Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → FRIEDENSGESELLSCHAFT

BERICHT/315: Die Verhöhnung eines Menschenrechts - Kriegsdienstverweigerung in Griechenland (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 3 - August/September 2014
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

Die Verhöhnung eines Menschenrechts
Die Situation von Kriegsdienstverweigerern in Griechenland ist - immer noch - katastrophal

Von Yannis Chrissoverghis (Übersetzung: Guido Grünewald)



Die Behandlung von Kriegsdienstverweigerern in Griechenland ist ein fortdauernder Skandal. Zwar ist das Land nach langen fahren autoritärer Herrschaft und dem Sturz der Militärjunta 1974 seit 40 fahren eine Demokratie, aber Kriegsdienstverweigerern werden nach wie vor elementare Rechte verweigert.

Ich selbst habe seit den 1980er Jahren bei zahlreichen internationalen Begegnungen, die in Athen stattfanden, versucht, durch Unterschriftensammlungen bei den Kongressteilnehmern Druck aufzubauen, und bei mehreren direkten Kontakten mit dem jeweiligen Verteidigungsminister die Missstände angesprochen und auf Änderungen gedrängt, leider ohne jeden Erfolg. Besonders schäbig ist aus meiner Sicht die geradezu rachsüchtige Strafverfolgung derjenigen KDVer, die vor Inkrafttreten einer gesetzlichen Regelung ihre Verweigerung erklärt haben. Aber auch die heutigen KDVer sind so gut wie chancenlos, wenn sie nicht zu den Zeugen Jehovas zählen, wie der von mir übersetzte Essay von Yannis Chrissoverghis zeigt.

In einer aktuellen Presseerklärung beklagt das Europäische Büro für Kriegsdienstverweigerung (Ebco), dass in Griechenland während der sechs Monate der griechischen EU-Präsidentschaft (Januar bis Juni 2014) drei KDVer verhaftet und drei weitere Verweigerer zu insgesamt 32 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt wurden.

Guido Grünewald ist internationaler Sprecher der DFG-VK.

*

Die Verweigerung des KDV-Rechts in und durch Griechenland

17 Jahre nach der gesetzlichen Anerkennung und 13 Jahre nach der Aufnahme des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung in die Verfassung interpretiert die griechische Regierung dieses Recht als ein Privileg, das den Zeugen Jehovas gewährt wird. Seit zwei Jahren sind alle Anträge auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer, die anders begründet waren als mit Zugehörigkeit zu dieser Religionsgruppe, routinemäßig abgelehnt worden. Verhaftungen und Prozesse gegen Kriegsdienstverweigerer häufen sich. Die jüngste Episode war am 13. Mai 2014 der Prozess gegen den 48 jährigen Kriegsdienstverweigerer Dimitris Sotiropoulos, Vater von drei Kindern, wegen Befehlsverweigerung ... im Jahr 1992.

Schlimmer als die Inquisition

Existiert das Recht auf Kriegsdienstverweigerung in Griechenland überhaupt noch? Diese Frage muss ernsthaft gestellt werden. Das Gesetz sieht für Kriegsdienstverweigerer einen Zivildienst von 15 Monaten Dauer vor. Der Verweigererstatus wird jedoch in einer äußerst selektiven Weise vergeben.

Seit den Anfängen im Jahr 1988 erteilt der Ausschuss des Verteidigungsministeriums, der über die Anträge entscheidet und aus zwei Militärs, zwei Universitätsprofessoren und einem Richter besteht, Mitgliedern der Zeugen Jehovas auf der einfachen Grundlage einer Bescheinigung ihrer Religionsgruppe den Status automatisch. Anderen Antragstellern steht eine gründliche Überprüfung ihrer Überzeugung bevor, auf die selbst die Heilige Inquisition eifersüchtig wäre. In der Hälfte aller Fälle erfolgt die Ablehnung auf der Grundlage von Kriterien, die unerklärlich sind und nicht erläutert werden.

Seit zwei Jahren sind alle Anträge mit anderen Motiven als der Zugehörigkeit zu den Zeugen Jehovas abgewiesen worden. Das Verteidigungsministerium legt dieses Verhalten nicht zum ersten Mal an den Tag. Von 2004 bis 2006 hatte es ebenso gehandelt, war aber als Folge einer gemeinsamen Kampagne des Europäischen Büros für Kriegsdienstverweigerung (Ebco = European Bureau for Conscientious Objection) und von amnesty international zu der Praxis zurückgekehrt, 50 Prozent der Antragsteller anzuerkennen.

Die abgelehnten Verweigerer werden zu Befehlsverweigerern erklärt mit der Folge einer - 2011 eingeführten - Geldstrafe von 6000 Euro und juristischer Strafverfolgung. 2013 wurden mehr als zehn Kriegsdienstverweigerer inhaftiert, vor Militärgerichte gestellt und zu Gefängnisstrafen von acht bis zwölf Monaten auf Bewährung verurteilt.

Außerdem werden die Gerichtsverfahren gegen Verweigerer wegen Befehlsverweigerung aus der Zeit vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Anerkennung der Kriegsdienstverweigerung fortgesetzt. Griechenland ist das einzige Land, das das Recht auf Kriegsdienstverweigerung anerkannt hat, ohne die in den Jahren davor angeklagten Verweigerer zu begnadigen. Als die Ebco-Vertreter 1997 - einige Tage vor dem Parlamentsvotum über die erstmalige gesetzliche Anerkennung der Kriegsdienstverweigerung - hartnäckig eine Amnestie für Alt-Verweigerer forderten, erklärte der damalige Verteidigungsminister Akis Tsochadjopoulos: "Das wird niemals geschehen."

Die Folgen dieser Einstellung wurden sofort spürbar. Den Alt-Verweigerern, die sich für den mit dem Gesetz eingeführten Zivildienst entschieden, wurde ein Alternativdienst von der sieben- bis zehnfachen Länge des Militärdienstes angeboten.

Verfolgung ohne Ende

Der abscheulichste Fall ist der von Lazaros Petromelidis, der 1992 verweigert hat. Weil er sich 1998 weigerte, einen Zivildienst von 30 Monaten zu leisten - der Militärdienst hätte nur 4 Monate gedauert, da Lazaros bereits 57 Jahre alt war und ein Kind hatte -, wurde er sechzehnmal wegen Befehlsverweigerung inhaftiert, vor Gericht gestellt und verurteilt. Die griechische Militärjustiz behandelt nämlich jede neue Einberufung, der der Betreffende nicht nachkommt, als neuen Fall von Befehlsverweigerung. Lazaros wurde zuletzt im Jahr 2013 verhaftet.

1992 verweigert, 2014 verurteilt

2013 wurden zwei weitere Kriegsdienstverweigerer verhaftet: Nikos Karanikas, 45, Kriegsdienstverweigerer seit 1995 und Nikos Krontiras, 47, der 1996 verweigert hat.

Die Verfolgung geht weiter: Dimitris Sotiropoulos, 48 Jahre alt und Vater von drei Kindern, wurde am 15. Mai 2014 von einem Militärtribunal verurteilt Wegen einer Befehlsverweigerung ... aus dem Jahr 1992. 1998 - er war verheiratet und seine Frau mit dem ersten Kind schwanger - hatte er es abgelehnt, den ihm angetragenen Zivildienst zu leisten, da er sich außerstande sah, die finanzielle Belastung eines Zivildienstes von 36 Monaten Dauer zu tragen.

Unter diesen Umständen lautet die Frage: Gibt es wirklich ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung in Griechenland?

Yannis Chrissovergbis ist Journalist in Athen und "Alt-Verweigerer".

*

Die endlose Verfolgung des griechischen Kriegsdienstverweigerers Dimitris Sotiropoulos

Der 48-jährige Vater von drei Kindern wurde 1992 erstmals einberufen und wird seitdem drangsaliert

Dimitris Sotiropoulos wurde am 13. Mai 2014 vom Militärgericht Thessaloniki wegen "Befehlsverweigerung in Friedenszeiten" zu 10 Monaten Haft auf Bewährung und 200 Euro Verfahrenskosten verurteilt. Er hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt.

Mein politischer Hintergrund

Seit früher Jugend zähle ich mich zur Linken - zuerst als Mitglied der Eurokommunistischen Partei, heute als unabhängiger Linker, der die "europäische Idee" sowie die Ökologiebewegung unterstützt und vom Öko-Anarchismus beeinflusst ist

Meine KDV-"Karriere"

- 1987 habe ich mich in Unterstützung von Michalis Maragakis, dem ersten griechischen Kriegsdienstverweigerer, der KDV-Bewegung angeschlossen. Später wurde ich Mitglied der Griechischen Vereinigung der KDVer.

- Am 13. Februar 1990 habe ich in einer Pressekonferenz meine Kriegsdienstverweigerung erklärt, weil ich Gewalt ablehne und mich Militarismus und Nationalismus widersetze. Ich habe einen zivilen Alternativdienst gefordert, der damals in Griechenland nicht existierte.

- Am 16. März 1992 wurde ich einberufen. Ich schrieb an die Wehrbehörde: "Als Pazifist und Internationalist ist es gegen mein Gewissen, zur Armee zu gehen. Ich fordere, einen Alternativdienst wählen zu können."

- Zwischen April und November 1992 wurde ich mehrmals zu Hause in Athen von Polizisten zu meinen Zukunftsplänen und meiner Weltanschauung befragt.

- Am 02. November 1992 wurde mir die Ausreise aus Griechenland verboten.

- Am 11. November 1992 erhielt ich eine Vorladung für eine Befragung. Ich antwortete mit einem Brief, in dem ich erneut meine Ablehnung von Gewalt erläuterte und forderte, als Kriegsdienstverweigerer anerkannt zu werden.

- Am 19. Juli 1993 erhielt ich einen zweiten Einberufungsbescheid. Ich antwortete erneut mit einem Brief, in dem ich meine Kriegsdienstverweigerung erklärte (bis 1997 wurden Kriegsdienstverweigerer in Griechenland nicht anerkannt).

- Am 27. September 1995 zogen Polizeibeamte auf dem Athener Flughafen meinen Pass ein. Ich wollte nach Zypern fliegen, um den türkisch-zypriotischen Verweigerer Salih Askerogul zu unterstützen.

- Am 29. März 1994 begann meine Verfolgung wegen "Befehlsverweigerung in Zeiten allgemeiner Mobilmachung". Die allgemeine Mobilmachung bestand seit der türkischen Invasion auf Zypern 1974 bis zum Jahr 2002.

- Im Juni und August 1994 kamen Polizisten zweimal vergeblich, mich zu Hause zu verhaften. Ich bezog eine andere Wohnung.

- 1995 wurde mein Personalausweis gestohlen. Bis 2008 lebte ich ohne Ausweis, was zahlreiche Komplikationen mit sich brachte.

- Im Juni 1999 schilderte ich dem griechischen Ombudsmann meinen Fall in einem ausführlichen Bericht. Ich bat um Unterstützung meiner Bürgerrechte, da ich nicht an der Parlamentswahl teilnehmen konnte und dies als Verstoß gegen die Verfassung betrachtete. Ohne Personalausweis kann niemand an der Wahl teilnehmen. Ausweise erhält man aber nur auf der Polizeiwache, wo ich als "Fahnenflüchtiger" sofort festgenommen worden wäre. Der Ombudsmann antwortete, nur wenn ich den Militärdienst oder den - inzwischen eingeführten - Alternativdienst von doppelter Länge leiste, könne ich volle Bürgerrechte genießen.

- Am 18. Dezember 2005 suchten Polizisten nach mir im Haus meiner Eltern und bei Nachbarn.

- Am 10. März und am 11. April 2006 spürte die Polizei meine neue Wohnstätte auf und versuchte zweimal, mich zu verhaften. Ich war jeweils abwesend, sie befragten meine Frau.

- Am 30. Mai 2007 wurde ich von der Polizei vorgeladen. Ich antwortete am 27. Juni 2007 mit einem Brief (Kopien gingen an die Militärbehörden und den Verteidigungsminister), in dem ich erklärte, ich sei nicht bereit, einen Zivildienst von abschreckender Dauer zu leisten. Ich forderte einen fairen Alternativdienst.

- Im August wurde meine Forderung von den Militärbehörden und dem Verteidigungsminister abgelehnt.

- Am 02. Mai 2008 wurde ich Vater eines dritten Kindes. Das Gesetz sieht dafür eine Befreiung von der Wehrpflicht vor. Ich erhielt einen neuen Personalausweis, einen Pass und das Recht, ins Ausland zu reisen.

- Am 10. Oktober 2008 erhielt ich eine neue Vorladung der Militärbehörden zu einer förmlichen Befragung wegen der Befehlsverweigerung aus dem Jahr 1994.

- Ich ging nicht hin und antwortete mit einem Brief.

- Am 21. März 2013 erhielt ich die Ladung für eine Gerichtsverhandlung wegen "Fahnenflucht in Zeiten allgemeiner Mobilmachung", die ein Kapitalverbrechen darstellt. Die Verhandlung fand am 28. Mai statt. Da der Zustand allgemeiner Mobilmachung 10 Jahre zuvor endete, wurde dieser Anklagepunkt fallen gelassen und der Fall an das Militärgericht Thessaloniki verwiesen.

Ebco-Präsident Friedhelm Schneider sagte vor dem Militärgericht in Thessaloniki mit vier anderen nationalen und internationalen Zeugen für Dimitris Sotiropoulos aus. Hier einige Auszüge aus seinen Prozessnotizen: "Die internationalen Zeugen wiesen durchweg auf internationale KDV-Standards und Amnestieregelungen in Ländern hin, wo nach Legalisierung der KDV anhängige Verfahren gegen 'Altverweigerer' nicht weitergeführt wurden und inhaftierte KDVer freigelassen wurden. All dies interessierte das Gericht nur mäßig, stattdessen wurde fast gebetsmühlenartig die Frage gestellt: Ist es nicht ein Widerspruch, wenn ein Pazifist seine Zurückstellung oder Dienstbefreiung durch eine Militäradministration betreibt, die er doch ablehnt? (Dimitris hatte nach der Geburt seines dritten Sohnes der Militärverwaltung eine entsprechende Bescheinigung vorgelegt, um entsprechend den geltenden Bestimmungen von der Militärdienstpflicht befreit zu werden, was dann auch geschah.)

Nach der Zeugenbefragung kommt es zum Eklat, als Dimitris erneut die Zuständigkeit des Militärgerichts bestreitet und für sich nicht anerkennt. Der Vorsitzende moniert lautstark eine Missachtung des Gerichts, das seine Arbeit gut mache. Der Staatsanwalt wirft ein, diese Ablehnung des Gerichts von Anfang an sei eine Art von Rassismus... Kommentar des Vorsitzenden: "Dass bei Ihnen (Dimitris) ein paar Mal die Polizei vorbeikam, das ist doch keine Verfolgung." Dimitris zählt die Diskriminierungen auf, denen er jahrzehntelang ausgesetzt war: Einbehalten des Passes, keine neuen Papiere, keine Möglichkeit, ins Ausland zu reisen, keine Teilnahme an Wahlen, Probleme bei der Anmeldung der Kinder, bei der Einrichtung eines Kontos, der Anmietung einer Wohnung, der Einrichtung eines Telefonanschlusses...

Der Staatsanwalt resümiert: Militärdienst-Entziehung (Einberufungsflucht) ist und bleibt, ein allgemeines Vergehen - auch wenn der Angeklagte inzwischen nicht mehr der Wehrpflicht unterliegt. Der Angeklagte glaubt zwar, aufgrund seiner ideologischen Meinung sei er im Recht. Aber alles in allem hat er sich nur um seine Familie und seine persönlichen Probleme gekümmert... Mit der Bemerkung "Wir erkennen an, dass das Vergehen des Angeklagten nicht auf böswillige Beweggründe zurückgeht", beantragt der Staatsanwalt eine Freiheitsstrafe von 10 Monaten, die zwei Jahre lang zur Bewährung ausgesetzt ist. Genau so fällt nach kurzer Beratung das Urteil aus. Die Gerichtskosten (200 Euro) gehen zu Lasten des Angeklagten."

*

Quelle:
ZivilCourage Nr. 3 - August/September 2014, S. 14-16
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft -
Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK)
Werastraße 10, 70182 Stuttgart, Telefon 0711/5189 2626
Redaktion: ZivilCourage, Am Angelweiher 6, 77974 Meißenheim
Telefon: 07824/664 67 94, Telefax: 03212/102 82 55
E-Mail: zc@dfg-vk.de
Internet: www.zc-online.de
 
Erscheinungsweise: zweimonatlich, sechs Mal jährlich
Jahres-Abonnement: 14,00 Euro einschließlich Porto
Einzelheft: 2,30 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. September 2014