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BERICHT/208: Gewaltfrei gegen Sklaverei (Forum Pazifismus)


Forum Pazifismus Nr. 19 - III/2008
Zeitschrift für Theorie und Praxis der Gewaltfreiheit

Gewaltfrei gegen Sklaverei
Zur Aktualität von Laura Haviland

Von Claus Bernet


Vor 200 Jahren wurde am 20. Dezember 1808 Laura Haviland geboren. Inneralb vieler Grassroot-Bewegungen der USA ist diese bemerkenswerte Frau nicht vergessen worden. Sie war vor allem eines: radikal und gewaltfrei. Ihr Anliegen war die Abschaffung der Sklaverei, ein Thema, mit welchem die Menschheit von der Antike bis heute leider immer wieder in neuen Formen konfrontiert ist.

Laura Haviland kam in Kitley Township in Ontario (Kanada) auf die Welt. Sie war die Tochter von Daniel (1785-1845) und Sene Smith (1787-1845), einem streng religiösem Quäkerpaar. 1815 zog die Familie in die Nähe der Niagarafälle. Schon 1825 heiratete Laura, gerade einmal 16 Jahre alt, den Quäker Charles Haviland (geb. 1800). Mit ihm hatte sie zwei Söhne und vier Töchter. 1829 zog die Familie nach Raisin in Michigan und lebte in einer einfachen Holzhütte. Über die Lebensverhältnisse jener Jahre berichtete Laura Haviland in ihrer auch heute noch lesenswerten Autobiographie "A woman's life work. Labors and experiences of Laura S. Haviland", die 1881 erstmals in Cincinnati erschienen ist und bis heute vielfach aufgelegt wurde.

In Raisin wird Haviland erstmals auf die Sklavereifrage aufmerksam. So trat sie der Logan Anti-Slavery Society bei, der damals ersten Vereinigung gegen Sklaverei im Staate Michigan. 1839 eröffnete sie eine Schule in Raisin Valley, wo weiße und schwarze Kinder zu gleichen Bedingungen aufgenommen wurden - eine Sensation zur damaligen Zeit. In Michigan war es überhaupt die erste Schule, an der Schwarze zugelassen waren. Später, nach dem amerikanischen Bürgerkrieg, verkaufte sie das Institut an den Bundesstaat.

Haviland wurde, was die Sklavenfrage anging, immer radikaler. Vor allem forderte sie auch andere auf, gegen die Missstände aktiv zu werden. Aus ihrer eigenen Quäkergemeinde war sie um 1840 ausgetreten, da diese nicht entschieden genug gegen Unterdrückungen jeder Art vorging. Kein Wunder, waren die Quäker in der Sklavenfrage ja selbst gespalten: Während einige bereit waren, bestehende Gesetze auch zu brechen, wollten andere die ganze Sache Gott überlassen. Haviland und ihre Familie schlossen sich Wesleyans an, einer charismatischen Methodistengemeinde Michigans, die sich ganz der Sklavenbefreiung verschrieben hatte.

Haviland lernte in Michigan die "Underground Railway" kennen, ein Netzwerk von Sklavengegnern, über welches Schwarze aus dem Süden heimlich in den Norden der USA und über die Grenze nach Kanada gebracht wurden. Das Haus der Havilands lag strategisch günstig auf der Strecke von Cincinnati nach Kanada. Haviland betätigte sich hier als Superintendent und als Stationsmaster: 40.000 bis 100.000 Schwarze, so wird geschätzt, fanden in dem Haus Havilands Unterschlupf auf ihrer gefahrvollen, nicht selten tödlich endenden Flucht. Das Jahr 1845 brachte einen schwerwiegenden Einschnitt mit sich. Eine Epidemie grassierte, beide Eltern von Haviland, ihr Ehemann, ihre Schwester und ihr Baby starben. Ohne Vermögen, ohne Berufsausbildung, ohne feste religiöse Heimat war die Frau ganz auf sich gestellt, und dabei mussten nicht weniger als sieben Kinder ernährt, erzogen und ausgebildet werden.

Just zu diesem Zeitpunkt wurde zur Ergreifung von Haviland - tot oder lebendig - 3.000 Dollar, ein damals für viele unvorstellbares Vermögen, ausgesetzt. Hinter dieser Mordkampagne standen reiche Plantagenbesitzer der Südstaaten, die sich ihre billigen Arbeitskräfte nicht nehmen lassen wollten.

Zuvor hatten sich dramatische Szenen im Hause Havilands abgespielt, als Sklavenhalter von der mutigen Frau daran gehindert wurden, das Haus zu stürmen. Schließlich wurden, mit Hilfe herbeieilender Nachbarn, die Sklavenhändler in die Flucht geschlagen. Ob dabei von Seiten der Sklavengegner oder von Seiten der Sklavenbefreier Gewalt angewendet wurde, ist umstritten.

1861 begann der Bürgerkrieg, Michigan gehörte von Beginn an zu den Unionsstaaten. Haviland kümmerte sich um Kranke und Verwundete. Als sie 1864 in einem Krankenhaus von einem angeblich geheimen Gefangenenlager hörte, ging sie diesen Gerüchten nach und entdeckte das Guantanamo ihrer Zeit im Herzen der USA: In den südlichen Sümpfen vor New Orleans wurden auf einer Insel etwa 2.500 Soldaten der Union unter bestialischen Bedingungen festgehalten, ohne dass die Öffentlichkeit davon wusste. Haviland brachte diesen Fall vor den US-Kongress und sorgte für die Aufhebung des Lagers. Auch ein Militärkrankenhaus in Mississippi musste ganz geschlossen werden, nachdem Haviland auf die haarsträubenden Zustände aufmerksam gemacht hatte.

Nach dem Krieg wurde das Problem der Sklaverei von dem des Ku-Klux-Klan abgelöst. Haviland wurde aktiv und richtete in Washington D.C. und Kansas, wohin Schwarze vor dem Clan flohen, Erziehungs- und Hilfsinstitute für Flüchtlinge ein. Sie war nun Repräsentantin des Freedman's Aid Bureau und erstmals in ihrem Leben wurde ihr ein regelmäßiges Gehalt gezahlt.

1889 besuchte Haviland auf Einladung des Abolitionisten Stafford Allen (1806-1889) England und war auf dem London Yearly Meeting, dem Jahrestreffen der britischen Quäker, anwesend. 1872 war sie erneut den Quäkern beigetreten. In ihren letzten Lebensjahren, als die Sklavenfrage gelöst war, engagierte sich Haviland verstärkt für das Frauenwahlrecht. Auch innerhalb der "Temperenzbewegung", die für Enthaltsamkeit oder zumindest Reduktion allerlei als schädlich angesehenen Genussmittel, wie Alkohol, Kaffee und Rauchwaren, eintrat, wurde sie aktiv. Auf der Weltausstellung 1893 in Chicago wurde Haviland als "Mother of Philanthropy" geehrt, was sicherlich etwas übertrieben war, da es vor und neben ihr zahlreiche weitere Frauen gab, die ebenfalls karitativ arbeiteten.

Haviland, die fast das 90. Lebensjahr erreichte, verstarb am 20. April 1898 in Grand Rapids. Begraben wurde sie neben ihrem Ehemann auf dem Raisin Valley Cemeterey in Adrian (Michigan). Ihr zu Ehren wurden sogar zwei Ortschaften nach ihr benannt, Haviland in Kansas (600 Einwohner) und Haviland in Ohio (180 Einwohner).

Laura Haviland verlieh zeitlebens denjenigen eine Stimme, die keine hatten. Dabei bediente sie sich einer eigenartigen Methode, die zur Abschreckung dienen sollte: Sie sammelte Zeugnisse der Sklaverei wie Fuß- und Handfesseln, Peitschen, Handschellen und andere Folterwerkzeuge. Diese Utensilien setzte sie bei Reden und Vorträgen demonstrativ ein, um ihre Zuhörer aus der Lethargie herauszuholen. Obwohl ihre Lebensgeschichte kaum in einem Geschichtsbuch und schon gar nicht in amerikanischen Schulbüchern erwähnt wird, zeigt sie doch, wie viel ein einzelner Mensch, ohne Vermögen und Schulbildung ausrichten kann.


Dr. Claus Bernet ist Historiker und Diplompädagoge mit Schwerpunkten in der Pietismusforschung, der Friedenspädagogik und der modernen Stadtgeschichte.


Weitere Informationen zum Leben und Wirken von Laura Haviland: Humphrey, Caroline R.: Laura Smith Haviland, in: Michigan History Magazine, 5, 1/2, 1921, Seiten 173-185; Danforth Mildred E.: A Quakerpioneer. Laura Haviland, superintendent of the underground, New York (1961); Glesner, Anthony Patrick: Laura Haviland: Neglected heroine of the underground railroad, in: Michigan Historical Review 21, 1, 1995, S. 19-48


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Quelle:
Forum Pazifismus - Zeitschrift für Theorie und Praxis
der Gewaltfreiheit Nr. 19, III/2008, S. 7 - 8
Herausgeber: Internationaler Versöhnungsbund - deutscher Zweig,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Oktober 2008