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BERICHT/272: "Wir brauchen neue kreative Aktionsformen" (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 3 - August 2010
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

"Wir brauchen neue kreative Aktionsformen"

Interview mit Stefan Schultheiß, Koordinator von PAXX 2010, der von der DFG-VK initiierten Aktionskonferenz vom 29. Oktober bis 1. November in Mannheim


Vom 29. Oktober bis 1. November findet in Mannheim die PAXX-Aktionskonferenz statt. Initiiert wurde sie von der DFG-VK, unterstützt wird sie vom Bund für soziale Verteidigung (BSV), der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion Baden sowie dem Heidelberger Party-Kollektiv. Von diesem Party-Kollektiv "Party & Activism" kommt der Mitbegründer Stefan Schultheiß (36). Der Aktivist und DJ lebt in Heidelberg und engagiert sich seit 2005 in der Friedensbewegung. Er arbeitet selbständig als Konfliktmoderator, berät soziale Bewegungen bei kreativen Aktionen und organisiert widerständige Events. Zusammen mit dem baden-württembergischen DFG-VK-Geschäftsführer Roland Blach koordiniert er Vorbereitung und Durchführung der Aktionskonferenz. Mit Stefan Schultheiß sprach ZivilCourage-Redakteur Stephan Brües.


ZivilCourage: Vor welchem Hintergrund machst du die Koordinierungsarbeit für die PAXX-Aktionskonferenz im Herbst?

Stefan Schultheiß: Ich bin seit einigen Jahren in den sozialen Bewegungen im Bereich kreative Aktionen sehr aktiv. 2008 und 2009 habe ich die Attac-Aktionsakademie mitorganisiert und darüber hinaus an vielen bunten und kreativen Protestaktionen mitgewirkt.

ZivilCourage: Ist das mehr als nur Spaß zum Selbstzweck?

Stefan Schultheiß: Auf jeden Fall! Spaß kann auch Widerstand machen. Das Kreative, gemeinsam mit der Freude am frechen Widerstand, erzeugt eine große Kraft, allein schon durch positive Außenwirkung und die Freude der Aktiven an den bunten Aktionen. Ich mag es, wenn es dabei auch mal dreist zugeht, wie zum Beispiel bei der Attac Börsenaktion Ende 2008.

ZivilCourage: Das Video von dieser Aktion an der Börse habe ich auf Youtube gesehen. Der Nachrichtenkanal n-tv musste plötzlich eure Aktion live senden.
(http://www.youtube.com/watch?v=vT-WVoxrtvJw)

Stefan Schultheiß: Ja, die haben wir total überrumpelt, und die Aktion wurde sehr positiv in der Öffentlichkeit wahrgenommen. Frechheit siegt!

ZivilCourage: Welchen Bezug hast du zur Friedensbewegung?

Stefan Schultheiß: Mein konkretes Engagement für soziale Fragen begann beim Heidelberger Friedensratschlag (HFRS) im Jahr 2005, da war noch der Irakkrieg ein großes Thema und natürlich die immer noch ungelösten Probleme im Nahen Osten. Beim HFRS habe ich auch die wertvolle Arbeit der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion/Baden und anderer Friedenseinrichtungen kennen und schätzen gelernt.

ZivilCourage: Welche Umstände haben dich dann z.B. zu Attac geführt?

Stefan Schultheiß: Mir hat etwas in der Friedensbewegung gefehlt, was ich dann bei der Attac-Aktionsakademie 2006 gefunden habe: Flashmobs, Straßentheater, Großpuppenbau, Kommunikationsguerilla, Radioballett und die ganzen wilden Sachen! Durch diese Anregungen habe ich mich immer mehr bei Attac eingebracht und weniger Friedensarbeit geleistet.

ZivilCourage: Worin lagen die Gründe für diesen Rückzug aus der Friedensbewegung?

Stefan Schultheiß: Also ganz raus war ich nie, aber es wurde eben immer weniger. Wenn ich mir die Friedensbewegung anschaue, dann hat sie ihre Stärken in der Analyse von Konflikten und in der Entwicklung von alternativen und gewaltfreien Lösungswegen. Leider steht die Friedensbewegung in der Öffentlichkeit nicht so gut da, wie es die wichtigen Inhalte eigentlich zwingend verlangen. Die Stimme der Friedensbewegung ist zu leise und wird von zu wenigen gehört. Ein sinnvolles Mittel, um die Wahrnehmung sozialer Proteste zu verbessern, sind kreative, widerständige Aktionen.

ZivilCourage: In der Friedensbewegung hast du also den kreativen Protest vermisst?

Stefan Schultheiß: Richtig! Wobei ich betonen möchte, dass es natürlich sehr erfolgreiche kreative Protestaktionen in der Friedensbewegung gibt. In anderen sozialen Bewegungen geht es aber deutlich bunter und frecher zu.

ZivilCourage: Und nun soll PAXX das ändern? Wie kam es zu diesem Projekt?

Stefan Schultheiß: Mitte 2009 wurde ich eingeladen, bei der Kampagne "Unsere Zukunft atomwaffenfrei" mitzuwirken. Ich habe dort im Kampagnenrat Roland Blach von der DFG-VK kennengelernt, und wir haben schnell festgestellt, dass wir beide Motivation empfinden, in der Friedensbewegung die Kräfte für kreative Proteste zu stärken. Roland hat sich dann bei der DFG-VK erfolgreich für eine Aktionskonferenz eingesetzt. Mit meiner Vorgeschichte war klar, dass ich mich auf jeden Fall an PAXX beteiligen werde. Jetzt koordinieren wir gemeinsam das Projekt.

ZivilCourage: Ein anderer Hintergrund der PAXX-Aktionskonferenz waren die Proteste in Straßburg und die schlimmen Gewaltausbrüche.

Stefan Schultheiß: Ja, ich war dort. Es gab viele, die versucht haben, kreative gewaltfreie Aktionen zu machen, aber die Kreativität ist in der Gewalt total untergegangen. Die Inhalte gingen flöten, was traurig war. Auch diese Problematik werden wir bei PAXX aufgreifen.

ZivilCourage: Was erwartet uns sonst bei der PAXX-Aktionskonferenz?

Stefan Schultheiß: Wir bieten über drei Tage hinweg Workshops an zum Ausprobieren und Erlernen kreativer Protestformen. Nicht alles ist gerade eben erst erfunden worden. Wie lange gibt es denn schon politisches Straßentheater oder Puppenspiel? Zusammen mit den frischen Ideen aus neuen Protestformen haben wir ein spannendes Programm zusammengestellt. Praktische Trainings und inhaltliche Angebote zu gewaltfreier Aktion und zivilem Ungehorsam werden dabei sein. Am besten auf die PAXX-Website gehen und mal das Programm anschauen. Praktisches wie Pressearbeit, Moderation und Rechtliches haben wir auch eingeplant.

ZivilCourage: Wie werden bei PAXX die Inhalte behandelt, also Themen wie eine atomwaffenfreie Welt oder Anti-Rekrutierungsanstrengungen?

Stefan Schultheiß: Inhalte werden auch sehr wichtig sein. Daher wird es einen Strategienachmittag zur aktionsorientierten Diskussion über wichtige Themen der Friedensbewegung geben. Jede Aktion muss ja auch inhaltlich stimmig sein und sollte Sinn machen. Dazu gibt es ein Strategie- und ein Vernetzungsplenum, denn wir wollen schon sehr konkret werden und möglichst viele gute Impulse aus der Aktionskonferenz mitnehmen. Für alle, die dabei sein werden, wird es bestimmt eine tolle Zeit. Und mit Party & Activism machen wir auch eine Soli-Party! Das rockt!


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Quelle:
ZivilCourage Nr. 3 - August 2010, S. 14-15
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK e.V.),
Kasseler Straße 1A, 60486 Frankfurt
Redaktion: ZivilCourage, Postfach 90 08 43, 21048 Hamburg
Tel. 040/58 96 61 61, Telefax: 03212-10 28 255
E-Mail: zc@dfg-vk.de
Internet: www.zc-online.de

Erscheinungsweise: zweimonatlich
Jahres-Abonnement: 14,00 Euro einschließlich Porto


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. August 2010