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GRUNDSÄTZLICHES/008: Zivile Konfliktbearbeitung - eine Chance für den Frieden in Afghanistan? (FP)


Forum Pazifismus Nr. 20 - IV/2008
Zeitschrift für Theorie und Praxis der Gewaltfreiheit

Zivile Konfliktbearbeitung - eine Chance für Frieden in Afghanistan?
Eine Zivile Strategie für Frieden, Sicherheit und Entwicklung

Von Andreas Buro


Die Kriegführung der Interventionstruppen in Afghanistan mit ihren hohen "Kollateralschäden", sowie das Fehlen einer wirklichen Hilfe zur Bekämpfung von Armut auf dem Lande treiben den Taliban immer neue Kämpfer auch für Selbstmordattentate zu. Die UN-mandatierte Schutztruppe Isaf unter Führung der Nato ist für die Afghanen nicht mehr unterscheidbar von den Kampftruppen von Operation Enduring Freedom (OEF). Über die Entsendung von Tornado-Aufklärungsflugzeugen neben seinen Bodentruppen ist Deutschland mittlerweile fest in die militärischen Kämpfe eingebunden, zumal es seit Juli auch noch eine militärische Eingreiftruppe (Quick Reaction Force) stellt. Seit 2001 war auch das KSK (Kommando Spezial-Kräfte) der Bundeswehr in Afghanistan in geheimen Missionen unter OEF-Führung im Einsatz. Der Interventionskrieg der USA und der Nato in Afghanistan geht ins achte Jahr, er dauert also schon länger als der Zweite Weltkrieg. Manche Politiker rechnen mit noch weiteren 10 bis 15 Jahren.

Etwa Zweidrittel der deutschen Bevölkerung lehnen den westlichen Interventionskrieg und die deutsche Beteiligung daran ab. Je mehr Deutschland sich in die Verstrickungen dieses Krieges begibt, desto stärker wird es als Feind der islamischen Welt wahrgenommen. Das bedeutet für die Deutschen zunehmende Bedrohung, Freiheitsbeschränkungen durch die eigene Regierung zwecks vermeintlicher Terror-Abwehr und eine sich weiter verstärkende Einbindung in das unfriedliche System der Konfliktbehandlung mit militärischen Mitteln.

Dieser unheilvollen Entwicklung ist entgegenzuwirken. Im Rahmen des Monitoring-Projekts: Zivile Konfliktbearbeitung, Gewalt- und Kriegsprävention der Kooperation für den Frieden werden in Dossiers zivile, eben nicht-militärische Möglichkeiten der Konfliktbearbeitung aufgezeigt.(1)

Afghanistan ist seit der britischen und russischen Kolonialpolitik des 19. Jahrhunderts immer wieder militärischen Interventionen ausgesetzt gewesen, gegen die sich die Afghanen militärisch verteidigt haben. Unter den Interventionen hat die Entwicklung des Landes sehr gelitten. Innere Spannungen zwischen Ethnien, War-Lords, Opium-Baronen und religiösen Gruppierungen sind eskaliert. Wir plädieren deshalb in diesem Dossier für eine konsequente Friedens- und Entwicklungspolitik, die den Bedürfnissen der afghanischen Gesellschaft entspricht. Deutschland könnte dabei - auch zum Vorteil der eigenen Gesellschaft - eine wichtige Rolle spielen, wenn es seine gegenwärtige Politik und Ausrichtung auf weltweite Interventionen aufgeben und auf eine Politik der zivilen Konfliktbearbeitung umschwenken würde. Gegenwärtig sind Tendenzen zu einem solchen Umschwung nicht erkennbar, eher das Gegenteil.


Zur Lage in Afghanistan

Am 9. Mai haben sich in Kabul 3.000 Stammesvertreter, Intellektuelle und Politiker aus allen Teilen Afghanistans zur "Nationalen Friedens-Jirga" und damit zu einer landesweiten Friedensbewegung zusammengeschlossen. Sie repräsentiert die breite, kriegsmüde Bevölkerungsmehrheit vor allem aus dem Süden und Osten, die sich dringend nach Frieden und nach einem Abzug der ausländischen Soldaten sehnt.

Afghanistan ist ein Vielvölkerstaat und hat somit eine Bevölkerung mit sehr unterschiedlichen Loyalitäten. Paschtunen (ca. 40 %), Tadschiken (25 %), mongolstämmige Hazara (15 %) und Usbeken (5 %) sind die größten Völker neben vielen weiteren kleineren. Dari, Paschtu und Usbekisch sind die vorherrschenden Sprachen. Verbindend wirkt, dass fast alle Muslime sind (ca. 84 % Sunniten, 15 % Schiiten). Die Religion ist ein wichtiges verbindendes Element. Es bestehen große Unterschiede zwischen städtischer und ländlicher Bevölkerung, welche die große Mehrheit der etwa 29 Millionen Einwohner ausmacht. Eine modernes produktives Bürgertum existiert in diesem Lande fast nicht.

In der Armutsstatistik liegt Afghanistan auf Platz 174 von 178 Ländern (UN-Armutsindex). Die Armut auf dem Lande ist besonders groß. Unter wachsenden Teilen der Bevölkerung herrscht sogar Hungersnot. Landwirtschaft und Tierhaltung sind die wichtigsten Arbeitsgebiete. Die Afghanen sind insbesondere durch die Lebensweise auf dem Lande mit den Stammestraditionen stark verbunden.

Historische Erfahrungen, ständige Zivilverluste durch Bombardements, mangelnde Sicherheit, Armut und die starken traditionalen Bindungen veranlassen viele Afghanen, sich gegen die Interventen von außen zu wenden. "Modernisierung" nach fremden Vorbildern ist in der Geschichte Afghanistans immer wieder auf großen Widerstand gestoßen. Landesweite Kooperationsbereitschaft zur westlich geprägten Modernisierung, wenn sie nicht der unmittelbaren und fühlbaren Förderung der Lebensbedingungen dient, ist also nicht selbstverständlich. Die Bedeutung der Stämme, die auf ihrer Eigenständigkeit bestehen, ist nach wie vor groß.

Die Gesellschaft ist von den jahrelangen Kriegen geprägt. Der mangelhafte politische Prozess nach 2001 hat zu einer Situation geführt, in der neben offiziellen Strukturen neue informelle, unsichere, partielle Herrschaftsformen (Warlords, Opiumkartelle) im Sinn eines "informellen Kräftegleichgewichts aufgebaut wurden.

Die Regierung in Kabul ist weitgehend abhängig von der Unterstützung durch die Interventionsmächte, die über 90% ihres Budgets finanzieren, und sie militärisch und örtlich auf die Hauptstadt sowie regionale Zentren (v. a. Provinzhauptstädte) begrenzt nur notdürftig und keineswegs nachhaltig abzusichern versuchen.

Die Zusammensetzung der Regierungsinstitutionen ist in erheblichem Maße dadurch bestimmt, dass die USA ihren Angriff auf Afghanistan in Kooperation mit den War-Lords des Nordens - also Kräften aus den nicht-paschtunischen Teilen des Landes - betrieben haben, die an der Zerstörung Kabuls zwischen 1992 und 1996 beteiligt waren. Diese Warlords spielen nun eine wichtige Rolle in den Regierungsinstitutionen. Von ihnen demokratisches Verhalten oder Interesse zu erwarten ist illusorisch.

Angesichts der erheblichen Inkompetenz der offiziellen Gerichte, der schlechten Bezahlung von Polizei und Militär sowie der problematischen Zusammensetzung der Regierung und ihrer Institutionen spielt Korruption von oben bis unten eine zentrale Rolle. Die Interventionsstaaten und andere geben neben den militärischen Ausgaben auch Gelder für die Entwicklung Afghanistans. Diese betrugen 2002 bis 2006 für Entwicklungshilfe ca. 7 Milliarden US-Dollar und für Gesundheit/Ernährung ca. 430 Millionen Dollar. Dagegen wurden für den militärischen Bereich ca. 82 Milliarden Dollar ausgegeben (Quelle: IMI-Analyse 2007/029). Vor allem kommen die Mittel nur in ganz geringem Maße der ländlichen Bevölkerung zugute, die aber die große Mehrheit bildet. Dieses Missverhältnis gilt auch für die etwa 26 Provincial Reconstruction Teams (PRT), die vom Militär gestellt und deren zweifelhafte Erfolge propagandistisch in den Geberländern hochgelobt werden.

Mittlerweile werden unter dem Begriff "Taliban" oft alle diejenigen Afghanen verstanden, die sich gegen die ausländischen Streitkräfte zur Wehr setzen, also aufständische Aktionen unternehmen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Taliban in Wirklichkeit eine einheitliche Gruppe bildeten. Richtiger erscheint es, die Heterogenität der Taliban und ihre unterschiedlichen Motivationen anzuerkennen, aber auch deren teilweise Verankerung in der Bevölkerung, speziell in der paschtunischen. Die Bindungen der Bevölkerung an die Taliban haben vor allem etwas mit Traditionen, Religion, Armut, Perspektivlosigkeit durch wachsende Unsicherheit und mit lokalen Machtverhältnissen zu tun.

Taliban und Al Quaida sind nicht identisch. Während die Taliban sich vorwiegend auf die afghanische Situation konzentrieren, folgt Al Quaida einer eher internationalen Orientierung, die auch in Konflikt mit örtlichen Interessen der Taliban geraten kann.


Ziele und Aktivitäten von USA und Nato

Der Krieg in Afghanistan ist so schwer zu beenden, weil er ursprünglich Teil der als Greater Middle East Iniative bezeichneten Strategie der Neokonservativen in USA war, bei der es um Ziele der US-Imperialpolitik ging und weil es gar nicht um Frieden und Demokratie in dem Lande geht.

Ein Teil der Interventionstruppen steht unter dem Mandat der UN-Sicherheitsrats (Resolution 1386 v. 20.12.2001). Es sind dies die International Security Assistance Force (Isaf), die von der Nato geführt wird und einen Frieden erzwingenden Auftrag hat, was heute vielfach Aufstandsbekämpfung heißt. Die Operation Enduring Freedom (OEF) steht unter Führung der USA. Sie soll den Krieg gegen die Taliban und Al Quaida führen. Ursprünglich sollten Isaf und OEF getrennt operieren. Seit 2007 verwischen sich die Zuständigkeiten. ISAF wird mehr und mehr zur Krieg führenden Truppe.

Die Interventionstruppen sehen sich vor viele zivile Probleme gestellt, auf die sie als Militär keine Antwort haben. Sie bemühen sich deshalb, die ihnen fehlenden Fähigkeiten durch die Heranziehung ziviler Organisationen zu erlangen. Das wird als zivil-militärische Zusammenarbeit bezeichnet. Die ZMZ zivilisiert aber nicht den militärischen Einsatz, sondern dient der Steigerung der Wirksamkeit der militärischen Intervention. Mit einer Politik der Zivilen Konfliktbearbeitung hat dies nichts zu tun.

In den letzten Jahren hat sich die militärische Situation und damit auch die Sicherheitslage für die Bevölkerung von Afghanistan drastisch verschlechtert. So hat sich die Zahl der militärischen Anschläge einer Studie des Hamburger Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik zufolge von etwa 2.600 im Jahr 2006 auf rund 4.000 im Jahr 2007 erhöht. Insgesamt zählte die Uno schon im Jahr 2006 bis zu 2.200 "illegale" bewaffnete Gruppen. Mit bis zu 200.000 Kämpfern, die über mehr als 3,5 Millionen leichte Waffen verfügen, kontrollieren sie nach Schätzungen der internationalen Expertengruppe Senlis Council mittlerweile 54 Prozent des afghanischen Territoriums; in weiteren 38 Prozent sind sie präsent (J. Rose, Freitag, 27, vom 4.7.2008).

Da die Nato als weltweite Interventionstruppe aus westlicher Sicht nicht besiegt werden darf, ist eine ständige militärische Eskalation zu erwarten, denn "Vietnam 1973" - die US-Truppen mussten damals fluchtartig Vietnam verlassen - soll auf alle Fälle vermieden werden. Präsidentschaftskandidat Obama will ebenfalls mehr Soldaten nach Afghanistan entsenden. US-Verteidigungsminister Robert Gates schlug vor, statt der bisherigen "Strategie des Aufbaus", auf eine klassische Anti-Aufstandsstrategie umzustellen (SZ 13.12.2007, S. 8). Auch alles dies deutet darauf hin, die Interventionsmächte setzen ganz auf die militärische Karte - eine furchterregende Perspektive!

Ziele einer zivilen Strategie, die hier als Grundlage für die Politik-Orientierung und Argumentation der Friedensbewegung vorgeschlagen wird, muss ihren Ansatz mit ihrem übergreifenden Ziel verbinden, militärische Interventionspolitik zurückzudrängen und zivile Konfliktbearbeitung zur gängigen Praxis werden zu lassen. Aus dieser Sicht sind die Ziele dieser zivilen Afghanistan-Strategie:


Frieden und Kooperation zu fördern und damit die Sicherheit im Lande zu stärken.
Darauf zu drängen, dass den Völkern Afghanistans nicht die Möglichkeit zu einer selbstbestimmten Entwicklung und staatlichen Ordnung in Einklang mit ihren historischen Traditionen verstellt wird.
Einen Ausweg aus der militärischen Konfrontation zu eröffnen.
Zivile Konfliktbearbeitung (ZKB) zu erproben und als vorteilhafte Alternative bekannt zu machen.
Möglichst viele Nato-Länder auf diesen zivilen Kurs zu bringen.
Die Selbstständigkeit der EU-Staaten gegenüber der US-Interventionspolitik zu fördern, auch wenn keine Illusion über die Bereitschaft vieler EU-Staaten, sich an militärischer Interventionspolitik weiterhin zu beteiligen, bestehen darf.

Diese Prinzipien sind dabei zu beachten:

Konflikttransformation von der militärischen auf die politische Ebene.
Eine zivil-militärische Zusammenarbeit (ZMZ oder englisch Cimic) ist abzulehnen. Aktuell erleben wir, wie die militärische Seite versucht, unter diesem Schlagwort sich die für sie notwendigen zivilen Fähigkeit anzugliedern, bei Dominanz des Militärischen.
Vertrauensbildung durch einseitige Schritte und Vorleistungen.
Bekenntnis zu einer Politik der Aussöhnung und des gegenseitigen Respekts.
Vorteil oder zumindest Annehmbarkeit der Vorschläge für alle Seiten.
Alle Akteure sind einzubeziehen, auch die staatlichen. Sich nur auf die NGOs und sozialen Bewegungen zu beziehen, verkennt die Realität.
Die Mittel bestimmen die Ziele und nicht umgekehrt! (Ziel/Mittel Relation).
Leitfaden sind die Menschen- und Minderheitenrechte.

Die Situation in Afghanistan kann nicht schlagartig verändert werden. Die führende Nato-Macht USA ist bislang nicht bereit, ihre Truppen abzuziehen. Deshalb ist jede Diskussion unter dem Vorzeichen "Wenn morgen alle Truppen abziehen" unrealistisch. Die Weichenstellung hin zu Ziviler Konfliktbearbeitung muss bereits unter den Bedingungen fortgesetzter Kampfhandlungen erfolgen. Darauf zielen die folgenden Vorschläge.

Die Ausgangsthesen lauten:

Erstens: Da eine baldige Änderung der US-Interventionspolitik nicht zu erwarten ist, muss ein gewichtiger beteiligter Staat ausscheren, um zu zeigen, dass eine nicht-militärische Bearbeitung des Konflikts aus der jetzigen Sackgasse führen kann. Deutschland könnte diese wichtige Rolle durch eine friedenspolitische Wende seiner bisherigen Afghanistan-Politik spielen und gleichzeitig eine Exitstrategie für die Nato eröffnen. Die Unterstützung für eine solche Wende scheint in der deutschen Gesellschaft vorhanden zu sein, denn etwa 2/3 der Bevölkerung lehnen den Bundeswehreinsatz ab. Auch wenn die Bundesregierung diesen Vorschlägen nicht folgt, wäre eine Öffentlichkeit, die sich diese Vorschläge zu eigen macht und die Regierung daran misst, ein erheblicher Druckfaktor, und zwar auch auf andere EU-Nato-Länder.

Zweitens: Erst wenn die afghanische Bevölkerung eine Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse unter Wahrung ihrer Autonomie und ihrer Würde erkennen kann, wird sie sich auch so engagiert für Frieden und gegen Konfrontation einsetzen, dass eine Chance entsteht, Frieden Wirklichkeit werden zulassen. Eine wesentliche Verbesserung erfährt sie jedoch nicht durch die bisherigen Tätigkeiten der Isaf-Truppen, geschweige denn durch die OEF-Kampfeinsätze.


Die wichtigsten Anforderungen an die deutsche Politik

Im Folgenden wird Deutschland eine besondere Rolle zugemutet, die in Kontrast zu seiner bisherigen Politik steht. Wenn es die Rolle annähme, käme es zu Kontroversen mit den USA und der Nato, denn Deutschland würde damit aus der imperialen Machtstrategie der hochindustrialisierten Staaten, insbesondere der USA ausscheren. Dafür könnte es die Kooperation vieler Staaten gewinnen, die sich durch die Hochrüstung und den Machtanspruch der USA in ihrer eigenständigen, freien Entfaltung bedroht sehen.

Deutschland nennt ein festes, nahe liegendes Datum, bis zu dem die deutschen Truppen aus Afghanistan abgezogen sein werden. Es gibt damit ein deutliches Signal der Neuorientierung. Die Bundeswehreinheiten erhalten die Anweisung, sich ab sofort nicht in Kämpfe einzumischen. Sie stimmt gegen einen Einsatz von Awacs-Flugzeugen mit deutscher Besatzung.

Berlin gibt gleichzeitig bekannt, es werde seine zivile Hilfe je nach Bedarf bis zu dem Betrag aufstocken, der durch den Abzug der Truppen frei würde. Das sind etwa 500 Millionen Euro jährlich. Diese Mittel stünden für Entwicklungsprojekte in Afghanistan zur Verfügung, die von Orten und/oder Regionen des Landes gemeinsam für wichtig und nützlich gehalten werden und tatsächlich die Lebensbedingungen der Menschen vornehmlich auf dem Lande verbessern. Dort ginge es um schulische, soziale und medizinische Versorgung. Dabei sollen Frauen in besonderer Weise unterstützt werden. Ferner müssen Arbeitsplätze, Wasserversorgung und landwirtschaftliche Produktionen, unabhängig vom Mohnanbau für die Opium-Herstellung geschaffen werden. Von besonderer Relevanz sind hier Vorschläge aus der afghanischen Gesellschaft.

Die Bundesregierung erklärt ihre Bereitschaft, als Vermittlerin zwischen den Konfliktparteien, sowohl innerhalb Afghanistans, als auch mit den Interventionsmächten, zu dienen. Sie nimmt die erforderlichen Kontakte für diese Mission auf und beginnt mit bilateralen Gesprächen, um die Vorstellungen und Wünsche der einzelnen Akteure zu erfahren und weiter zu vermitteln.

Die weltweit erfolgreichen Modelle der Kleinkredite werden in Afghanistan eingesetzt, um die Wirtschaft anzukurbeln.

Die Konzentration auf den ländlichen Bereich schließt nicht aus, auch allgemeine oder städtische Projekte zu unterstützen. Dazu kann auch die rechtsstaatliche Ausbildung von Polizisten gehören, soweit diese nicht zu Kampftruppen umfunktioniert werden.

Die Festlegung der Projekte bedarf unabdingbar der Einbeziehung und der Zustimmung der örtlichen oder regionalen Kräfte und auch derer, die sich den Taliban zuordnen. Wer Aussöhnung will, darf die bisherigen Gegner nicht ausgrenzen! Auf diese Weise können auch Dialog und Zusammenarbeit der verschiedenen Kräfte vor Ort, sowie Vertrauen untereinander gefördert werden.

Die Bundesregierung appelliert an die Nato, solche Projekte, Orte und Regionen nicht in die Kriegführung einzubeziehen, auch wenn an den Projekten den Taliban nahestehende Kräfte beteiligt sind. Solche Appelle sollten auch von denjenigen ausgehen, die an den Projekten interessiert sind und dort mitarbeiten. Das Auswärtige Amt könnte helfen, das Konzept der Friedenszonen in Afghanistan wirksam zu machen.

Die Bundesregierung bemüht sich gleichzeitig darum, dass andere in Afghanistan engagierte Nato- und EU-Staaten ihrem Beispiel folgen.

Mit einer derartigen Politik könnte Deutschland eine Wende hin zum tatsächlichen Vorrang ziviler Konfliktbearbeitung und von der militärischen Konfrontation zum Dialog einleiten. Das wäre ein Signal, das weit über Afghanistan hinaus in vielen islamischen Ländern gehört werden würde. Damit würde gleichzeitig ein Ausweg aus der militärischen Sackgasse sichtbar.

Anforderungen sind selbstverständlich auch an die anderen Akteure in diesem Konflikt - Uno, USA, die militärisch beteiligten Mitglieder der Nato, die EU, die afghanischen Stämme und Gruppierungen, die Gruppierungen der Taliban, die Kräfte der ehemaligen Nord-Allianz und andere Warlords, die Regierung in Kabul, die in Afghanistan arbeitenden internationalen NGOs und an die Nachbarstaaten Afghanistans zu richten (siehe dazu ausführlich Dossier IV: Der Afghanistan-Konflikt a.a.O.)


Die Rolle und Aufgaben der Friedensbewegung im Afghanistan-Konflikt

Die für Frieden eintretenden Kräfte in Afghanistan, wie z. B. die Nationale Friedens-Jirga, zu unterstützen, sie in Europa bekannt zu machen, ihr Kontakte und öffentliche Foren zu öffnen und ihre Forderungen zur Diskussion zu stellen.

Sich mit dem hier vorgeschlagenen Konzept zu befassen und es bei Zustimmung in der Öffentlichkeit und gegenüber den politischen Parteien, Gewerkschaften und Kirchen bekannt zu machen und zu vertreten.

Das Konzept in den Gesellschaften der Nato-Staaten zu verbreiten und in Zusammenarbeit mit dortigen Bewegungen, Gruppierungen und Institutionen Kampagnen für eine Wende zu ziviler Konfliktbearbeitung einzutreten.

Den Konflikt ständig differenziert zu analysieren. Die Kritik und die Gefahren der jetzigen Militärintervention in Afghanistan zu thematisieren und gegen diese Politik zu protestieren.

Mit dieser Kritik auch Soldaten, die nach Afghanistan geschickt werden sollen, zu konfrontieren.

Gesellschaftliche und ökonomische Interessengruppen, die von einer Fortsetzung des militärischen Konflikts zu profitieren hoffen, öffentlich anzuprangern.


Perspektiven

Da imperial-strategische Ziele in Süd- und Zentralasien eine große Rolle spielen, ist mit erheblichen Widerständen gegen die vorgestellte Alternative auf seiten der intervenierenden Mächten zu rechnen.

Der Nato geht es um die Kohärenz und die Fähigkeit, als weltweites militärisches Interventionsinstrument zu dienen und nicht zu versagen. Sie muss also beweisen, dass sie einen solchen Konflikt siegreich bestehen kann. Zivile Konfliktbearbeitung steht quer zu diesem Ziel.

Mit der hier vorgeschlagenen zivilen Friedenspolitik, die gleichzeitig eine Exitstrategie aus den afghanischen Verstrickungen wäre, würde Deutschland aller Voraussicht nach unter starken Druck aus den USA und der Nato geraten. Doch hat die Bundesrepublik nicht die Verweigerung einer direkten Beteiligung am Irak-Krieg gut ertragen können? Außerdem würde damit eine fruchtbare Auseinandersetzung innerhalb der Nato über den Sinn weltweiter militärischer Interventionspolitik angeregt werden.

Die EU, die oftmals ihre Abhängigkeit von der US-Hegemonialpolitik beklagt, könnte in der hier vertretenen Politikwende eine Chance sehen, ihre eigene Selbstständigkeit auszuweiten. Dies würde voraussichtlich zu Richtungskämpfen innerhalb der EU führen, was allerdings um einer friedenspolitischen Perspektive willen unvermeidlich und notwendig ist. Eine solche zivile Alternative könnte auch von Seiten der asiatischen Anliegerstaaten unterstützt werden, da sie die US-Interventionspolitik mit Sorge betrachten.

Insgesamt handelt es sich um eine ambitiöse und komplexe zivile Alternative, deren Ziele über Afghanistan hinaus in den Bereich grundsätzlicher politischer Weichenstellung gehen. Man könnte durchaus von einem Schritt auf dem Wege zum Vorrang für zivile Konfliktbearbeitung sprechen. Es lohnt sich also, auf den verschiedenen Ebenen dafür einzutreten.


Prof. Dr. Andreas Buro ist friedenspolitischer Sprecher des Komitees für Grundrechte und Demokratie. Dieser Text ist das Manuskript seines Vortrags bei der Tagung "Afghanistan und Zivile Konfliktbearbeitung", die am 16. November in Köln vom Bildungswerk und dem Landesverband der DFG-VK in Nordrhein-Westfalen sowie der DFG-VK-Gruppe Köln veranstaltet wurde.


Literaturhinweis

1) Andreas Buro: Dossier IV. Der Afghanistan-Konflikt, Hrsg.: Kooperation für den Frieden, 2008, Römerstr. 88, 53111 Bonn, Tel. 0228-692904. Der vorliegende Text stützt sich auf dieses Dossier. Bisher sind erschienen Dossiers zum Iran-, türkisch-kurdischen- und israelisch-palästinensischen Konflikt.


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Quelle:
Forum Pazifismus - Zeitschrift für Theorie und Praxis
der Gewaltfreiheit Nr. 20, IV/2008, S. 32 - 36
Herausgeber: Internationaler Versöhnungsbund - deutscher Zweig,
DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
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DFG-VK, Bund für Soziale Verteidigung (BSV) und Werkstatt für
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Januar 2009