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BERICHT/183: Wiederstand gegen Krieg innerhalb der US-Armee stärken (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 1 - Februar/März 2008
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

Den Widerstand gegen Krieg innerhalb der US-Armee stärken

Von Elsa Rassbach


"Ich habe Alpträume. Ich kann nachts nicht schlafen", sagte US-Soldat Andrew Hegerty am 13. November dem US-Militärgericht in Vicenza, Italien. "Ich bin wirklich nicht fähig, einfach auf den Abzug zu drücken und jemanden zu erschießen."

Der 19-Jährige aus dem US-Bundesstaat Wisconsin hat schon 20 Monate in der US-Armee hinter sich. Nachdem er bereits sechs Monate in Afghanistan gekämpft hat, war er nicht bereit, wieder dorthin verlegt zu werden. Im letzten September versuchte er, aus der Armee heraus zu kommen und verweigerte auch den Befehl, sich für erneuten Einsatz in Afghanistan vorzubereiten.

Dafür muss er nun neun Monate ins Gefängnis, wird danach unehrenhaft aus der Armee entlassen, was ihm sein Leben lang ökonomische und berufliche Folgen bescheren wird. In der Armee ist er abgestempelt als Feigling, als einer, der seine Kameraden im Stich gelassen hat.

Die Haftstrafe muss er in Mannheim absitzen. Dort ist das zentrale US-Militärgefängnis für alle verurteilten US-SoldatInnen, die in Europa stationiert sind. Andrew wird dort auf Jeffrey Gauntt und James Blanks treffen, die ebenfalls den Einsatz in Afghanistan verweigert haben. Alle drei haben getrennt von einander agiert, obwohl sie derselben Einheit, der 173. Airborne, angehören. Aber deren Mitglieder sind an unterschiedlichen Orten in Deutschland und in Italien stationiert; Andrew und Jeffrey waren in Vicenza, James in Bamberg. Noch etwas haben die drei gemeinsam: Sie haben bei ihrer Verweigerung keinen Kontakt zu GI-Unterstützungsorganisationen gesucht.

Ebenfalls in Mannheim war Agustín Aguayo inhaftiert gewesen. Im September 2006 hat er sich aus seiner in Schweinfurt stationierten Einheit unerlaubt entfernt und wurde im März 2007 als Deserteur verurteilt. Geehrt wurde er nun im Dezember für sein Engagement gegen den Krieg im Irak mit dem Stuttgarter Friedenspreis (siehe den Bericht auf S. 9 in dieser ZivilCourage). Die Berichterstattung über die Preisverleihung und davor über Agustíns Prozess in Würzburg im letzten März hat öffentliche Aufmerksamkeit erhalten. Denn Agustín - und Andrew und Jeffrey - sind nicht alleine: Zunehmend mehr US-Soldaten sind aus moralischen und politischen Gründen gegen den Krieg und ihren Einsatz in Afghanistan und im Irak. Und nicht nur für die irakische und afghanische Bevölkerung sind diese Kriege lebensgefährlich, sondern auch für die Soldaten. Mindestens 60 Soldaten, die mit Agustín in Schweinfurt stationiert waren, sind seit seiner Verweigerung im Krieg ums Leben gekommen, Hunderte wurden schwer verwundet.

Gegen diesen bröckelnden Kampfeswillen fährt die US-Militärjustiz "schweres Geschütz" auf: Der Ankläger forderte im Verfahren gegen Andrew eine Haftstrafe von sechs Jahren. "Unser Militär kann es sich nicht leisten, die Soldaten ihre Pflicht nicht erfüllen zu lassen", begründete er dies und sagte, die ehrenvollste Sache, die ein Soldat tun könne, sei, "mit einer Einheit im Kampf zu dienen. Umgekehrt, die unehrenvollste Sache, die ein Soldat tun kann, ist, die Armee zu verlassen. Die Botschaft muss lauten: Der Einheit den Rücken zu kehren, die Armee zu verlassen, ist keine Option."


Immer mehr Fahnenflüchtige: Seit dem Jahr 2003 ist der Prozentsatz der US-Deserteure um 80 Prozent gestiegen, allein im letzten Jahr um 42 Prozent. Nach Angaben der US-Armee sind im Haushaltsjahr 2007 4698 SoldatInnen desertiert, im Vergleichszeitraum davor waren es 3301. Die Gesamtzahl seit dem 11.09.2001 liegt bei etwa 17.000.

Im Gegensatz zu der Zeit des Vietnam-Kriegs, als Kanada und Schweden Deserteure als Flüchtlinge aufnahmen, gibt es heute keine sichere Zuflucht für sie. Die Deserteure in Kanada kämpfen, unterstützt durch Kampagnen der kanadischen und US-Friedensbewegung, bislang vergeblich um den Asylstatus.

8000 in Europa stationierte GIs, die meisten davon in Deutschland, haben für dieses Jahr bereits Einsatzbefehle für den Irak und Afghanistan, erhalten. Die am stärksten betroffenen Gemeinden in Deutschland sind Bamberg, Baumholder, Grafenwöhr, Hohenfels, Ansbach-Illesheim, Kaiserslautern, Mannheim, Stuttgart and Wiesbaden. Allein in Baumholder haben 3800 GIs den Befehl erhalten, im März in den Irak zu gehen. Insgesamt 13.500 in Europa stationierte US-SoldatInnen sind zurzeit im Kriegseinsatz im Irak und in Afghanistan, die meisten werden wieder nach Deutschland zurückkehren.


Wie wichtig sind die US-Stützpunkte und Soldaten in Deutschland für die US-Kriegsführung?

Das US-Hauptquartier für Europa und den Nahen und Mittleren Osten Eucom (European Command) in Stuttgart befehligt 112.000 in Europa stationierte US-Soldaten, davon 68.000 in Deutschland. Das Pentagon unter US-Verteidigungsminister Rumsfeld hatte lange geplant, viele Truppenteile aus Deutschland in die USA zurück zu verlegen. Im letzten Jahr hat sein Nachfolger Gates diese Entscheidung rückgängig gemacht; der Grund: Die USA brauchen ihre Truppen in Deutschland, um die Kriege im Nahen und Mittleren Osten und in Afrika fortzuführen. Die Standorte Schweinfurt und Baumholder werden deshalb vorläufig nicht geschlossen.

Das US-Militär führt in Europa eine so genannte "strategische Transformierung" durch: Einige Stützpunkte werden geschlossen, andere hingegen erweitert. Am Ende soll es in Europa sechs "enduring communities" (ständige Gemeinden) oder "Main Operating Bases" geben, die als Fundament der US-Kriegeseinsätze dienen: eine in Italien (Vicenza/Dal Molin) und fünf in Deutschland (Ramstein/Kaiserslautern, Vilseck/Grafenwöhr, Ansbach/Katterbach/Ihlesheim, Spangdahlem und Wiesbaden). In alle diese US-Basen wird kräftig investiert. So wurde zum Beispiel die "Rhein-Main Air Base" geschlossen, während Ramstein entsprechend erweitert wurde.

Durch die Transformierung entsteht in einigen Gemeinden der Eindruck, die USA hätten vor, abzuziehen und Einrichtungen nach Osteuropa zu verlagern. Dies ist aber keineswegs der Fall. Weiterhin wollen die USA die meisten und wichtigsten überseeischen Militäranlagen in Deutschland erhalten.

Nach wie vor bleiben in Deutschland das Eucom als Hauptquartier und andere wichtige Kommandostäbe sowie der Militärgeheimdienst für viele US- wie NATO-Einsätze in Nah-Mittel-Ost. Und erst kürzlich wurde in Stuttgart ein eigenes US-Oberkommando eingerichtet, das für künftige Kriegseinsätze in Afrika zuständig ist (Africom). Diese beiden sind die einzigen US-Hauptquartiere "auf fremdem Boden".

Bis zu 80 Prozent des Nachschubs für die Kriege in Afghanistan und im Irak laufen über Deutschland. Angesichts der Tatsache, dass die USA bis jetzt etwa das Fünfzigfache dessen aufgebracht haben, was Deutschland für seinen Afghanistan-Feldzug ausgibt, sind das erhebliche Mengen an Kriegsmaterial. In diesem Jahr sollen die US-Ausgaben für den Afghanistan-Krieg um 75 Prozent auf 37 Milliarden Dollar erhöht werden, ein immenser Betrag zwar, aber nur ein Bruchteil von dem, was die USA im Irak verschwenden.

Über den eigentlich zivilen Flughafen Leipzig fliegen jährlich mindestens 300.000 US-SoldatInnen in die Kriegsgebiete oder zurück in die USA. Früher wurden sie hauptsächlich über Shannon Airport in Irland transportiert, wegen der dortigen Proteste erfolgte die Verlegung nach Deutschland. Leipzig ist auch die zentrale Lieferungszentrale der deutschen Firma DHL, die einen exklusiven Kurierdienstvertrag mit der US-Armee hat, um Lieferungen in den Irak und nach Afghanistan durchzuführen.

Die wichtigste US-Luftwaffenbasis außerhalb der USA ist Ramstein. In der Nähe, in Miesau, werden etwa 80 Prozent der Munition für den Irak-Krieg bereit gestellt. Das Kommando für die US-Foltergefängnisse im Irak und in Afghanistan sitzt in Deutschland. Das zentrale Krankenhaus für alle Verwundeten beider Kriege ist in Landstuhl, drei Kilometer entfernt von Ramstein. Das zentrale Gefängnis ist in Mannheim.

Auch die Zahl der in den beiden Kriegen getöteten GIs zeigt die wichtige Funktion des "deutschen Standortes": Bis letzten Oktober sind insgesamt 306 in Deutschland stationierte GIs beim Kriegseinsatz umgekommen, es folgen Korea mit 54 "gefallenen" US-Soldaten und Italien mit 42.


Vom Freiwilligen zum Kriegsgegner: Es ist allgemein bekannt, dass die US-Streitkräfte aus Freiwilligen bestehen. Dadurch entsteht manchmal der Eindruck, es handele sich um "Berufssoldaten", also Menschen, die sich entschieden haben, ihr Leben dem Krieg zu widmen. Die US-Armee ist aber eher eine "Jobarmee" - eine Schöpfung der neoliberalen Ideologen.

Die GIs, die in Vietnam gekämpft haben, waren teils Wehrpflichtige, teils Freiwillige. Gegen Ende des Vietnam-Kriegs hatte der GI-Widerstand die Streitkräfte so zersetzt, dass sie kaum mehr kampffähig waren. 1973 hat Präsident Nixon dann durch neoliberale Ideologen einen Plan entwerfen lassen: Soldaten sollten ausschließlich durch den Markt zum Militär getrieben kommen. Seitdem gibt es einen verheerenden Sozialabbau in den USA; so sind beispielsweise immer weniger Menschen krankenversichert, Industriejobs wurden zunehmend in Billiglohnländer verlagert, die Gewerkschaften sind seit 1980 sehr geschwächt worden. Gleichzeitig wird erheblicher Druck auf illegale Immigranten ausgeübt.

Ein Bachelor-Abschluss an einem College ist notwendig, um sich einen ordentlichen Job überhaupt nur zu erhoffen, aber die Kosten des Studiums steigen rasch an. Ein vierjähriger College-Besuch kostet aber zwischen 75.000 Dollar/50.000 Euro (für ein mittelmäßiges öffentliches College) und 165.000 Dollar/110.000 Euro (für ein gutes privates College). Ein Aufbaustudium zum Beispiel in Medizin oder Jura ist erst nach dem Bachelor möglich und kostet dann oft bis zu weiteren 180.000 Dollar/120.000 Euro. Viele StudentInnen müssen riesige Darlehen aufnehmen.

Für all diese Probleme bietet dann das Militär vermeintlich eine Lösung: Für vier Jahre aktiven Dienst bekommt man lebenslänglich eine Krankenversicherung, etwas Geld für den College-Besuch oder die Darlehenstilgung - oder auch die US-Staatsbürgerschaft. Bei unehrenhafter Entlassung werden diese "Angebote" aber zurückgenommen.

Verpflichten muss man sich normalerweise für acht Jahre, davon vier im "aktiven Dienst". Die Armee kann diese aktive Dienstzeit jedoch einseitig durch "Stop-Loss" verlängern, was heute fast allen US-SoldatInnen passiert.

Jedes Jahr werden etwa 200.000 junge Leute rekrutiert. Pro Rekrutiertem gibt das Militär inzwischen 16.000 Dollar an reinen Werbungskosten für Anwerber, Fernsehspots, Videospiele etc. aus, 1985 waren es lediglich 7000 Dollar. Die Anwerber stehen unter hohem Druck, ihre Quote zu erfüllen - dass sie die jungen Leute auch mit Lügen ködern, ist also kein Wunder.

Viele SoldatInnen haben Versprechungen geglaubt, dass sie nie würden kämpfen müssen. Darunter war auch Agustín Aguayo, der Sanitäter wurde und gemeint hatte, die Genfer Konvention würde ihn davor schützen, töten zu müssen. Die Armee würde einen Teil seines College-Darlehens bezahlen, und er, der sich ein Medizinstudium nicht leisten konnte, könnte mindestens im Krankenhaus arbeiten, um Menschen zu helfen. Für ihn und viele andere Soldaten kommt es dann ganz anders, als sie sich das als Schüler oder naiver Jugendlicher vorgestellt haben. Manche werden dann entschiedene Kriegsgegner.

Es sind hauptsächlich die Erfahrungen im Krieg - die SoldatInnen nennen sie die "Groundtruth" -, die sie zum Kriegsgegner machen. Sie sehen viel klarer als ihre Mitbürger in den USA, dass diese Besatzungen von der betroffenen Bevölkerung abgelehnt werden. Und sie sehen die vielen Kriegsverbrechen und die rassistische Arroganz der Kriegsführung. Auch SoldatInnen, die sich ursprünglich hauptsächlich aus Patriotismus gemeldet haben, werden durch diese Erfahrungen manchmal zu den stärksten Kritikern der US-Kriegspolitik.

Viele der GIs in Deutschland sind KriegsgegnerInnen, auch wenn sie nicht desertieren oder offen Befehle verweigern. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Zogby vom Februar 2006 waren 72 Prozent der im Irak kämpfenden US-SoldatInnen für den Abzug aller US-Truppen innerhalb eines Jahres - und diese SoldatInnen sind zwischen den Kriegseinsätzen wieder in Deutschland. In den USA sind die Kriegsveteranen und Familien von Soldaten in der Vorhut der Antikriegsbewegung. Sie hauptsächlich sind es, die durch mehrjährige Öffentlichkeitsarbeit die Mehrheit der US-Bevölkerung überzeugt haben, dass die Truppen so bald wie möglich abgezogen werden müssen.


Die Organisation der Antikriegsveteranen heißt "Iraq Veterans Against the War" (IVAW) mit inzwischen mehr als 500 Mitgliedern in 46 US-Bundesstaaten, im Irak, in Afghanistan und seit Kurzem auch in Deutschland. Um Mitglied zu werden muss man in den US-Streitkräften seit dem 11. September 2001 gedient haben, also sind auch Afghanistan-Veteranen dabei. IVAW macht nicht nur Öffentlichkeitsarbeit, sie organisieren auch den Widerstand unter den noch aktiven Soldaten. Vom 13. bis 16. März organisiert IVAW eine öffentliche Zeugenbefragung der Veteranen des Irak- und Afghanistankriegs, die in allen US-Bundesstaaten zugänglich gemacht wird.

IVAW-Mitglieder wie Agustín Aguayo gehen auch regelmäßig in Schulen, um über ihre Erfahrungen zu berichten. Inzwischen ist die Rekrutierung so schwierig geworden, dass das Militär zunehmend Ältere aufnimmt und auch "moral waiver": Kriminelle, Geisteskranke, Rechtsradikale - verantwortlich für einige schwere Kriegsverbrechen wie auch für die vielen Graffiti von der "Arischen Nation" in Bagdad.

Durch die Probleme bei der Rekrutierung wurde die US-Regierung dazu gezwungen, trotz des Protests der SoldatInnen die Einsatzdauer von 12 auf 15 Monate zu verlängern und auch die Zahl der Kriegseinsätze auf bis zu vier zu erhöhen. Im Gegensatz zum Vietnam-Krieg sind damit die GIs insgesamt sehr viel länger im Einsatz, wodurch der Unmut unter ihnen, ihren Familien und auch in der Öffentlichkeit wächst. Um aus dieser Zwickmühle herauszukommen, versuchen die USA immer nachdrücklicher, ihre Verbündeten zu größerem Engagement zu drängen. In diesem Zusammenhang ist der dieser Tage bekannt gewordene scharfe Brief des US-Verteidigungsministers Gates zu sehen, mit dem er die Deutschen dazu aufforderte, Kampftruppen ins südliche Afghanistan zu schicken.

Der GI-Widerstand nimmt unterschiedliche Formen an. Es gibt formelle Kriegsdienstverweigerungsanträge; Versuche, durch Selbstverletzung aus der Armee herauszukommen; offene Befehlsverweigerung; Desertionen oder unerlaubte Entfernungen von der Truppe; Versuche, Medien, Regierungsstellen und die US-Bevölkerung über die Kriegsverbrechen aufklären; Antikriegsblogs im Internet, die GIs in den Kampfgebieten verfassen; Unterschriftensammlungen - so haben zum Beispiel mehr als 1000 aktive SoldatInnen den "Appeal for Redress" unterschrieben, der den US-Kongress auffordert, die Truppen und die US-Basen aus dem Irak sofort abzuziehen.

Aber die Schwierigkeiten nehmen zu. KDV-Anträge werden z.B. jetzt sehr selten bewilligt. Agustín Aguayo hatte alle Regeln befolgt und wurde trotzdem zur eigenmächtigen Entfernung von der Truppe gezwungen. Die geforderte siebenjährige Haftstrafe wurde vielleicht nur durch starke Öffentlichkeitsarbeit - zusammen mit der deutschen Friedensbewegung - abgewendet.


Desertieren ist nicht die einzige Form von Widerstand. Manchmal wollen SoldatInnen vorwiegend ihre Erfahrungen in der Öffentlichkeit bekannt machen. Dafür brauchen sie Unterstützung.

Blake Lemoine war ein Jahr in Irak. Als er 2004 zurück zu seiner "home base" Darmstadt kam, war er entschlossen, der US-amerikanischen Bevölkerung die Wahrheit über das rassistische Vorgehen im Irak bekannt zu machen. Als ersten Schritt trat er im Januar 2005 in einen Streik und schrieb an den "Chain of Command", dass er die US-Politik im Irak nicht mehr durch seine Tätigkeit beim Nachschub stützen könne. Zwei Wochen später entschied er sich, alle Zuwendungen mit der Armee abzulehnen. Er schloss sein Bankkonto, damit die Armee ihn nicht bezahlen konnte, und trat in Hungerstreik, um kein Essen mehr von der Armee zu akzeptieren.

Gleichzeitig suchte Blake einen Weg, an die Medien zu kommen. Dabei konnten die Beratungsstellen ihm nicht helfen. Schließlich jedoch veranstaltete AVA-Military Project zusammen mit Connection und der Stop the War-Brigade eine Pressekonferenz mit Blake kurz vor seinem Militärprozess in Darmstadt, wodurch vieles über seine Erfahrungen und Ansichten in den Medien berichtet wurde. Er hat auch eine Solidaritätserklärung an die deutsche Friedensbewegung verfasst, die bei vielen der Ostermärschen 2005 vorgelesen wurde.

Blake wurde am 28. März 2005 zu sieben Monaten Haft wegen Befehlsverweigerung verurteilt. Zuerst war er in Mannheim inhaftiert. Nach einer Solidaritätsdemo außerhalb des Gefängnisses hat ihn die Armee am 10. April in ein Gefängnis in Oklahoma gebracht. Blake hat seinen Widerstand primär deshalb geleistet, um aufzuklären. Als er seine Aktion begann, hatte er nur noch sieben Monaten Dienstzeit vor sich und auch keinen neuen Einsatzbefehl erhalten. Im Kontrast dazu war Agustín Aguayo über lange Zeit nicht daran interessiert, in die Öffentlichkeit zu treten; es ging ihm darum, nicht töten zu müssen und als Kriegsdienstverweigerer anerkannt zu werden.


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American Voices Abroad (AVA) - Military Project

Das AVA-Military Project ist eine 2005 gegründete internationale Arbeitsgruppe des zwei Jahre zuvor etablierten AVA-Netzwerks von US-Friedensbewegten in acht europäischen Ländern und im Libanon. Im AVA-Netzwerk und im Military Project sind auch bereits länger existierende Organisationen wie z.B. das Munich American Peace Committee (MAPC) Mitglied.

Das AVA-Military Project arbeitet mit anderen Organisationen in Deutschland und auf europäischer Ebene eng zusammen, u.a. mit dem Military Counseling Network (MCN), der Stop the War Brigade, Connection e.V., den Iraq Veterans Against the War (IVAW) und dem Netzwerk gegen Militärstandorte und deren Auswirkungen (NeMa).

Das AVA-Military Project hat einige neue Aspekte in diese (Zusammen-)Arbeit eingebracht:

• Unterstützungs-, Spenden- und Medienkampagnen, nicht nur in Deutschland, sondern auch europaweit und vor Ort in den USA:

• Anträge als US-BürgerInnen an europäische Regierungsstellen, z.B. Anhörung 2006 im Europäischen Parlament wegen Asyl für SoldatInnen, Intervention 2007 im Bundestag im Fall Agustín Aguayo.

• Intensivierung der Diskussion in der deutschen Friedensbewegung, die US-Basen in Deutschland zu einem zentralen Thema zu machen;

• Initiative zum Ausbau einer breiteren Solidarität zwischen US-SoldatInnen im Widerstand und europäischen FriedensaktivistInnen, z.B. durch Verteilung der GI Rights Hotline-Faltblätter und die aktuelle internationale Postkarten-Kampagne für die in Mannheim inhaftierten US-KDVer (nähere Informationen dazu und Beteiligungsmöglichkeiten auf der Homepage www.connection-ev.de). - Elsa Rassbach

AVA-Military Projekt
Kontakt:
Elsa Rassbach
Telefon 030-326 015 40
Mobil 0170-738 14 50
eMail elsarassbach@gmail.com


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Der Fall Blake Lemoine weist auf einen weiteren Weg hin, den die GI-Bewegung eventuell einschlagen wird: den kollektiven Widerstand. Genauso wie Blake alleine in Darmstadt gestreikt hat, könnten GIs dies als Gruppe tun. Es sind bereits Fälle kollektiven Widerstands von GIs im Irak bekannt geworden.

Zur Zeit des Vietnam-Kriegs war der erste Fokus der GI-Bewegung und der zivilen Unterstützung die Desertion, z.B. nach Schweden. Mit der Zeit entwickelte sich jedoch viel mehr Interesse am Widerstand innerhalb der Streitkräfte; einerseits gab es viele, die aus persönlichen und nicht aus politischen Gründen desertieren wollten. Andererseits schien es immer wichtiger, dass politische GIs in der Armee bleiben sollten, um andere SoldatInnen für den Widerstand zu gewinnen. Eine der wichtigsten GI-Zeitungen in dieser Zeit, die in Paris durch ehemalige GIs herausgegeben wurde, hieß RITA ("Resistance in the Army" - "Widerstand in der Armee").


Für GIs in Europa ist es noch viel schwieriger als in den USA, Widerstand zu leisten. Dieser Widerstand braucht zivile Unterstützung: Beratung und manchmal Geld für zivile Anwälte, Medienarbeit und Solidaritätsaktionen, moralische Unterstützung, gelegentlich auch Unterschlupf. Diese Unterstützung könnten die deutsche und die europäische Friedensbewegung den GIs im Widerstand vermutlich anbieten - genau wie in den USA und in Kanada -, die dafür nötigen Strukturen müssen allerdings erst aufgebaut werden.

Deutsche BürgerInnen und AktivistInnen der Friedensbewegung wissen meist wenig von der Welt der GIs und ihrer Familien in Deutschland; sie haben wenig Ahnung davon, wie diese zum Militärdienst angeworben werden, wie viele und wann sie von Deutschland in die Kriegsgebiete versetzt werden, wie viele sterben, was sie zum Krieg meinen, wie die Familien hier leben, ja sogar, welche Auswirkungen der fallende Dollar auf ihr Leben in Deutschland hat.

Umgekehrt haben die GIs wenig Ahnung von der deutschen Friedensbewegung, bekommen aber durch die Armee erzählt, dass deutsche FriedensaktivistInnen zu fürchten seien. Das US-Militär will keine Kommunikation zwischen GIs und deutschen BürgerInnen und integriert deswegen (angeblich wegen "Terroristengefahr") die Unterkünfte und Einkaufsmöglichkeiten zunehmend in die Kasernen, baut immer höhere Zäune, sperrt früher üblichen öffentlichen Verkehr durch Kasernengelände. Agustín Aguayo beispielsweise hat während der ganzen 24 Monate, die er in Schweinfurt lebte, keine Deutschen kennengelernt außer einer deutsche Frau, die ihm auf dem Weihnachtsmarkt ein Geschenk verkauft hat.


Ein Hindernis zum Aufbau der notwendigen Unterstützung des GI-Widerstands in Deutschland ist die weit verbreitete Meinung in der deutschen Friedensbewegung, dass es "Job" der Deutschen ist, die deutsche und die EU-Militarisierung zu verhindern und die Bundeswehr zurückzuholen, während es Aufgabe der US-Friedensbewegung ist, sich in den USA für den Rückzug der Truppen stark zu machen.

Gegen diese Ansicht spricht, dass Deutschland durch die Gewährung der US-Infrastruktur hierzulande mitschuldig ist am Krieg im Irak und auch am OEF-Einsatz in Afghanistan. Deutschland könnte jederzeit die Stationierungsrechte kündigen. Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung - aber auch viele deutsche FriedensaktivistInnen - weiß gar nicht, dass Deutschland das Recht auf Kündigung hat, und deswegen die Verantwortung dafür. Sie verhält sich, als ob Deutschland immer noch besetzt und kein souveräner Staat wäre. Die Friedensbewegung hat zu diesem Punkt bisher keine Aufklärung betrieben.

Die US-Basen in Deutschland sind keine extraterritorialen Gebiete, Menschenrechtsverletzungen dort fallen auch in die Verantwortung der deutschen Regierung. Diese Verletzungen betreffen nicht nur Gefangene der CIA, sondern auch die GIs selbst. Die US-Armee in Schweinfurt hatte z.B. gedroht, Agustín Aguayo gegen seinen Willen und mit Gewalt in den Irak zu verschleppen.


Kündigt die Stationierungsrechte: Nur eine Kampagne der deutschen Bevölkerung kann die Stationierungsrechte der USA beenden. US-FriedensaktivistInnen und VeteranInnen können höchstens ihre Unterstützung als ZeugInnen anbieten.

Die Kriegstreiber und Nationalisten in Deutschland hoffen natürlich, irgendwann mit den USA auch militärisch "auf der Weltbühne" konkurrieren zu können. Aber im Augenblick wird die deutsche Militarisierung hauptsächlich zusammen mit den USA vorangetrieben.

Die Erfahrungen der US-Friedensbewegung und der Antikriegsveteranen könnten sehr nützlich für Kampagnen gegen die Militarisierung in Deutschland sein. Sowohl der GI-Widerstand wie die Antirekrutierungskampagnen in den USA haben Ideen und Methoden entwickelt, die auch in Deutschland angewendet werden könnten.

Ein gutes Beispiel einer Kooperation war die Kampagne in Ansbach im letzten Mai gegen die Erweiterung des US-Stützpunkts. Deutsche Behörden hatten den FriedensaktivistInnen vorgeworfen, sie seien "anti-amerikanisch". Gleichzeitig haben die US-Behörden unter den SoldatInnen und ihren Familien propagiert, dass die Ansbacher Friedensbewegung gegen sie und gefährlich sei. Daraufhin haben die Ansbacher vier Irak-Veteranen für eine Kampagnen-Woche eingeladen. Die Veteranen sind nicht nur in deutsche Schulen gegangen; sie sind auch in die US-Kaserne gegangen, wo sie eine Friedensbotschaft der Ansbacher an die SoldatInnen verlesen und davon ein Video ins Internet gestellt haben. Gemeinsam wurde gegen die Stützpunkterweiterung und die Versetzung von 2500 GIs in den Irak demonstriert.

Wie sagte Karl Liebknecht in "Der Hauptfeind steht im eigenen Land": "Diesen Feind im eigenen Lande gilt's für das deutsche Volk zu bekämpfen, zu bekämpfen im politischen Kampf, zusammenwirkend mit dem Proletariat der anderen Länder, dessen Kampf gegen seine heimischen Imperialisten geht."

"Zusammenwirkend" - das sollten wir nicht vergessen, auch nicht, dass die GIs vorwiegend aus dem Proletariat stammen. Zusammenwirkend heißt heute: den GI-Widerstand auf deutschem Boden aktiv zu unterstützen und eine Kampagne zu entwickeln, die Stationierungsrechte der USA in Deutschland zu beenden und den GIs in Deutschland Asyl zu bieten.


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Die GI Rights Hotline - eine Hilfe für viele US-SoldatInnen

Die GI Rights Hotline in Kalifornien ist die Zentrale des Netzwerks der GI-Beratungsstellen. SoldatInnen, die dort anrufen, werden entweder direkt beraten oder, je nach Bedarf, an eine Beratungsstelle in Deutschland (Military Counseling Network - MCN) oder an andere Organisationen in Europa weitergeleitet, die spezielle Unterstützung für GIs anbieten können. Die Beratungsstellen selber dürfen direkt keine materielle Hilfe (z.B. Geld, Unterschlupf) zum Desertieren anbieten. Für einige SoldatInnen gibt es aber die Möglichkeit, nach 30-tägigem Untertauchen eine legale (allerdings unehrenhafte) Entlassung zu erreichen - dafür brauchen sie Beratung!

Wichtige Informationen für US-SoldatInnen enthält ein Faltblatt der GI Rights Hotline. Seit Dezember werden diese Faltblätter, die die Größe einer Visitenkarte haben, auch in Deutschland verteilt.

Laut US-Militärrecht dürfen US-SoldatInnen Infos für sich behalten, sie jedoch nicht an andere verteilen. Die Verteilung durch Deutsche ist deswegen oft willkommen. Am besten trägt man immer einige GI Rights Hotline-Faltblätter mit sich, um sie bei zufälligen Begegnungen an GIs (oder an ihre Ehefrauen oder an Deutsche, die in Kontakt mit GIs sind) weiterzugeben. Die gezielte Verteilung in von GIs besuchten Bars usw. ist empfehlenswert.

Zum Download als PDF-Dokument steht das Faltblatt auf der DFG-VK-Homepage im Bereich KDV bereit; gedruckte Faltblätter können telefonisch oder per eMail bei John Culp bestellt werden: 0179-5485149; john.culp@web.de

Spendenkonto: Richard Forward, Konto 330011807, Posthank München, BLZ 70010080, Zweck: GI Rights (Kontakt: Telefon 089-3566162, eMail archforward@gmx.net) - Elsa Rassbach


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Elsa Rassbach ist DFG-VK-Mitglied und seit Jahrzehnten friedenspolitisch aktiv. Die 64-jährige Filmemacherin ist US-Amerikanerin und lebt seit 1996 in Berlin, nachdem sie bereits in den 1960er Jahren dort studiert hatte.


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Quelle:
ZivilCourage Nr. 1 - Februar/März 2008, S. 4-8
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK e.V.),
Kasseler Straße 1A, 60486 Frankfurt
Redaktion: ZivilCourage, Postfach 90 08 43, 21048 Hamburg
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Erscheinungsweise: zweimonatlich, sechs Mal jährlich
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. März 2008