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BERICHT/268: Allgemeine Dienstpflicht durch die Hintertür (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 2 - Mai 2010
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

Allgemeine Dienstpflicht durch die Hintertür
Regierung will "freiwillige" Verlängerung des Zivildienstes

Von Peter Tobiassen


Die FDP wollte die Wehrpflicht "aussetzen", CDU/CSU unbedingt an ihr festhalten. Dieser Gegensatz wurde im Koalitionsvertrag durch den Plan überbrückt, die Dauer von Grundwehr- und Zivildienst von neun auf sechs Monate zu verkürzen. Ende März legten Kriegs- und Jugendministerium den ersten Entwurf für ein "Gesetz zur Änderung wehrrechtlicher Vorschriften 2010" vor. Bemerkenswert dabei: Der Gesetzentwurf "ist unter den Koalitionsfraktionen nicht abgestimmt worden", sagte die FDP-Bundestagsfraktion in einer Pressemitteilung vom 30. März dazu.


Die "Bild"-Zeitung war näher dran an den Plänen der Bundesregierung als die Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Während der Referentenentwurf zur Dienstzeitverkürzung den Fraktionen lediglich zugestellt wurde, ohne dass die Minister in den Ausschüssen präsent waren, posierten die beiden jüngsten Minister für die "Bild"-Fotografen auf dem Dach des Berliner Reichstags. Familienministerin Schröder sagte dann im Interview: "Die Wohlfahrtsverbände haben mir aber signalisiert, dass sie - wenn es die Möglichkeit der freiwilligen Verlängerung gibt - auch in Zukunft die Zivildienststellen vorhalten werden. Gibt es die freiwillige Verlängerung nicht, macht Zivildienst in vielen Einrichtungen keinen Sinn mehr, dann fallen viele Stellen weg."

"Die Wohlfahrtsverbände" gibt es in dieser Frage nicht, denn diese haben keine gemeinsame Position. Die Diakonie als Ganzes und Teile des Caritas-Verbandes und der Arbeiterwohlfahrt setzen auf Freiwilligendienste. Sie haben mit der Einführung von Befehls- und Gehorsamsstrukturen im Sozialbereich nichts im Sinn. Anders die restlichen Wohlfahrtsverbände, die der Fahne von Ulrich Schneider, dem Hauptgeschäftsführer des Paritätischen hinterhereilen. Schneider, der in Talk-Shows gerne den Anwalt der sozial Schwächsten in der Gesellschaft gibt und - unbestritten - an vielen Stellen das Nötige und Richtige sagt, hält in seinem eigenen Verband nicht viel von Mindestlöhnen und demokratischem Miteinander.


Unterhalb des Mindestlohns

Der "freiwillige zusätzliche Zivildienst" funktioniert eben nach den rechtlichen Regelungen des Zivildienstes. Es gelten Befehl und Gehorsam, ein Disziplinarrecht, die Einschränkung der Grundrechte und die Bezahlung außerhalb des Tarifgefüges. Wie das gehen soll, schreibt die Familienministerin in den Gesetzentwurf. Rund 3,75 Euro Stundenlohn sieht der Bund in einen Arbeitsgebiet vor, für das von den Tarifparteien gerade 8,50 Euro als Mindestlohn ausgehandelt wurde. Die Einführung eines nur so genannten "freiwilligen zusätzlichen Zivildienstes" wird Arbeitsverhältnisse im Sozialbereich grundlegend verändern. Zukünftig soll es ein "öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis - vergleichbar mit dem Beamtenverhältnis auf Zeit" (so die offizielle Gesetzesbegründung auf Seite 23) geben. Am Altenpflegebett werden zukünftig - rechtlich gesehen - "Beamte" tätig sein und hoheitliche Aufgaben wahrnehmen. Wer nicht funktioniert, für den gilt: "Ein Fehlverhalten kann daher, wie allgemein im öffentlichen Dienst des Bundes, als Dienstvergehen mit Disziplinarmaßnahmen geahndet werden." (Gesetzesbegründung Seite 24). Da kann dann auch schon mal Hausarrest ("Ausgangsbeschränkung", § 59 Abs. 1 Nr. 2 Zivildienstgesetz) verhängt werden.


Vorbereitung einer allgemeinen Dienstpflicht

Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung - in den nächsten zwanzig Jahren wird mit einer Verdoppelung des Pflegebedarfs gerechnet - scheint die Union eine allgemeine Pflegedienstpflicht vorzubereiten. Dazu wird ein öffentlich-rechtliches Dienstsystem benötigt, in dem Menschen zunächst freiwillig, aber notfalls auch gegen ihren Willen verpflichtet werden können, im Sozialbereich zu arbeiten. Der "freiwillige zusätzliche Zivildienst" ist das geeignete Instrument, um die Träger sozialer Dienstleistungen daran zu gewöhnen, dass es auch außerhalb normalen Arbeitsrechts und tariflicher Vereinbarungen geht. (Anfang der 1930er Jahre wurde der Reichsarbeitsdienst ebenfalls auf freiwilliger Basis eingeführt. Alle waren begeistert, dass junge Menschen endlich die Chance bekamen, sich für die Volksgemeinschaft nützlich zu machen.)

Nötig ist die Einführung des neuen öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses übrigens nicht. Alle aktuellen "Probleme", die damit gelöst werden sollen, lassen sich auch auf andere Weise regeln. Oft wird angeführt, es gäbe eine so genannte "biografische Lücke". Nach dem Abitur muss im Juli mit dem Zivildienst begonnen werden, der zukünftig nach sechs Monaten, also Ende Dezember zu Ende wäre. Dann entstünde eine Wartezeit von neun Monaten bis zum Studiumsbeginn im Oktober.


Alternative: Jugendfreiwilligendienst

Wer solche Wartezeiten überbrücken will, kann dem Zivildienst einen echten Freiwilligendienst anschließen, ein Freiwilliges Jahr nach dem Jugendfreiwilligendienstegesetz. Dieses "Jahr" dauert schon jetzt nach den gesetzlichen Vorgaben zwischen sechs und 24 Monate. Um es noch flexibler zu machen, kann die Mindestdauer auf drei Monate verkürzt werden. Die Zentralstelle KDV hat eine entsprechende Ergänzung des Freiwilligendienstegesetzes vorgeschlagen (siehe Kasten "Die bessere Alternative").


Kasten:

Die bessere Alternative

Gesetzgebungsvorschlag der Zentralstelle KDV:

§ 8a Jugendfreiwilligendienste im Anschluss an den Zivildienst

(1) Jugendfreiwilligendienste, die von anerkannten Kriegsdienstverweigerern im Anschluss an den Zivildienst geleistet werden, dauern mindestens drei und höchsten neun Monate. Für die pädagogische Begleitung gilt § 5 Absätze 2 und 3 entsprechend, die Gesamtdauer der Seminare nach § 5 Absatz 2 und nach § 25b Zivildienstgesetz beträgt bezogen auf eine zwölfmonatige Gesamtmitwirkung in der Einrichtung mindestens 25 Tage.


Wer solche Wartezeiten überbrücken will, kann natürlich auch ein reguläres Arbeitsverhältnis auf Zeit eingehen.

Schon bisher haben viele ehemalige Zivildienstleistende in ihren bisherigen Zivildienststellen weitergearbeitet - zu der üblichen tariflich vereinbarten Bezahlung. Solche Beschäftigungsverhältnisse sollen zukünftig durch einen Staatsdienst mit Dumpinglohn abgelöst werden.

Wartezeiten können aber auch vermieden werden, wenn das verwirklicht wird, was im Koalitionsvertrag zwischen Union und FDP vereinbart wurde: Der Wehr- und Zivildienst in Abschnitten. Wenn der erste Abschnitt des Dienstes drei Monate dauern würde, könnte nach dem Abitur im Juni ohne Zeitverlust zum nächstmöglichen Studiumsbeginn im Oktober das Studium aufgenommen werden. Weitere Wehr-/Zivildienstabschnitte könnten dann in den Semesterferien abgeleistet werden.

Den Presseberichten der letzten Wochen und Monate war zu entnehmen, dass die Zivildiensteinrichtungen massiv auf die "freiwillig verlängerte" Dienstdauer setzen. Insbesondere das Deutsche Rote Kreuz und der Paritätische Wohlfahrtsverband haben das erklärt. Kriegsdienstverweigerer, die aufgefordert werden, sich einen Zivildienstplatz zu suchen, werden - sofern der "freiwillige zusätzliche Zivildienst" Gesetz wird - nur noch in Ausnahmefällen Plätze finden, auf denen ein sechsmonatiger Zivildienst angeboten wird. 95 Prozent der Zivildienststellen (105.752 von 111.014) bestimmen selbst, welchen Zivi sie nehmen wollen und welchen nicht. Damit bestimmen sie eben auch, ob sie Zivis für sechs, neun oder zwölf Monate einstellen wollen. Warum sollte eine Einrichtung auf einen Dienstplatz innerhalb eines Jahres zwei Zivis hintereinander einsetzen und zweimal die Einarbeitung und die Einführungslehrgänge auf sich nehmen, wenn ein Zivildienstleistender durchgängig mit dem halben Aufwand beschäftigt werden kann?


Bald die Regel: Zivildienst dauert doppelt so lange wie der Wehrdienst

Den Zivildienstpflichtigen wird zukünftig nichts anderes übrigbleiben, als sich für einen der angebotenen Plätze mit der längeren Dienstdauer zu entscheiden. Ansonsten droht der heimatferne Einsatz auf einer vom Bundesamt zugeteilten Zivildienststelle. Von einer "freiwilligen" Verlängerung wird in der Praxis keine Rede mehr sein können. CDU und CSU organisieren unter dem Deckmantel der "Freiwilligkeit" auf kaltem Wege die Verlängerung des Zivildienstes gegenüber dem Wehrdienst. Von 1984 bis 1990 dauerte der Zivildienst nach dem Willen der Unionsparteien ein Drittel länger als der Wehrdienst, zukünftig sollen die Kriegsdienstverweigerer doppelt so lange dienen müssen wie Wehrdienstleistende.


Urlaubsansprüche halbiert

Bisher haben Wehr- und Zivildienstleistende einen Urlaubsanspruch von 13 Arbeitstagen bezogen auf eine sechsmonatige Dienstdauer. Dieser Urlaubsanspruch soll auf sechs Tage gekürzt werden. Diese Vorschrift degradiert Dienstleistende nicht nur zu Menschen zweiter Klasse, sondern negiert zusätzlich das seit 1963 geltende Gesetz über den Mindesturlaub für Arbeitnehmer, das einen jährlichen bezahlten Mindesturlaub von 24 Werktagen vorschreibt. Zwar sind Dienstleistende formal keine "Arbeitnehmer", dennoch gilt auch für sie zumindest analog die Schutzwirkung des Gesetzes über den Mindesturlaub.

Der Gleichheitsgrundsatz nach Artikel 3 Grundgesetz schreibt vor, dass Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandelt werden soll. Es wäre also im Einzelnen zu begründen, warum bei ansonsten vergleichbaren Sachverhalten Grundwehrdienstleistende weniger Urlaub erhalten sollen als andere Soldatinnen und Soldaten. In der Gesetzesbegründung findet sich dazu keine sachbezogene Begründung - nicht zuletzt deshalb, weil es eine solche Begründung nicht gibt. Es ist also von einem Verstoß gegen Artikel 3 Grundgesetz auszugehen.


Soldaten zweiter Klasse

Wer den Grundwehrdienstleistenden die seit Jahrzehnten allgemein geltenden Mindesturlaubsrechte vorenthalten will, der zeigt, welche Wertschätzung er den jungen Männern entgegenbringt. Diese "Wertschätzung" der Grundwehrdienstleistenden wird vollends deutlich an dieser Regelung deutlich: Wer einen freiwilligen Wehrdienstmonat anschließt, soll auch für die Grundwehrdienstzeit den normalen Urlaubsanspruch erhalten. In der Praxis bedeutet das: 6 Monate Wehrdienst = 6 Tage Erholungsurlaub; 6 Monate Wehrdienst plus einen Monat Zusatzwehrdienst = 15 Tage Erholungsurlaub (plus 700 Euro Zuschläge - Wehrdienstzuschlag und Entlassungsgeld - für den siebten Monat). Im siebten Dienstmonat muss ein Wehrpflichtiger tatsächlich also nur zwei Wochen arbeiten, erhält dafür aber einen Soldaufschlag von 700 Euro.


Kasten:

Aus dem Koalitionsvertrag

Die Koalitionsparteien halten im Grundsatz an der allgemeinen Wehrpflicht fest mit dem Ziel, die Wehrdienstzeit bis zum 1. Januar 2011 auf sechs Monate zu reduzieren.

Wir wollen den Lückenschluss zwischen Ende des Zivildienstes und dem Ausbildungsbeginn durch die Möglichkeit einer abschnittsweisen Ableistung des Zivildienstes prüfen.


Zentralverwaltung für Freiwilligendienste

Nach dem Gesetzentwurf sollen dem Bundesamt für den Zivildienst künftig auch andere Aufgaben aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend übertragen werden.

Hier scheint es darum zu gehen, die Verwaltungsaufgaben der Jugendfreiwilligendienste zu zentralisieren und dem Bundesamt für den Zivildienst zu übertragen. Die Strukturen der Jugendfreiwilligendienste können dann Stück für Stück einem Pflichtdienst angeglichen werden. Die Freiwilligendienste wie das Soziale und Ökologische Jahr sollen damit in die neue Sozialdienstpflicht der Union integriert werden.


Fazit

Die Union strebt mit diesem Gesetzentwurf einen Systemwechsel an. Für die Sozialbereich soll ein Pflichtdienst installiert werden, die so genannte "freiwillige Verlängerung des Zivildienstes" ist ein erster Schritt dazu.


Peter Tobiassen ist Geschäftsführer der Zentralstelle KDV.
Eine ausführliche Kritik des Gesetzentwurfs ist im Internet zu finden unter:
www.zentralstelle-kdv.de -> Wehrrechtsänderungsgesetz 2010


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Quelle:
ZivilCourage Nr. 2 - Mai 2010, S. 12-13
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK e.V.),
Kasseler Straße 1A, 60486 Frankfurt
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Erscheinungsweise: zweimonatlich
Jahres-Abonnement: 14,00 Euro einschließlich Porto


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. August 2010