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LATEINAMERIKA/071: Brasiliens Politik zur Ernährungssicherung (FoodFirst)


FoodFirst Ausgabe 2/2015
FIAN Deutschland - Mitgliedermagazin für das Menschenrecht auf Nahrung

Brasiliens Politik zur Ernährungssicherung

Von Bettina Koyro


Seit Anfang 2000 haben in Brasilien soziale Bewegungen die Diskussion um die Themen "Ernährungssicherung" und "Recht auf Nahrung" vorangebracht. Gleichzeitig ist diese Debatte in Gesetze gefasst und durch verschiedene politische Programme und Maßnahmen zumindest teilweise verwirklicht worden. Doch steht die volle Venrvirklichung des Rechts auf Nahrung weiterhin vielen Herausforderungen gegenüber.


Das Gesetz zur Ernährungssicherung

Mit dem Gesetz zur Nahrungssicherung (LOSAN), wurde 2006 die Einklagbarkeit des Menschenrechts auf Nahrung festgeschrieben und das nationale System zur Ernährungssicherung verfasst. Es besteht aus vier Komponenten:

1. Die nationale Ernährungssicherungskonferenz wird alle vier Jahre abgehalten. Ihr voraus gehen Konferenzen in den verschiedenen Regionen Brasiliens, auf denen Probleme der Ernährungssicherung erörtert, Verbesserungsvorschläge beschlossen und Delegierte für die Räte für Ernährungssicherung gewählt werden (s. 2.). Die Zivilgesellschaft ist unter anderem durch soziale Bewegungen, Landlose und Indigene vertreten, die Regierung durch Angestellte des öffentlichen Dienstes. Die Privatwirtschaft ist aufgrund der starken Organisation der Zivilgesellschaft bisher nur schwach vertreten. Die Konferenz hat richtungsweisenden Charakter und ist die höchste Entscheidungsinstanz für politische Maßnahmen der Ernährungssicherung im Land. Sie beschließt auch Richtlinien und Prioritäten für den nationalen Vierjahresplan der Nahrungssicherung (s. 3.).

2. Die nationalen Räte für Ernährungssicherheit (CONSEA) beraten die Regierung der verschiedenen politischen Ebenen zur Verwirklichung des Menschenrechts auf Nahrung. Sie sind verantwortlich für die Einberufung der Konferenzen (s. 1.) und für die Umsetzung der dort verabschiedeten Vorschläge. Darüber hinaus können sie stellvertretend für die betroffene Bevölkerung gegen die Regierung klagen, wenn diese ihren Verpflichtungen zur Verwirklichung des Rechts auf Nahrung nicht nachkommt.

3. Die interministerielle Kammer für Ernährungssicherheit vereinigt VertreterInnen von 20 Ministerien, diein irgendeiner Weise mit dem Thema zu tun haben. Sie erstellt den nationalen Vierjahresplan zur Ernährungssicherung des Landes.

4. Weitere staatliche Einrichtungen zur Nahrungssicherung.

Die Arbeit aller Einrichtungen basiertauf den folgenden Säulen:

  • dem Prinzip der Universalität des Zugangs zu Nahrung,
  • der Beteiligung der Bevölkerung bei Entwurf, Ausführung und Kontrolle der Maßnahmen, sowie
  • der Transparenz der Programme und der Verwendung von öffentlichen Geldern.

Wesentliche Maßnahmen zur Verwirklichung des Rechts auf Nahrung.

Im Rahmen dieses Systems wurden bereits wichtige politische Maßnahmen zur Verwirklichung des Rechts auf Nahrung in Brasilien ergriffen:

  • das Programm für Schulspeisungen, das bereits 1955 eingerichtet wurde, seit 2003 aber wesentliche Verbesserungen erfahren hat; beispielsweise müssen nun mindestens 30 Prozent der verwendeten Nahrungsmittel aus kleinbäuerlicher Landwirtschaft kommen. So wird die örtliche Landwirtschaft gefördert und eine möglichst gesunde Ernährung der Kinder sichergestellt.
  • weitere Programme zur Förderung kleinbäuerlicher Landwirtschaft;
  • öffentliche Einrichtungen zur Ernährung, wie Volks- und Gemeindeküchen;
  • das Programm "Erziehung zur Ernährung".

Herausforderungen

Trotz aller Fortschritte in der Gesetzgebung und durch politische Maßnahmen gibt es noch genügend Herausforderungen im Kampf für das Recht auf Nahrung in Brasilien. Derzeit besteht die größte Aufgabe darin, das nationale System auf die einzelnen Bundesstaaten und Kommunen zu übertragen. Obwohl es in vielen Bezirken bereits Räte für Ernährungssicherung gibt, funktioniert deren Kontrolle über die politischen Maßnahmen nur unzureichend. Denn die wenigsten Räte sind dazu ausreichend informiert und organisiert. In der Folge sind sie daher auch nicht in der Lage, das Recht auf Nahrung für hungernde Bevölkerungsgruppen gegenüber den Behörden einzuklagen.

Die Regierung zögert, die schon lange nötige Agrarreform voranzutreiben. Es fließt ungleich viel mehr Geld in die Agrarindustrie als in die kleinbäuerliche Landwirtschaft, obwohl 70 Prozent aller in Brasilien konsumierten Nahrungsmittel aus kleinbäuerlichen Betrieben kommen. Indigene und andere ethnische Minderheiten haben keinen ausreichenden Zugang zu Land. Oft fließen staatliche Gelder, die den KleinbäuerInnen zugute kommen sollen, in die Hände von Nahrungsmittelkonzernen. Seit 2008 ist Brasilien zudem das Land mit dem höchsten Verbrauch von Agrargiften. JedeR BrasilianerIn schluckt im Jahr durchschnittlich fünf Liter Gift.


Bettina Koyro ist in der brasilianischen Landlosenbewegung aktiv.

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Quelle:
FoodFirst - FIAN Deutschland - Mitgliedermagazin für
das Menschenrecht auf Nahrung, Ausgabe 2/2015, Seite 7
Herausgeber: FIAN Deutschland e.V., Briedeler Straße 13, 50969 Köln
Tel. 0221/7020072, Fax 0221/7020032
E-Mail: fian@fian.de
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. November 2015

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