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BERICHT/300: Meine Prägung durch Martin Luther King (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 3 - Juli/August 2013
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

Meine Prägung durch Martin Luther King
Die Bedeutung des Vorkämpfers für Gewaltfreiheit und Zivilen Ungehorsam für die eigene Friedensarbeit

Von UIIi Thiel



Niemand hat mich in meinem Denken und Handeln so sehr geprägt wie der US-amerikanische Bürgerrechtler Martin Luther King. Seine gewaltfreien direkten Aktionen und seine konsequente Fundierung und Orientierung auf Gewaltfreiheit haben einen sehr großen Einfluss auf meine langjährige Friedensarbeit gehabt und waren für mich immer eine wichtige Orientierung bei der Planung und Durchführung von Friedensaktionen vor Ort und überregional.

Zum ersten Mal intensiv befasst habe ich mich mit King und seinem Denken und Wirken im Sommer 1968, also kurz nach seiner Ermordung am 4. April 1968. Nachdem ich zwei seiner Bücher gelesen hatte, stand für mich fest: Nicht nur das politische Bewusstsein für Gerechtigkeit und Frieden ist wichtig, sondern auch das Handeln für diese Ziele ist unerlässlich. Als Kriegsdienstverweigerer, der gerade seinen Ersatz-/Zivildienst beendet hatte, war es naheliegend, dass ich mich Ende 1968 einer Karlsruher Friedensgruppe, nämlich der Deutschen Friedensgesellschaft-Internationale der Kriegsdienstgegner (DFG-IdK) anschloss, eine der Vorgängerorganisationen der DFG-VK. In dieser pazifistischen Organisation bin ich auch heute noch - gemeinsam mit meiner Frau Sonnhild - aktiv.

Nach dem Einstieg in die Friedensarbeit habe ich mehrere Veranstaltungen, ein Wochenendseminar (mit über 100 TeilnehmerInnen) und eine Vortragsreihe (in Baden) zu Martin Luther King und zu seinem gewaltfreien Kampf gegen Rassismus, Armut und Krieg initiiert und mitorganisiert. Zu diesen Veranstaltungen wurden jeweils ausgewiesene King-Kenner wie z.B. Heinrich Grosse oder Buchautoren wie Gerd Presler als Referenten eingeladen. Oft waren runde Jahrestage seines Geburtstages und seines Todes der Anlass. In jenen recht zahlreichen Veranstaltungen und Podiumsdiskussionen, zu denen ich - besonders von Schulen - als Referent zu Friedensfragen oder zur Frage der Kriegsdienstverweigerung eingeladen war, bezog ich mich in meinen Ausführungen auch immer wieder auf King und sein Gedankengut. Mir war dabei wichtig, nicht nur auf jenen King hinzuweisen, der sich für die Integration der schwarzen US-BürgerInnen eingesetzt hat, sondern auch auf das Engagement Kings in den letzten Jahren seines Lebens gegen die Armut - nicht nur der Schwarzen - in den USA und gegen den verbrecherischen Krieg, den die Regierung seines Landes in Vietnam führte. Dieser "radikalere" King war den meisten ZuhörerInnen weniger bekannt.



Gelungene Verbindung von Beruf und Politik

Auch bei meiner Arbeit als Lehrer für hör- und sprachbehinderte Kinder und Jugendliche kam dem Leben und Wirken Martin Luther Kings insbesondere im Religionsunterricht eine große Bedeutung zu. Bei den schwerhörigen SchülerInnen war es ganz wichtig, die Inhalte und Ereignisse, um die es bei Kings Engagement ging, auch mit Bildern und Filmen zu visualisieren und durch Rollenspiele erfahrbar zu machen. Für diese Schulklassen habe ich auch einige Texte zum Leben und Wirken Kings und zu wichtigen Ereignissen, z.B. dem Busboykott in Montgomery 1955, in einfacher Sprache verfasst. Diese Sprachreduzierung ist notwendig, um hörbehinderten Kindern den Zugang zu bestimmten Texten zu ermöglichen. Gefreut habe ich mich, als Schüler einer Abschlussklasse mir mitteilten, dass sie für ihre Hauptschulabschlussprüfung eine Projektarbeit zu Martin Luther King planten. Sie baten mich darum, sie bei diesem mehrwöchigen Projekt zu begleiten, was ich auch gerne tat. Es war bewundernswert, mit welcher Begeisterung diese Jugendlichen an die Arbeit gingen und wie intensiv sie sich mit dem Thema beschäftigten. Die Präsentation ihrer Arbeit war so beeindruckend, dass meine Kolleginnen und mein Schulleiter noch heute von dieser Prüfung schwärmen, bei der alle Beteiligten sehr gut benotet wurden. Es war übrigens ein Novum, dass an unserer Schule die Hauptabschlussprüfung mit einer Projektarbeit im Fach Religion absolviert wurde.

Eine besondere Verbindung zum Werk Martin Luther Kings habe ich Anfang der 1980er Jahre durch die Teilnahme am Friedensseminar im sächsischen Königswalde in der damaligen DDR und durch die Freundschaft mit Georg Meusel aus Werdau erhalten, einem der Aktiven dieses zweimal jährlich stattfindenden Seminars. Georg Meusel hatte sich schon seit langem sehr intensiv mit King und seinem gewaltlosen Kampf befasst. Er hat zahlreiche Artikel dazu geschrieben, die in verschiedenen Kirchenzeitungen veröffentlicht wurden.


Mit Briefmarken für die Gewaltfreiheit im "Ostblock"

Einmalig dürfte sein philatelistisches Exponat zum Thema "Martin Luther King gewaltloser Kampf gegen Unterdrückung und Krieg" sein. Diese Zusammenstellung von Briefmarken und postalischen Belegen mit entsprechenden Texten zum Wirken Kings wurde in mehreren Ausstellungen in der DDR und in weiteren osteuropäischen Ländern gezeigt. Sie hat sicherlich dazu beigetragen, den BesucherInnen den Gedanken der Gewaltfreiheit näher zu bringen, der dann Ende der 1980er Jahre ein ganz wichtiger Baustein für den friedlichen und gewaltfreien Verlauf der Revolution in der DDR war. Bei einem der Besuche von Georg Meusel in Westdeutschland machte ich ihn mit dem King-Biografen Prof. Gerd Presler bekannt, dem es bald danach gelang, die King-Ausstellung in der Karlsruher Pädagogischen Hochschule zu zeigen. Presler referierte in den 1980er Jahren auch bei einer internen Veranstaltung in Werdau über Martin Luther King.

Bei einem meiner Besuche in Werdau erzählte ich Georg Meusel von dem King-Dokumentarfilm "Dann war mein Leben nicht umsonst", dessen Uraufführung ich 1970 in den USA persönlich erlebt hatte. Wir hatten diesen sehr beeindruckenden Film, nachdem er synchronisiert worden war, häufig bei öffentlichen Veranstaltungen gezeigt, die entweder von unserer DFG-VK organisiert oder zu denen wir eingeladen worden waren. Zur Werbung für Film-Vorführungen dieser King-Dokumentation hatten wir von der DFG-VK Plakate in größeren Mengen drucken lassen, in die nur noch der Veranstaltungsort und die Zeit eingetragen werden mussten. Diese A2-Plakate wurden auch von mehreren weiter entfernten Friedens-Initiativen bei uns angefordert. Das Film-Plakat wurde im DFG-VK-Materialvertrieb angeboten, der von meiner Frau geführt wurde und in dessen Programm sich auch mehrere Bücher und Broschüren von und über Martin Luther King befanden.

Georg Meusel kannte den King-Film aus dem (West-)Fernsehen und war erfreut zu erfahren, dass es ihn auch als 16-mm-Kopie gibt. Wir überlegten, was wir machen könnten, um eine Kopie dieses Dokumentarfilms zu finanzieren und in die DDR zu bekommen. Mir gelang es in recht kurzer Zeit, durch "Bettelbriefe" an FriedensfreundInnen die Finanzierung über ca. 3.000 Mark zu sichern, und Georg Meusel fand über den Filmdienst des Evangelischen Jungmännerwerks Magdeburg und das DDR-Kulturministerium einen Weg, wie eine Kopie dieser Film-Dokumentation nach Werdau kam. Dieser King-Film hat in den darauffolgenden Jahren bei sehr vielen Veranstaltungen in der DDR tausende BesucherInnen über King und seinen gewaltfreien Kampf informiert.

Es war Georg Meusel, der dann 1998 die Gründung des "Martin Luther King-Zentrums für Gewaltfreiheit und Zivilcourage" initiierte. Viele Jahre war er Vorsitzender dieses Vereins. Ich war Gründungsmitglied und unterstütze seitdem die wichtige Arbeit des King-Zentrums, soweit es mir von Karlsruhe aus möglich ist.



Auf den Spuren von Martin Luther King

Unvergessen bleibt für mich auch eine Studienreise in die USA, die ich angeregt und mitorganisiert hatte. Eine Gruppe von 16 Aktiven aus der Friedensbewegung war im August 2001 drei Wochen lang "auf den Spuren Martin Luther Kings" in verschiedenen Städten der USA unterwegs, in denen King gewirkt und gelebt hat und wo er gestorben ist. Wir - vorwiegend Mitglieder des Versöhnungsbundes, des Martin-Luther-King-Zentrums und der DFG-VK - hatten in diesen 20 Tagen viele Erlebnisse und Begegnungen mit Menschen, die das Andenken an King wach hielten und die sich in den USA gewaltfrei für Gerechtigkeit und Frieden einsetzten. An einigen Orten fühlten wir uns King ganz nahe. Am intensivsten empfand ich dies im Lorraine-Hotel in Memphis, auf dessen Balkon er am 4. April 1968 ermordet worden war.

"Wir haben nicht mehr die Wahl zwischen Gewalt und Gewaltfreiheit. Wir müssen wählen zwischen Gewaltfreiheit und Untergang." Diese Aussage Martin Luther Kings, mit der wir auch auf unserer Studienreise konfrontiert wurden, macht deutlich, wie wichtig es ist, den Kampf für Gerechtigkeit und Frieden gewaltlos zu führen und an diesem Fundament der Gewaltfreiheit unbeirrbar festzuhalten.


Ulli Thiel ist Sprecher der DFG-VK-Gruppe Karlsruhe.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Am 28. August ist es 50 Jahre her, dass sich 250.000 Menschen zum Abschluss des Marsches auf Washington für Arbeit und Freiheit in der US-Hauptstadt Washington versammelten. Dort hielt Martin Luther King vor dem Lincoln-Memorial die berühmt gewordene Rede "I have a dream".

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Quelle:
ZivilCourage Nr. 3 - Juli/August 2013, S. 26 - 27
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft -
Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. August 2013