterernährung: 15 Prozent sind unterernährt, 40 Prozent der Bevölkerung leben in prekären Verhältnissen. Paraguay muss Nahrungsmittel aus Argentinien importieren.

FRAGE: Der Ausverkauf in eurem Land hat bedrohliche Züge angenommen. In der Studie von Marcos gibt es eindeutige Beweise dafür. Welche Schutzmaßnahmen sollte der paraguayische Staat treffen?

MARCOS: Die Regierung muss für ein nationales Kataster sorgen. Die Gesetze und Vorschriften über den Einsatz von Agrochemikalien müssen beachtet werden. Je mehr Land in ausländische Hände gelangt desto geringer werden die Handlungsmöglichkeiten der Regierung. Der Gesetzgeber müsste endlich eine Begrenzung für die Größe von Ländereien ausländischer Eigentümer einführen. Die LandeigentümerInnen müssen Steuern zahlen!

FRAGE: Welche Auswirkungen hat die Exportlandwirtschaft für die Bevölkerung Paraguays?

MARCOS: Wir erleben in Paraguay einen Prozess des Bauernlegens und der Vertreibung der ländlichen Bevölkerung aus ihrem Lebensgebiet. Das Vordringen der agroindustriellen Landwirtschaft zeigt schon längst seine negativen Auswirkungen. Während langer Zeit waren die indigenen Völker und die bäuerlichen Gemeinschaften in der Lage, ihre eigenen Lebensmittel in ausreichender Menge zu erzeugen ohne dabei ihre Umwelt zu zerstören. Auf Grund des Vormarsches der industriellen Landwirtschaft und ihrer Förderung durch die Regierung ist auch die Vielfalt des heimischen Saatgutes verloren gegangen. Heute sind die Bauern abhängig vom Saatgut und den agrochemischen Produkten der großen Konzerne. Beides wird importiert. Jedes Jahr werden in den Plantagen 24 Millionen Liter Chemikalien ausgebracht. Die Besprühungen erfolgen ohne jegliche Vorsichts- und Schutzmassnahmen. Auch die Daten zur 'Landverteilung sind einfach und belastbar. Die kleinbäuerliche Familienlandwirtschaft verfügt zwar nur über 6,3 Prozent des landwirtschaftlich nutzbaren Bodens, gibt aber 60 Prozent der auf dem Land lebenden Bevölkerung Arbeit. Je größer die landwirtschaftlichen Betriebe sind, desto weniger Menschen beschäftigen sie pro Hektar Fläche. Auf 1.000 Hektar kleinbäuerlichen Landes kommen so durchschnittlich 518 Arbeitsstellen, jeweils eine auf zwei Hektar. In den Großbetrieben von mehr als 10.000 Hektar entsteht gerade mal ein Arbeitsplatz für eine Fläche von 1000 Hektar. Das sind offizielle Daten der Regierung.

FRAGE: Was fällt euch zu Deutschland ein, wenn ihr an euer Land denkt?

MARCOS: Die Sojabohnen aus Paraguay werden nach Deutschland exportiert, um Tiere damit zu füttern. Der Fleischkonsum in Deutschland beeinflusst die Lebensqualität der bäuerlichen Bevölkerung Paraguays und trägt zur Verletzung ihres Menschenrechts auf Nahrung bei. Aus dem Chaco, einer Region mit einem hochempfindlichen Ökosystem und verhältnismäßig zahlreicher indigener Bevölkerung stammt die Holzkohle, die in Paraguay produziert wird. Über ein Viertel dieses von Deutschland eingeführten Produktes kommt aus Paraguay...


Das Interview führte Jürgen Stahn, Mitglied der FIAN-Gruppe Hamburg.


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 2/2011, August 2011, S. 8
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Oktober 2011