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ASIEN/040: Gemeinsam gegen Straflosigkeit und Menschenrechtsverletzungen in Nepal


peace brigades international - Internationale Friedensbrigaden
pbi Rundbrief 03/10

Die Täter leben ganz in der Nähe
Gemeinsam gegen Straflosigkeit und Menschenrechtsverletzungen in Nepal

Von Johanna Fricke


"Frieden ist das Allerwichtigste für Nepal. Nur, wenn die Opfer Gerechtigkeit erfahren und unsere Stimmen gehört werden, können wir dauerhaften Frieden haben", sagt Laxmi Devi Khadka (39) aus dem nepalesischen Distrikt Bardiya. Seit dem gewaltsamen Verschwinden ihres Mannes engagiert sie sich als Vorstandsmitglied des "Komitee für Opfer des Konflikts" (CVC) für die Opfer des nepalesischen Bürgerkriegs. CVC ist eine der lokalen Organisationen, mit denen pbi Nepal zusammenarbeitet.


Der Abend des 13. März 2004 hat das Leben von Laxmi Devi Kadka und ihrer Familie grundlegend verändert. Zwei Männer besuchten ihr Haus, gelegen im mittleren Westen Nepals außerhalb des Ortes Gulariya, um mit ihrem Ehemann Dil zu sprechen. "Sie sagten mir, sie hätten etwas Geschäftliches mit ihm zu erledigen", erinnert sie sich. Dann führten sie ihn ab. Es war das letzte Mal, dass Laxmi und ihr Sohn ihn sahen.

Der damals 49-jährige Farmer ist eines der vielen Opfer der Bürgerkriegsdekade in Nepal. Laut Schätzungen des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte (OHCHR) belaufen sich die Zahlen gewaltsam Verschwundener in Nepal auf über 1000, zusätzlich zu den vielen, die in den Kämpfen der maoistischen Volksarmee (PLA) gegen die Truppen der monarchistischen Regierung ihr Leben ließen. Der Distrikt Bardiya im mittleren Westen verzeichnet die meisten Opferzahlen.


Straflosigkeit und politische Instabilität schützen die Täter

Der blutige Bürgerkrieg, den die Kommunistische Partei Nepals - Maoisten (CPN-M) gegen die königliche Regierung seit 1996 geführt hat, wurde 2006 mit einem Friedensabkommen beigelegt. Seit dem Abdanken König Gyanendras im Mai 2008 ist Nepal eine Republik. Aber auch nach vier Jahren des Friedens werden die vielen Verbrechen gegen Menschenrechte, Entführungen, Vergewaltigungen, Folter und Morde nicht aufgearbeitet. Und viele der früheren Machthaber bekleiden auch heute noch ihre Posten. Laxmi Devi Khadka kennt die Identität der Entführer ihres Mannes, sie leben sogar ganz in ihrer Nähe. Die wiederholten Versuche, etwas über Dils Verbleib herauszufinden, hatten jedoch Drohungen gegen Laxmi und ihren Sohn zur Folge.

Das Wissen, dass die Regierung die Täter deckt, macht für viele Opfer eine direkte Konfrontation mit den Schuldigen zu gefährlich. Es sei besonders die Instabilität der gegenwärtigen politischen Lage, welche die Arbeit für MenschenrechtsaktivistInnen schwieriger macht als noch zu Zeiten des Konflikts, sagt Indira Ghale. Sie setzt sich seit Jahren für die Rechte marginalisierter Minderheiten in Nepal ein und arbeitet unter anderem für die Organisation "Protection Desk Nepal". Anstatt zweier Kontrahenten, der Regierungspartei und der maoistischen Rebellen, bestimmen nun viele verschiedene Akteure das politische Geschehen. Uneinigkeit zwischen den drei größten Parteien, der Nepalesischen Kongresspartei (NC), der Vereinigten Kommunistischen Partei Nepals - Maoisten (UCPN-M) und der Kommunistischen Partei Nepals - Vereinigte Marxisten / Leninisten (CPN-UML) blockieren die Handlungsfähigkeit des Parlaments. Außerdem gibt es parteiinterne Differenzen.

Dazu kommt, dass Verbrechen gegen Menschenrechte auf beiden Seiten der früheren Konfliktparteien begangen wurden. Besonders im ländlichen Raum fühlen sich viele Familien, die durch Mitglieder der maoistischen Volksarmee verschleppt wurden, isoliert. Denn die meisten Opfer in ihrer Umgebung wurden im Gegensatz dazu durch Militärkräfte verschleppt. Die Betroffenen gehören außerdem häufig zu Gruppen von Minderheiten, die im hinduistischen Kastensystem seit langem einen niederen gesellschaftlichen Stand einnehmen. Zwar ist das Kastensystem in Nepal offiziell abgeschafft, doch die gesellschaftlichen Strukturen sind weitgehend erhalten geblieben. Besonders Frauen, ethnische Minderheiten oder Menschen, die traditionell der Kaste der "Unberührbaren" (Dalit) angehören, werden häufig Opfer gewaltsamer Übergriffe. Erst im März 2010 wurden drei Dalit-Frauen von nepalesischen Militärs ermordet.


CVC - Mehr Stimmen sind lauter als eine allein

Auch Laxmi Devi Khadka war zunächst auf sich allein gestellt. Trotz ihrer prekären Situation als alleinerziehende Mutter und entgegen massiver Gewaltandrohungen suchte sie nach ihrem Mann. Ihre Situation änderte sich, als sie noch im selben Jahr von einer großen Versammlung im Dorf erfuhr, auf der über Bürgerkriegsopfer aus ihrem Distrikt Bardiya gesprochen werden sollte: "Als ich das erste Mal von diesem Treffen hörte, ging ich zwar hin, aber ich war sehr besorgt und hatte Angst. Da waren viele 'Staats-Opfer', aber ich bin ein Opfer der Maoisten", sagt Khadka. Die Versammelten gehörten zu der lokalen Organisation "Komitee für Opfer des Konflikts" (CVC), die sich 2006 in der Gründungsphase befand. Mehr als 200 Aktive, die selbst Opfer des Bürgerkriegs sind, setzen sich bei CVC gemeinsam für die Aufarbeitung der vielen Fälle von Verschwundenen und Ermordeten ein. Hinter der Gründung stand das Bedürfnis, sich bei der Suche nach Gerechtigkeit zu vernetzen und gegenseitig zu unterstützen. Öffentliche Informationsveranstaltungen und die Registrierung Verschwundener gehören zu ihren Aufgaben, ebenso wie die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen oder Einzelpersonen, die sich für die Menschenrechte einsetzen. Seit 2007 ist das "Komitee für Opfer des Konflikts" eine Partnerorganisation von pbi. CVC fragte Begleitung und Unterstützung durch pbi an, da die lokalen MenschenrechtsaktivistInnen häufig durch Drohungen an ihrer Arbeit gehindert werden. Laxmi, die inzwischen im Vorstand von CVC arbeitet, sagt über ihre Zusammenarbeit mit den Freiwilligen von pbi, sie fühle sich sicherer durch die Präsenz einer internationalen Öffentlichkeit.


"Speaking tour" in Europa und der Schweiz

Im Juli 2008 nahm Laxmis langjährige Suche ein Ende. Eine Untersuchungskommission der Vereinten Nationen registrierte 170 Fälle gewaltsamen Verschwindenlassens im Distrikt Bardiya. Für 156 Fälle sind staatliche Autoritäten verantwortlich, 14 wurden durch die maoistische Guerilla begangen. Auf Druck der Kommission gab die Vereinigte Kommunistische Partei Nepals - Maoisten (UCPN-M) die Tötung von zwölf der Gefangenen zu. Dil war einer von ihnen. Doch auch die offizielle Bekanntgabe von Folter und Ermordungen, die während des zehnjährigen Bürgerkriegs verübt wurden, führte bislang zu keiner Konsequenz für die Verantwortlichen. Nicht beendet ist deswegen auch Laxmis Arbeit bei CVC und die Hoffnung auf eine Verbesserung der Situation.

Im November 2009 reiste Laxmi gemeinsam mit Indira Ghale auf einer "speaking tour" nach Deutschland, Frankreich und in die Schweiz. Sie folgten der Einladung von pbi, um vor einem internationalen Publikum über die Rolle der Frauen in Nepals Friedensprozess zu berichten und in Gesprächen mit PolitikerInnen, JournalistInnen und Aktiven aus der Menschenrechtsarbeit um Unterstützung für ihren Wunsch zu werben: Frieden und Gerechtigkeit in Nepal. - pbi


Das pbi-Nepalprojekt

pbi ist seit 2006 in Kathmandu tätig und eröffnete aufgrund vermehrter Nachfrage 2008 ein zweites Büro in Gulariya (Terai-Region). Die Zusammenarbeit begann mit dem Anwaltsverband "Advocay Forum" (AF), dessen Mitglieder Rechtsbeistand für Konfliktopfer gewährleisten wollen. Heute gehören zu pbis Partnern auch das "Komitee für Opfer des Konflikts" (CVC), die "Organisation zur Förderung der Dalitfrauen" (DAFUO) sowie Devi Sunuwar.


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Quelle:
pbi Rundbrief 03/10, S. 3-4
Herausgeber: pbi Deutscher Zweig e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Dezember 2010