peace brigades international - Internationale Friedensbrigaden
pbi Rundbrief 01/10
Schwerer Stand für MenschenrechtlerInnen in Kolumbien
Medienkampagne diffamiert legitime Arbeit von Organisationen
Von Ole Wrobel
Menschenrechtsorganisationen in Kolumbien stehen auf einem schwierigen Posten. Bei Konflikten zwischen Regierung, Wirtschaft, Rebellen und Paramilitärs geraten sie zwischen die Fronten der Beteiligten eines seit Jahrzehnten andauernden Konfliktes. Ein Beispiel für diese Problematik und auch für die immer wieder erfolgreich versuchte Einflussnahme auf die Medien seitens verschiedener InteressenvertreterInnen bietet ein Artikel, der am 13. Dezember 2009 im Wall Street Journal erschienen ist.
Unter dem Titel "Die F.A.R.C. und die gemeinnützigen Organisationen" lässt die US-amerikanische Journalistin Mary O'Grady mit Daniel Sierra Martinez einen ehemaligen hochrangigen Kommandeur der Rebellenorganisation F.A.R.C. (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens) zu Wort kommen. Die Autorin beschreibt Verbrechen und Geschehnisse, die sich nach Aussagen des ehemaligen Rebellenkommandeurs so zugetragen haben sollen. Dieser befindet sich zur Zeit in den Händen des kolumbianischen Militärs. Seine Aussagen belasten die mit pbi zusammenarbeitenden Menschenrechtsorganisation "Justicia y Paz", die von pbi begleitete Friedensgemeinde "San José de Apartadó" und pbi selbst schwer. Sierra Martinez behauptet, sowohl Menschenrechtsorganisationen als auch Friedensgemeinden in Kolumbien würden Aktivitäten der Guerilla decken, verschleiern und Angehörigen der Guerilla Unterstützung geben.
Sehr einseitige journalistische Berichterstattung 0' Gradys
pbi Kolumbien weist die Vorwürfe in einem an die Autorin gerichteten offenen Brief zurück. In der im Internet auf Spanisch veröffentlichten Erklärung weist Emily Nelson stellvertretend für pbi auf eine sehr einseitige Berichterstattung der amerikanischen Journalistin hin. Der Artikel O'Gradys beruhe auf nur einer einzigen Quelle und sie habe die Aussagen des kolumbianischen Guerilleros Daniel Sierra Martinez veröffentlicht, ohne seine Angaben zu überprüfen. Die Journalistin habe es versäumt, mit den beschuldigten Organisationen wie "Justicia y Paz" oder pbi zu sprechen. Auch die beschuldigten Mitglieder der Friedensgemeinde "San José de Apartadó" wurden nicht interviewt. In ihrem Schlusssatz weist Emily Nelson auf die Gefahren hin, die in einem Land wie Kolumbien mit solchen Aussagen für die Betroffenen verbunden sind und bezeichnet die Anschuldigungen als höchst gefährlich.
Die im Wall Street Journal veröffentlichten Aussagen des ehemaligen Guerillakämpfers Daniel Sierra Martinez erscheinen zudem in einem anderen Licht, wenn man berücksichtigt, dass der Guerillero einem Angebot des kolumbianischen Präsidenten Álvaro Uribe folgte und sich dem Militär stellte, nachdem er das Vertrauen der F.A.R.C. verloren hatte. Das Angebot Uribes sichert geständigen Guerillakämpfern und Angehörigen der paramilitärischen Einheiten Strafminderung zu. Bedingung ist, dass diese sich den Behörden stellen und mit ihrer Vergangenheit abrechnen.
Für pbi Kolumbien sind diese Geschehnisse in höchstem Maß besorgniserregend. So ist der im Wall Street Journal erschienene Artikel auch nur die bisherige Spitze eines Berges an Diffamierungen und Angriffen auf Menschenrechtsorganisationen in Kolumbien. Vorausgegangen waren in den letzten Jahren eine Reihe von Veröffentlichungen einheimischer JournalistInnen in lokalen und landesweiten Medien. So äußerte sogar der im August 2002 gewählte kolumbianische Präsident Álvaro Uribe in einer Rede im Jahr 2003 die Ansicht, einige der in Kolumbien aktiven Menschenrechtsorganisationen könnten terroristische Aktivitäten im Lande decken.
Arbeit von MenschenrechtsverteidigerInnen geschwächt
Die Diffamierungsvorfälle stehen in direktem Zusammenhang mit der Arbeit der MenschenrechtsverteidigerInnen in der Region. "Justicia y Paz" und die Friedensgemeinde "San José de Apartadó" setzen sich für Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung in Bezug auf die zahllosen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der Region in den letzten zehn Jahren ein. Sie verbindet die Tatsache, dass sie Anklagen gegen die 17. Brigade der kolumbianischen Armee erhoben haben bzw. die Opfer in strafrechtlichen Prozessen gegen die 17. Brigade verteidigen.
Zur Zeit läuft ein Prozess gegen zehn hochrangige Militärs, die im Februar letzten Jahres festgenommen wurden. Sie sind angeklagt, an einem Massaker in der Friedensgemeinde San José de Apartadó im Februar 2005 beteiligt gewesen zu sein. Dabei starben acht Menschen. Kolumbianische Menschenrechtsorganisationen befürchten einen straffreien Ausgang für die Angeklagten in diesem Prozess. Ob ein Zusammenhang zu dem zeitgleich im Wall Street Journal erschienenen und unter anderem gegen die Friedensgemeinde von San José de Apartadó gerichteten Aufsatz von Mary 0' Grady zu sehen ist, liegt im Auge der BetrachterInnen.
pbi geht nach der Auswertung der Situation davon aus, dass pbi nicht das Hauptziel der Angriffe darstellt, sondern vielmehr die von pbi begleiteten Organisationen getroffen werden sollen. Der Versuch, die Arbeit von Menschenrechtsorganisationen in der Region zu delegitimieren, führt zu einer Schwächung der Schutzbegleitung. Dadurch werden die Möglichkeiten für MenschenrechtsverteidigerInnen, in einem sicheren Rahmen zu agieren, in Mitleidenschaft gezogen.
Unterstützung für einen friedlichen Weg ohne Waffen
Die Gegend um die Stadt Barrancabermeja ist reich an Bodenschätzen. Die Region Urabá bietet fruchtbare Böden und liegt strategisch günstig. Vor diesem Hintergrund sehen sich die BewohnerInnen dieser beiden Regionen immer wieder der Gefahr von Vertreibung und Entführungen ausgesetzt. Die von pbi begleitete Menschenrechtsorganisation "Justicia y Paz" unterstützt afrokolumbianische und indigene Gruppen und Gemeinden, die sich entschieden haben, auf friedlichem Wege und ohne Waffen für ihre eigenen Rechte einzutreten. Im bewaffneten innerkolumbianischen Konflikt sind die von "Justicia y Paz" begleiteten Gemeinden und die Organisation selbst immer wieder Opfer von gewaltsamen Übergriffen durch verschiedene AkteurInnen des Konfliktes. "Justicia y Paz" hat einen konfessionsübergreifenden, christlichen Hintergrund und setzt sich seit 18 Jahren für Gerechtigkeit und gewaltfreie Lösungen in Kolumbien ein.
Die beiden von pbi begleiteten Gemeinden in der Region Urabá waren in den letzten Monaten immer wieder das Ziel einseitiger und diffamierender Veröffentlichungen in Presse und Internet. Die Friedensgemeinden möchten ohne Verbindung zu den Beteiligten des innerkolumbianischen Konfliktes leben und verzichten auf Gewalt und den Einsatz von Waffen. Sie berufen sich auf das Humanitäre Völkerrecht, das den Schutz der Zivilbevölkerung in einem bewaffneten Konflikt vorsieht. Die Friedensgemeinden wurden in der Hoffnung, sich so vor erneuten Vertreibungen und Übergriffen schützen zu können, in den 1990iger Jahren in einigen Konfliktregionen Kolumbiens gegründet. Vor allem die Gemeinde von San José de Apartadó steht durch die Veröffentlichung im Wall Street Journal und durch den aktuell laufenden Prozess um die Verwicklung von Militärs in Straftaten gegen Gemeindemitglieder im Brennpunkt des Geschehens.
pbi machte in Gesprächen mit VertreterInnen der internationalen Gemeinschaft und der kolumbianischen Regierung diese Anschuldigungen als gezielte Verleumdungen kenntlich. Die Botschaften der Ländergruppen wurden gebeten, sich bei der kolumbianischen Regierung für den Schutz der kolumbianischen MenschenrechtsverteidigerInnen einzusetzen. Es bleibt zu hoffen, dass diese Unterstützung den Friedensgemeinden und "Justicia y Paz" ermöglicht, ihren Weg für Gewaltfreiheit und eine friedliche Lösung des Konflikts in Kolumbien ungehindert fortzusetzen. - pbi
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Quelle:
pbi Rundbrief 01/10, S. 13-14
Herausgeber: pbi Deutscher Zweig e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Juni 2010