Fian - Pressemitteilung vom 10. Oktober 2019
Internationale Menschenrechtsorganisation für das Recht, sich zu ernähren
Welternährungstag: Hungerzahlen steigen stark an
317 Millionen Personen mehr als vor vier Jahren / ein Viertel der Weltbevölkerung betroffen
Die Menschenrechtsorganisation FIAN Deutschland weist anlässlich des Welternährungstags am 16. Oktober darauf hin, dass die Zahl der an "mittlerer oder schwerer Ernährungsunsicherheit" leidenden Menschen - weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit - in nur vier Jahren um 317 Millionen auf nun über zwei Milliarden Personen gestiegen ist. Dies zeigen jüngste Zahlen der Welternährungsorganisation FAO. Zugleich ist die Datenlage zur Zahl der Todesfälle durch Hunger und Mangelernährung lückenhaft: Schätzungen liegen zwischen 9 und 36 Millionen Menschen pro Jahr.
"Das Recht auf Nahrung von einem Viertel der Weltbevölkerung wird verletzt. Dies ist ein politischer Bankrott angesichts von Rekordernten und vollen Nahrungsmittelspeichern", so Philipp Mimkes, Geschäftsführer von FIAN Deutschland. "Hungernde sind meist marginalisiert, weswegen dieses stille Drama in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wird."
Exemplarisch ist die Entwicklung in Südamerika, einem von der industriellen Agrarwirtschaft dominierten Kontinent: Trotz gewaltiger Expansion der Agrarflächen ist regelmäßiger Hunger dort stark angestiegen. 131 Millionen Menschen sind betroffen, ein Anstieg um 67 % seit dem Jahr 2014. Südamerika ist bekannt für die aggressive Expansion der Produktion weniger Agrargüter wie Soja, Rindfleisch oder Zuckerrohr. "Dieses industrielle Agrarmodell wird immer wieder als "modern" betitelt - auch von den davon profitierenden Agrarkonzernen wie Bayer, BASF oder Syngenta. Es ist jedoch viele Jahrzehnte alt und geht an den Bedürfnissen der Hungernden vollkommen vorbei. Dies zeigen die Zahlen aus Südamerika auf erschreckend deutliche Weise", so Roman Herre, Agrarreferent von FIAN Deutschland.
Zu den wichtigsten Hungerursachen gehören soziale Ungerechtigkeit, Diskriminierung und ungerechte Handelsstrukturen. FIAN fordert daher eine menschenrechtlich ausgerichtete Hungerbekämpfung, die - neben der akuten Katastrophenhilfe, der Bekämpfung der Erderhitzung und der Beendigung kriegerischer Konflikte - zuerst die Rechte marginalisierter Bevölkerungsgruppen stärkt.
Definitionen
Die FAO hat 2019 zur Hungerbemessung erstmals umfassende Daten des neuen
Indikators FIES (Food Insecurity Experience Scale) berücksichtigt. Er
beruht im Gegensatz zum klassischen Indikator Prevalence of
Undernourishment (PoU) auf konkreten Haushaltsbefragungen. Die weltweite
Erhebung des FIES-Indikators ermöglicht eine genauere Analyse der
Hunger-Ursachen, obgleich eine Aufschlüsselung nach Ländern weiterhin
fehlt.
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Hintergrund zum FIES
Der FIES wurde als zusätzlicher Indikator zur Erreichung von SDG 2 ("Den
Hunger weltweit bis zum Jahr 2030 beenden") etabliert. Er kann
unterschiedliche Schweregrade von Hunger und Ernährungsunsicherheit messen.
Mit dem diesjährigen Bericht der FAO zu Hungerzahlen (SOFI, Juli 2019)
wurden erstmals Zahlen zu "moderater Ernährungsunsicherheit" (moderate food
insecurity) veröffentlicht. Zudem bietet der neue Indikator die
Möglichkeit, die Daten zu disaggregieren - also nach Geschlecht, Alter,
Wohnort etc. aufzuschlüsseln. Dadurch können zugrundeliegenden Ursachen von
Hunger deutlich besser analysiert und die Wirkung politischer Maßnahmen auf
marginalisierte Gruppen hergestellt werden.
Rekordernten und Lagerbestände
Die Weltgetreideernte beinhaltet die Ernte der global bedeutendsten
Grundnahrungsmittel Weizen, Mais und Reis. Laut FAO (Food Outlook 5/2019)
ist die Weltgetreideernte in den letzten 10 Jahren stark angestiegen, von
2,2 auf 2,8 Milliarden Tonnen (+27%). Die Weltbevölkerung ist im gleichen
Zeitraum um 11% gewachsen. Auch die Weltgetreidespeicher sind deutlich
besser gefüllt als noch vor 10 Jahren (852 Millionen Tonnen gegenüber 520
Millionen Tonnen).
Wie viele Menschen sterben an Hunger?
Es gibt keine systematischen Untersuchungen zu der Zahl der Menschen, die
an den Folgen von Hunger und Mangelernährung sterben. Verschiedene
UN-Organisationen haben dazu unterschiedliche Schätzungen veröffentlicht.
Laut FAO-Bericht aus dem Jahr 2002 sterben täglich 25.000 Menschen an den
Folgen von Hunger und Mangelernährung, somit 9,1 Millionen pro Jahr. Laut
dem damaligen UN-Sonderberichterstatter zum Recht auf Nahrung starben 2006
etwa 36 Millionen Menschen an den Folgen von Hunger und Mangelernährung.
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Quelle:
Pressemitteilung vom 10. Oktober 2019
Herausgeber: FIAN-Deutschland e.V., Briedeler Straße 13, 50969 Köln
Telefon: 221/702 00 72, Fax: 0221/702 00 32
E-Mail: fian@fian.de
Internet: www.fian.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Oktober 2019
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