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BERICHT/172: Inhaftierung eines Totalverweigerers (Forum Pazifismus)


Forum Pazifismus Nr. 15 - III/2007
Zeitschrift für Theorie und Praxis der Gewaltfreiheit

Truppendienstgericht Süd

Inhaftierung eines Totalverweigerers
Zweifel an fortgesetzter Verhängung von Disziplinararrest


Leitsatz (redaktionell): Die Beschwerde gegen die verhängte Disziplinarmaßnahme - 18 Tage Disziplinararrest - wird zurückgewiesen. Die - wie hier vorliegend zweite - Inhaftierung eines Totalverweigerers erscheint (noch) zulässig, wohingegen Zweifel bestehen, ob eine dritte Disziplinararrestmaßnahme noch verhältnismäßig wäre, da die einzelnen Dienstpflichtverletzungen auf einem einmaligen und fortwirkenden Ausgangsentschluss zur Verweigerung der sich aus der Wehrpflicht ergebenden Pflichten beruhen und Disziplinarmaßnahmen den Verweigerer in seiner Geisteshaltung nicht beugen dürfen.


TDG Süd, Beschluss vom 31.07.2007
Aktenzeichen: - Az: S 7 BLb 04/07 -

1. Der Beschwerdeführer musste am 09. Juli 2007 mit einem Disziplinararrest in Höhe von sieben Tagen belegt werden, weil er, seinen Einberufungsbescheid unbeachtend, unerlaubt seinen Wehrdienst nicht angetreten und nach der Zuführung durch die Feldjäger zur Rekrutenkompanie 5 in Bad Frankenhausen die Ausführung von Befehlen verweigert hatte. (...)

Nach Verbüßung des seinerzeit verhängten Disziplinararrestes erteilte der Zeuge OLt L. in seiner damaligen Funktion als Kompaniechef dem Beschwerdeführer zweimal den Befehl, sich der Einstellungsuntersuchung zu unterziehen. Nach der Weigerung des Beschwerdeführers, die Anordnung zu befolgen, kam es zur vorläufigen Festnahme. (...)

Da der Kompaniechef seine Disziplinargewalt nicht für ausreichend erachtet hatte, meldete er den Fall gem. Paragraph 30 Abs. 2 Nr. 1 WDO seinem nächsten Disziplinarvorgesetzten, dem Kommandeur Logistikbataillon 131, der nach der gesamten von ihm persönlich durchgeführten Ermittlung - nach richterlicher Zustimmung - am 16. Juli 2007 einen achtzehntägigen Disziplinararrest verhängte und sofort vollstreckte. (...)

Mit Schreiben vom 21. Juli 2007 beschwerte sich der Soldat gegen diese Disziplinarmaßnahme. In seiner am 23. Juli bei seinem nächsten Disziplinarvorgesetzten eingegangenen Beschwerde (...) beruft er sich zunächst auf seine bereits aus dem vorangegangenen Beschwerdeverfahren bekannt gewordene Argumentation, um zusätzlich geltend zu machen, dass der Befehl, sich einer Einstellungsuntersuchung zu unterziehen, gegen seine Menschenwürde verstoße. Abschließend weist er daraufhin, dass Anlass der neuerlichen Disziplinarmaßnahme seine "allgemeine Verweigerungshaltung" sei, und letztlich diese sich über einen längeren Zeitraum erstreckende "Tat" mehrfach geahndet würde.

II. Die Beschwerde ist zulässig, jedoch unbegründet. Der Tatvorwurf ist unbestritten; der Soldat zweifelt lediglich die Zulässigkeit einer neuerlichen Ahndung an. Damit ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer wissentlich und willentlich den am 16. Juli 2007 zweimal erteilten Befehl nicht befolgte.

III. Der Soldat hat durch sein Verhalten vorsätzlich ein Dienstvergehen nach Paragraph 23 Abs. 1 SG begangen und dabei die Treuepflicht (Paragraph 7 SG), die Gehorsamspflicht (Paragraph 11 SG) und die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten im Dienst (Paragraph 17 Abs. 2 S. 1) verletzt.

IV. Der Beschwerdeführer hat in seinem bisherigen Vorbringen unter Hinweis auf statistisches Zahlenmaterial die Wehrgerechtigkeit in Frage gestellt. Trotz der dazu entgegengesetzt stehenden herrschenden Rechtsprechung will die Kammer nicht unerwähnt lassen, dass sie die in der Vorlage an das Bundesverfassungsgericht erkennbar gewordene Auffassung des VG Köln (Beschluss vom 15. April 2005 - 8 K 8564/04; abgedruckt in 'Forum Pazifismus' 06, Nr. II/2005, Seite 28ff) nicht für offenkundig abwegig erachtet. Seinerzeit hat das VG eine Ungleichbehandlung gerügt, weil die alleinige Ausrichtung der Einberufungspraxis nach der Bedarfslage der Bundeswehr die Wehrgerechtigkeit gefährde. (...)

Allerdings ist es einem Wehrdienstgericht untersagt, im Zuge der Wertung einer Disziplinarmaßnahme den Einberufungsbescheid des Beschwerdeführers auf seine Rechtmäßigkeit zu prüfen. (...) Die Truppendienstkammer kann allenfalls die aus der Nichtbefolgung von Befehlen erkennbaren Motive des Beschwerdeführers beachten. (...)

Soweit der Soldat ausdrücklich eine Doppelahndung für eine Tat rügt, muss er auf dem entgegenstehende gängige Entscheidungspraxis des BVerfG sowie der Wehrdienstgerichte verwiesen werden (...).

Die zweimalige Disziplinierung eines "Totalverweigerers" erscheint zulässig, auch wenn einer Disziplinarmaßnahme nicht der Charakter zukommen darf, den Betroffenen in seiner Geisteshaltung beugen zu wollen. Allerdings hat die Kammer Zweifel, ob die Verhängung einer dritten Maßnahme noch verhältnismäßig ist, weil die einzelnen Dienstpflichtverletzungen auf dem Ausgangsentschluss des Soldaten beruhen, die Ausführungen von Zwangsdiensten und damit auch den militärischen Gehorsam zu verweigern.


Anmerkung der Redaktion: Nach der Verbüßung des Arrestes verweigerte der Totalverweigerer weiterhin jeglichen Dienst. Die deswegen von der Truppe beantragte - dritte - Disziplinarrestmaßnahme lehnte das Truppendienstgericht jedoch ab.

Zuvor hatte das Truppendienstgericht Süd (Az: S 7 BLb 03/07, Beschluss vom 17.07.2007) die Beschwerde des Totalverweigerers gegen die erste siebentägige Disziplinarrestmaßnahme zurückgewiesen, dabei allerdings in seiner Begründung festgestellt: "Das Gericht will nicht verschweigen, dass es tatsächlich ungerecht wirken muss, wenn in Anbetracht des verringerten Bundeswehrbedarfs an Wehrpflichtigen die Wehrersatzbehörden eine immer geringer werdende Zahl von Dienstposten mit Wehrpflichtigen besetzt. Bereits das VG Köln rügte in einer (nicht rechtskräftigen) Entscheidung vom 21. April 2004 (- 8 K 154/04 -), dass 'ein großer Teil der wehrdienstfähigen Männer bei der Einberufungsplanung von vornherein nicht ins Blickfeld genommen' werden (sic!) und hierbei seine Kritik mit statistischem Zahlenmaterial untermauert. Aber unabhängig davon, dass dieses Urteil durch Entscheidung des BVerwG vom 19. Januar 2005 aufgehoben worden ist steht es einem Wehrdienstgericht nicht zu, einen Einberufungsbescheid auf seine Rechtswidrigkeit bzw. Nichtigkeit hin zu überprüfen."


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Quelle:
Forum Pazifismus - Zeitschrift für Theorie und Praxis
der Gewaltfreiheit Nr. 15, III/2007, S. 18-19
Herausgeber: Internationaler Versöhnungsbund - deutscher Zweig,
DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen) mit der Bertha-von-Suttner-Stiftung der
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. November 2007