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GRUNDSÄTZLICHES/017: 70. Jahrestag - Hiroshima und Nagasaki mahnen (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 4 - Oktober/November 2015
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

70. Jahrestag: Hiroshima und Nagasaki mahnen
Weltkonferenz gegen Atom- und Wasserstoffbomben in Hiroshima

Von Guido Grünewald


Hiroshima, Friedenspark, 2. August gegen 3 Uhr morgens: Gestern Abend bin ich nach einer langen 18stündigen Reise in Hiroshima angekommen. Obwohl ich hundemüde bin, verhindert der Jetlag jeglichen Schlaf. Von meinen früheren Japan-Aufenthalten (vor allem in den 1980er bis Mitte der 1990er Jahre) bin ich das nicht gewohnt.

Da mein Hotel nicht weit entfernt ist, streife ich durch den Friedenspark, betrachte den Atombombendom - die ehemalige Industrie- und Handelskammer -, der bis 1995, als er in die Liste des Unesco-Weltkulturerbes aufgenommen wurde, vom Abriss bedroht war, sowie die diversen Denkmäler und versuche, in der Stadt des Atombombenabwurfs und der japanischen Gegenwart anzukommen.

Mehrere kleine Menschengruppen sitzen ungeachtet der späten Nachtstunde beisammen und reden miteinander. Ob sie hier freiwillig verweilen oder ob es sich um Obdachlose handelt, ist für mich nicht erkennbar. Während meiner Aufenthalte in den 1980er Jahren war Obdachlosigkeit in Japan noch weitgehend unbekannt. Viele Beschäftigte in den großen Betrieben konnten von einer lebenslangen Anstellung ausgehen und erhielten guten Lohn, auch wenn schon damals in kleineren und mittleren Betrieben und Läden die Beschäftigungsverhältnisse deutlich prekärer waren und es Tagelöhner gab. Infolge der langjährigen Depression sind die Einkommen gesunken; viele, vor allem junge, Menschen müssen heute Teilzeit arbeiten. Die "Working Poor" sind inzwischen auch in Japan Realität.

Am Nachmittag beginnt die Weltkonferenz gegen Atom- und Wasserstoffbomben mit dem internationalen Treffen. Die Notwendigkeit, dem Bemühen um atomare Abrüstung nach dem Scheitern der NVV-Überprüfungskonferenz in New York (NVV = Nichtweiterverbreitungsvertrag) neuen Schwung zu verleihen, ist ein Motiv für meine Reise nach Hiroshima und Nagasaki. Mindestens ebenso wichtig ist mir, einige der wenigen noch lebenden Hibakusha nochmals persönlich zu treffen, ihnen für ihren unermüdlichen Einsatz zu danken und ihnen zu versichern, dass wir ihre Forderung weitertragen werden. Masako Wada, stellvertretende Generalsekretärin von Nihon Hidankyo, der Vereinigung der Organisationen der Atombombenüberlebenden, spricht zur Eröffnung. Das durchschnittliche Alter der noch lebenden Hibakusha beträgt inzwischen mehr als 80 Jahre. Sie erwähnt die koreanischen, chinesischen und die Kriegsgefangenen der Alliierten, die den Atombombenabwürfen zum Opfer fielen, und weist darauf hin, dass die Hibakusha niemals an Rache gedacht haben. Ihr Wunsch ist die Abschaffung aller Atomwaffen, denn sie wissen, dass die Menschheit und Atomwaffen nicht dauerhaft auf demselben Planeten koexistieren können.

Ich denke an meine erste Teilnahme an der Weltkonferenz 1984 als Gast von Nihon Hidankyo und die Begegnungen mit prominenten (z.B. Senji Yamaguchi, Sumiteru Taniguchi - der Postbote von Nagasaki -, Teruni Tanaka, Prof. Satoru Konishi, Dr. Shuntaro Hida) und vielen weiteren Hibakusha in Japan sowie an die Vortragsreisen von Konishi-, Taniguchi- und Hida-san sowie von Kazuo Soda in Deutschland. Dr. Hidas Buch "Der Tag, an dem Hiroshima verschwand" mit seiner Beschreibung des japanischen Militarismus aus der Sicht eines jungen Militärarztes ist immer noch einzigartig und beim Donat-Verlag in Bremen erhältlich.

Ich treffe Hida-san am 5. August bei einer Sonderveranstaltung, mit der die Hibakusha des 70. Jahrestages und ihrer Kämpfe gedenken. Er freut sich unbändig, mich zu sehen, denn wie der in diesem Frühjahr verstorbene Prof. Konishi hat er eine besondere Beziehung zu Deutschland.

Andauernde Benachteiligung

Ein deutlicher Unterschied zu den 1980er Jahren ist, dass die Hibakusha, die während der Konferenz und in diversen Arbeitsgruppen ihre Geschichte erzählen, offen über die erfahrene Diskriminierung berichten. Seiji Takato aus Hiroshima wurde als "faul" bezeichnet, als er in der Schule nicht an sportlichen Übungen teilnehmen konnte und später nur sehr eingeschränkt arbeitsfähig war. Komine Hidetaka wurde in der Grundschule in Nagasaki gemobbt. Eine Anstellung in einem Sushi-Shop am Bahnhof wurde ihm verweigert, weil er "von der Atombombe gezeichnet" war. Im Alter von 25 Jahren lernte er eine Frau kennen, doch deren Vater verbot ihm den weiteren Umgang. Und Yamada Sumiko aus Hiroshima, die beide Eltern durch die Atombombe verloren hatte und in der Verwandtschaft herumgereicht wurde, beschrieb, wie sie ihr kindliches Lächeln und jedes Vertrauen in Menschen verlor und an Selbsttötung dachte.

Leukämie ist unter den Überlebenden immer noch signifikant weiter verbreitet als in der entsprechenden Alterskohorte, ihre Kinder sind oft gesundheitlich beeinträchtigt. Viele Hibakusha litten und leiden an einem Erschöpfungssyndrom, das zu schneller Ermüdung führt, oft mit einem angeschlagenen Immunsystem einhergeht und von Dr. Hida als spezifische "Burabura"-Atombombenkrankheit bezeichnet wird.

Die psychischen Belastungsfaktoren hat bereits 1967 der renommierte US-amerikanische Psychiater Robert Jay Lifton in seiner bahnbrechenden Studie "Death in Life. Survivors of Hiroshima" beschrieben: Die stets latente Angst, dass eine Erkrankung - und sei es eine simple Erkältung - eine Folge der Strahlenbelastung sein und letztlich zum Tod führen könnte. Ein starkes Schuldgefühl, weil die Hibakusha überlebt haben und so viele andere durch die Bombe sterben mussten. Schließlich, darauf hat Tadashi Ishida in seiner Studie "Transforming A-Bomb Experience into Philosophy" aufmerksam gemacht, das bittere Gefühl, von Regierung und Politik (und in den ersten Jahrzehnten auch von ihren Mitmenschen) im Stich gelassen zu werden.

Viele Hibakusha entfremdeten sich als Folge von der japanischen Gesellschaft, sie fühlten sich in keiner Weise zugehörig und demzufolge auch nicht verantwortlich für gesellschaftliche und politische Entwicklungen. Eine Minderheit begann zu kämpfen, sowohl für Entschädigungszahlungen und Behandlungsbeihilfen wie auch für die Abschaffung aller Atomwaffen.

Komine Hidetaka schilderte uns, wie sie lange Jahre brauchte, ehe sie den Schritt ins Büro der Hibakusha-Vereinigung in Nagasaki wagte, und wie froh sie anschließend war, weil sie endlich Menschen gefunden hatte, von denen sie uneingeschränkt akzeptiert wurde.

Leider spricht fast alles dafür, dass die Taktik der diversen japanischen Regierungen, die Forderungen der Hibakusha auszusitzen und auf eine "biologische Lösung" zu setzen, aufgehen wird. Zwar haben Hibakusha in diversen Prozessen positive Urteile erstritten, doch lehnte Ministerpräsident Abe Anfang August in einem Gespräch mit Vertretern von Hibakusha-Verbänden aus der Präfektur Hiroshima eine Erhöhung der unzureichenden Beihilfen und die Ausweitung des Kreises der Anspruchsberechtigten (vor allem der vom "schwarzen Regen", den radioaktiven Niederschlägen Betroffenen) kategorisch ab.

Dennoch lassen sich die aktiven Hibakusha nicht entmutigen. Der 70. Jahrestag hat einige Überlebende veranlasst, erstmals öffentlich über ihre Erfahrungen zu berichten. In Hiroshima und Nagasaki haben Nachkommen von Hibakusha (der zweiten Generation = hibakunisei und der dritten Generation = hibakusensei) in lockerer Form begonnen, die Arbeit ihrer Vorfahren fortzuführen. Außerdem, so Masako Wada in ihrer Eröffnungsrede, liege es jetzt an den Friedensorganisationen in aller Welt, das Anliegen der Hibakusha politisch wirksam umzusetzen.

Auch wenn die Überlebenden der bisher glücklicherweise einzigen beiden Atomwaffeneinsätze bald nicht mehr Zeugnis ablegen werden können, gibt es unglücklicherweise noch viele andere Menschen, die unter Atomenergie und -waffen gelitten haben bzw. heute noch leiden und von ihren Erfahrungen berichten können. Auf der Weltkonferenz sprachen Abgesandte der koreanischen Überlebenden von Hiroshima und Nagasaki, die noch weniger Akzeptanz und Unterstützung als ihre japanischen LeidensgenossInnen erfahren haben sowie Menschen aus Fukushima, die gegen die Behörden und die japanische Regierung klagen.

Die Ablehnung der Atomenergie ist heute bei der Weltkonferenz Konsens; in den 1980er Jahren befand ich mich mit dieser Einstellung klar in der Minderheit. Es fehlt hier der Platz, um näher auf die skandalöse Politik der japanischen Regierung und der für Fukushima zuständigen Bezirksbehörde einzugehen, die nicht nur die Wiederinbetriebnahme stillgelegter AKW betreiben, sondern durch die für 2016 bzw. 2017 angekündigte Einstellung von Unterstützungsleistungen Druck auf evakuierte JapanerInnen ausüben, in die immer noch hoch strahlenbelasteten Gebiete um Fukushima zurückzukehren.

Die Marschallinseln: schlimme Geschichte und Kampfgeist

Inzwischen wieder weitgehend in Vergessenheit geraten ist das Schicksal der Bewohner der Marshallinseln, über das die frühere Senatorin Abacca Anjain-Maddison (Rongelap) berichtete. Vor allem die Atolle Aliniginea, Bikini, Enwetak, Rongelap, Rongerik und Utirik des damaligen UN-Treuhandgebiets wurde zwischen 1946 und 1958 durch 67 US-amerikanische Atomwaffentests - der berüchtigte "Bravo"-Test vom 1. März 1954 hatte eine Sprengkraft von 15 Megatonnen - verseucht, die Bewohner teilweise bewusst als menschliche "Versuchskaninchen" (guinea pigs) missbraucht. Die Einwohner von Rongelap - sie waren 1957 repatriiert worden mit der Zusicherung, der Aufenthalt auf dem Atoll sei bei Beachtung einiger Regeln ungefährlich - flohen 1985 auf einem Greenpeace-Schiff, nachdem die US-Regierung ihre Forderung nach Evakuierung jahrelang ignoriert hatte; sie leben noch heute auf den Inseln Mejatto und Ebeye im Kwajalein-Atoll unter menschenunwürdigen Umständen. 2005 schrieb das Nationale Krebsinstitut in einem Bericht an den US-Senat, dass bei den Bewohnern von Alinginea und Rongelap überproportional höhere Krebsraten zu erwarten seien. Laut Angaben der US-Regierung sind Teile der Atolle der seit 1990 unabhängigen Republik Marshallinseln (durch ein Assoziierungsabkommen an die USA gebunden) inzwischen wieder besiedelbar. Die Inselbewohner trauen allerdings dieser Aussage nicht; außerdem sind weitere Entkontaminierungsarbeiten eingestellt worden, da der dafür vorgesehene Fonds erschöpft ist.

Die Marshallinseln sind trotz ihrer schlimmen Geschichte gleichzeitig ein Beispiel für Kampfgeist. Im April 2014 hat die Republik der Marshallinseln die neun Atommächte vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag verklagt, weil sie ihre Verpflichtungen aus Artikel VI des Nichtweiterverbreitungsvertrags ("Verhandlungen in gutem Glauben" zu führen mit dem Ziel "der frühzeitigen Beendigung des nuklearen Rüstungswettlaufs und der nuklearen Abrüstung sowie über einen Vertrag über generelle und vollständige Abrüstung") verletzt haben und verletzen. Indien, Pakistan und Großbritannien haben sich der Rechtsprechung des IGH unterworfen, die übrigen Atommächte nicht. Gegen die USA haben die Marshallinseln daher vor einem Bezirksgericht (U.S. Federal Disctrict Court) ebenfalls eine Klage eingereicht, die in erster Instanz mit der Begründung abgewiesen wurde, der Inselstaat sei zu einer derartigen Klage nicht berechtigt. Bemerkenswerterweise hat die nationale Konferenz der US-Bürgermeister die Klage der Marshallinseln in einer Resolution unterstützt und Präsident Obama sowie den Kongress aufgefordert, "die Finanzierung von Atomwaffen auf das Minimum zu verringern, dass für den Schutz und die Sicherheit der vorhandenen Waffen bis zu ihrer Demontage notwendig ist".

Hoffnungszeichen

Es gibt viele ermutigende Entwicklungen: Auf Basisebene beispielsweise die zahlreichen Veranstaltungen anlässlich des 70. Jahrestages in vielen Ländern oder die "Kobe-Formel", mittels derer der Stadtrat von Kobe 1975 die Einfahrt von Schiffen mit Atombewaffnung untersagt hat. Seitdem haben keine US-Kriegsschiffe mehr in Kobe angelegt, da die US-Marine grundsätzlich keine Auskunft gibt, ob ihre Schiffe atomar bewaffnet sind oder nicht ("neither confirm nor deny").

Auch auf zivilgesellschaftlicher Ebene bzw. im Zusammenspiel von NGO (Nicht-Regierungsorganisationen) und Nicht-Atomwaffenstaaten gibt es vielfältige Initiativen, von denen ich einige beispielhaft nenne: Vision 2020 der Bürgermeister für den Frieden (www.mayorsforpeacw.de); die Middle Powers Initiative (www.middlepowers.org); die Bemühungen um eine Konvention zum Verbot von Atomwaffen (ein Mustervertrag wurde von Ialana und Inesap entworfen und 1997 von Costa Rica als offizielles UN-Dokument eingereicht;
www.ialana.de/files/pdf/arbeitsfelder/atomwaffen/atomare%20abruestung/Nuklearwaffen-Konvention-_deutsch.pdf); die Initiative Global Zero von 300 politischen und militärischen Führungspersonen mit sicher gewöhnungsbedürftigen Zweckverbündeten (u.a. Zbigniew Brzezinski; www.globalzero.org/de/); die 2014 in Basel entstandene Plattform Unfold Zero, die sich auf die Förderung von atomaren Abrüstungsaktivitäten im UN-Rahmen konzentriert und u.a. auf die Bildung einer Open Ended Working Group zur nuklearen Abrüstung durch die UN-Generalversammlung im Oktober abzielt (www.unfoldzero.org).

Viele RednerInnen bezogen sich auf die "Humanitäre Initiative", die inzwischen von 115 Staaten unterstützt und zivilgesellschaftlich von der international campaign to abolish nuclear weapons (ican; www.jcanw.org) getragen wird. Einer ihrer Hauptpromotoren, der österreichische Botschafter Alexander Kmentt, hatte 2014 an der Weltkonferenz teilgenommen und war dieses Jahr mit einer Videobotschaft zugeschaltet. Die Humanitäre Initiative will "Atomwaffen im Licht ihrer nicht akzeptablen humanitären Folgen und der verbundenen Risiken stigmatisieren, verbieten und abschaffen". Analog dem Ottawa-Prozess zum Verbot von Antipersonenminen sollen Verhandlungen über ein Verbot von Atomwaffen von den teilnehmenden Staaten auch ohne Mitwirkung der Atommächte begonnen werden und zu einem Verbotsvertrag führen.

Diese "Humanitäre Initiative" hat durchaus das Potenzial, mit der Hervorhebung der schrecklichen Folgen eines Atomwaffeneinsatzes und einer eindringlichen und einfachen Botschaft - Atomwaffen ebenso wie die anderen Massenvernichtungswaffen zu verbieten und jetzt damit anzufangen - größere Teile einer bisher leider weitgehend sorglosen Öffentlichkeit zu erreichen und möglicherweise zu einer sozialen Bewegung zu mobilisieren. Sie findet starken Anklang unter Aktiven, die von den Katz- und Maus-Spielchen auf den offiziellen Rüstungskontrollforen und dem Scheitern der jüngsten Überprüfungskonferenz des NVV-Vertrags in diesem Frühjahr frustriert sind. Allerdings ist es keineswegs sicher, ob ein Verbotsvertrag ohne Beteiligung der Atommächte tatsächlich Wirksamkeit entfalten wird, denn im Unterschied zum Ottawa-Prozess geht es hier um Macht- und Prestigeobjekte mächtiger Staaten. Auch muss sich noch eine Regierung finden, die den Verbotsprozess initiiert und sich damit offen gegen die Atommächte stellt.

Vieles spricht daher dafür, die verschiedenen Initiativen parallel weiter zu verfolgen, zumal sie auf verschiedenen Ebenen angesiedelt sind und unterschiedliche Unterstützergruppen ansprechen. Die Weltkonferenz ist zu Recht ein Ort, auf dem sich die TeilnehmerInnen Inspiration und Ermutigung holen, doch sollte die bittere Realität nicht übersehen werden: Die Atommächte haben während der NVV-Überprüfungskonferenz deutlich gemacht, dass sie an ihrer Atomrüstung festhalten wollen; alle treiben kostspielige und langlebige Modernisierungsprogramme voran.

Gerade lese ich von einem aktuellen Bericht, wonach Pakistan (ein fragiler Staat) in wenigen Jahren über das drittgrößte Atomwaffenarsenal verfügen könnte. Die Abschaffung der Atomwaffen ist eines der dicksten Bretter, die es zu bohren gilt; insofern ist ungeachtet jeder Dringlichkeit ein langer Atem notwendig.

Der Angriff auf die "pazifistische" japanische Verfassung

Wie bereits im Vorjahr, allerdings in noch stärkerem Maße, hatte die Weltkonferenz ein zweites Hauptthema: die Abwehr des Angriffs der Regierung Abe (von der seit Kriegsende die japanische Politik beherrschenden Liberaldemokratischen Partei = LDP) auf den pazifistischen Inhalt der japanischen Verfassung.

Derartige Versuche hatte es bereits in den 1950er Jahren gegeben, dann in den 1980er Jahren unter Premierminister Yasuhiro Nakasone sowie verstärkt seit Ende des letzten Jahrtausends. In seiner ersten Amtszeit (September 2006 bis September 2007) konnte Ministerpräsident Shinzo Abe nur mit den Vorbereitungen für eine Verfassungsrevision beginnen, da er nach einer deutlichen Wahlniederlage zurücktreten musste. Allerdings setzte er die Aufwertung des Amtes für Selbstverteidigung in ein reguläres Verteidigungsministerium sowie eine Reform des Rahmengesetzes für Erziehung durch, mit der ein patriotischer Unterricht festgeschrieben wurde. Seine zweite Amtsperiode gewann er im Dezember 2012 mit dem Versprechen, die mehr als 20jährige Depression mit unkonventionellen wirtschaftlichen Maßnahmen zu überwinden.

Schon bald wurde deutlich, dass er mit mindestens dem gleichen Eifer die Aufrüstung Japans und eine Revision von Verfassungsartikel 9 betreibt. Abe ist ein Nationalist mit einer revisionistischen Grundhaltung, was Japans Vergangenheit vor dem und im Zweiten Weltkrieg betrifft; ein Großteil seines Kabinetts einschließlich ihm selbst gehört der nationalistischen Gruppe Nippon Kaigi (Japanische Konferenz) an, die eine japanische Aggression sowie die Existenz koreanischer Sexsklavinnen ("Trostfrauen") leugnet. Zum 70. Jahrestag des Kriegsendes zitierte Abe zwar Entschuldigungsworte zweier früherer japanischer Ministerpräsidenten, sprach sie selbst aber nicht aus; mehrere seiner Minister besuchten den Yasukuni-Schrein, in dessen Register 1978 verurteilte Kriegsverbrecher der Kategorie A aufgenommen wurde. Seit den vorgezogenen Wahlen vom Dezember 2014 verfügt Abe mit seinem Koalitionspartner Neue Komeito über eine Zweidrittelmehrheit im Unterhaus.

Japanische Verfassung, Artikel 9

(1) In aufrichtigem Streben nach einem auf Gerechtigkeit und Ordnung gegründeten internationalen Frieden verzichtet das japanische Volk für alle Zeiten auf Krieg als souveränes Recht der Nation und auf die Androhung oder Ausübung militärischer Gewalt als als ein Mittel zur Regelung internationaler Streitigkeiten.

(2) Um den Zweck des bevorstehenden Absatzes zu erreichen, werden Land-, See- und Luftstreitkräfte sowie andere Kriegsmittel nicht unterhalten. Ein Kriegsführungsrecht des Staates wird nicht anerkannt.

"Konsequente Aufrüstungspolitik"

Abe hat seit seiner Wiederwahl 2012 eine konsequente Aufrüstungspolitik verfolgt:

• Einsetzung eines Nationalen Sicherheitsrats (November 2013)

• Gesetz zum Schutz von Staatsgeheimnissen (Dezember 2013). In den Bereichen Verteidigung, Diplomatie, Spionageabwehr und Verhinderung von Terrorismus kann die Regierung Sachverhalte als "Staatsgeheimnisse" klassifizieren, daneben gibt es unspezifizierte Bereiche, unter denen die Regierung wohl vorrangig Zwischenfälle in Atomkraftwerken versteht.

• Erstmalige Formulierung einer Nationalen Sicherheitsstrategie und Verabschiedung eines Fünfjahresprogramms zur Verteidigung 2014 bis 2018 (Dezember 2013). Das Programm zielt auf die Entwicklung von "Dynamischen und Vereinten Verteidigungsstreitkräften" ab und beinhaltet eine Modernisierung der See- und Luftstreitkräfte sowie den Ausbau der Raketenabwehr, Satellitenbeobachtung und Weltraumverteidigung sowie der Aufklärungsfähigkeiten.

• Aufhebung des seit 1967 geltenden Waffenexportverbots (April 2014). Das Verbot war zuvor schrittweise aufgeweicht worden, als in den 1980er Jahren der Transfer von Rüstungstechnologie an die USA erlaubt und seit Beginn des neuen Jahrtausends eine Zusammenarbeit mit den USA bei der Raketenabwehr begonnen wurde. 2011 genehmigte dann die damals regierende Demokratische Partei Japans (DJP) die gemeinsame Entwicklung von Waffen mit anderen Staaten. Jetzt allerdings ist das Verbot grundsätzlich gefallen; das ursprüngliche Kriterium "Vermeidung der Verschärfung internationaler Konflikte" existiert nicht mehr. Im Mai 2015 fand prompt erstmals in Japan eine große Rüstungsmesse in Yokohama statt.

• Änderung des Statuts der Öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit (Februar 2015). Für "nicht-militärische Zwecke" können jetzt auch ausländische Streitkräfte unterstützt werden. Die Lieferung von 10 Patrouillenbooten an die Philippinen in diesem Rahmen ist bereits beschlossen; eine Lieferung weiterer Patrouillenboote an Vietnam in Erwägung.

"Neuinterpretation" von Artikel 9

Ministerpräsident Abe verwendet für seine Politik den perversen Begriff "aktiver Pazifismus" (sekkyokuteki heiwashugi). Während die beschriebenen Maßnahmen von der Öffentlichkeit weitgehend passiv hingenommen wurden, riefen seine Vorbereitungen für eine Verfassungsrevision umgehend Widerstand hervor. Abe erkannte, dass sein ursprüngliches Ziel einer Änderung des Wortlauts von Artikel 9 nicht realisierbar war, da dafür nicht nur eine Zweidrittelmehrheit in beiden Parlamentskammern, sondern auch eine Mehrheit der Abstimmenden in einem nationalen Referendum erforderlich ist.

Daher bereitete er mittels einer handverlesenen Kommission eine Neuinterpretation von Artikel 9 vor, der das Kabinett am 1. Juli 2014 zustimmte. Nach dieser Auslegung könnten die Selbstverteidigungsstreitkräfte (Truppenstärke etwa 200.000) nicht nur bei einem direkten Angriff auf Japan eingesetzt werden, sondern auch zur kollektiven Verteidigung etwa eines Landes mit engen Beziehungen zu Japan, und das weltweit ohne geographische Begrenzung. In den im April 2015 geänderten Richtlinien des Sicherheitsvertrages zwischen den USA und Japan wird folgerichtig der "globale Charakter" des Bündnisses betont. Am 16. Juli beschlossen die Regierungsparteien mit ihrer Zweidrittelmehrheit im Unterhaus die Gesetzesvorlage zur kollektiven Selbstverteidigung, die aktuell im Oberhaus beraten wird (hier hat die Regierung nur eine einfache Mehrheit). Sollte das Oberhaus bis Mitte September keine Entscheidung treffen oder die Vorlage ablehnen, kann das Unterhaus mit einer Zweidrittelmehrheit das Gesetz endgültig verabschieden. Die Sitzungsperiode ist eigens bis Ende September verlängert worden.

Abes Politik einer kalten Verfassungsrevision bricht nicht nur mit einer bislang auch von der LDP geteilten Auffassung, dass Artikel 9 nur durch eine Änderung der Verfassung modifiziert werden könne, sie stößt auch auf breiten Widerstand in der Bevölkerung. Erstmals seit 1960 - damals ging es um eine Revision des US-Japanischen Sicherheitsvertrages - ist wieder eine Volksbewegung entstanden, die dieses Mal auch bisher zerstrittene Friedensgruppen zusammenarbeiten lässt, Anhänger fast aller Parteien umfasst und Menschen mobilisiert, die bislang nicht politisch aktiv waren.

Beim Workshop in Hiroshima zu Artikel 9, bei dem ich über unsere Erfahrungen in Deutschland mit den Friedensbestimmungen des Grundgesetzes berichtet habe, nahmen 37 Prozent der Anwesenden erstmals an der Weltkonferenz teil. RednerInnen aus vielen Städten und Präfekturen berichteten von seit Wochen anhaltenden Protestaktionen, bei denen auch LokalpolitikerInnen vieler Parteien (häufig auch aus der LDP) beteiligt waren.

Und die Aktivitäten gehen weiter: Frauen - hier spielt die New Japan Women's Association (Shinfujin) mit 150.000 Mitgliedern eine herausragende Rolle - zeigen Abe die "rote Karte", die lange Jahre apolitischen OberschülerInnen und StudentInnen demonstrierten im August massiv. Am 30. August umzingelten 120.000 Menschen das Parlamentsgebäude in Tokio, am gleichen Tag fanden ca. 200 weitere Demonstrationen im ganzen Land (alleine in Osaka mit 25.000 TeilnehmerInnen) statt. Ca. 300 Juristen, unter ihnen fast alle führenden Rechtsexperten wie ehemalige oberste Richter, Verfassungsrechtler und frühere Mitglieder der Rechtsabteilung des Kabinetts, verurteilten in einer in der Geschichte Japans einzigartigen Versammlung Ende August die Sicherheitsgesetze als verfassungswidrig.

Der rücksichtslose Bruch mit dem bisher weitgehend beachteten Konsensprinzip und die als Anschlag auf die Verfassung empfundene Politik der Regierung Abe sind der eine Motivationsstrang, der viele JapanerInnen auf die Straßen treibt.

Entgegen Behauptungen von interessierter Seite ist Artikel 9 Japan übrigens nicht von den US-Besatzern aufgezwungen worden. Der Inhalt geht auf japanische Staatsrechtler zurück, wahrscheinlich sogar auf den damaligen, pazifistisch gesinnten Ministerpräsidenten Kijuro Shidehara.

Teil der weltweiten US-Strategie

Das zweite Motiv ist die Sorge, in militärische Aktionen der USA verwickelt zu werden. Abes Rüstungspolitik zielt darauf ab, Japan möglichst weitgehend in die US-Militärstrategie zu integrieren und die Selbstverteidigungsstreitkräfte (SDF) weltweit zu umfassenden Unterstützungsleistungen bei US-Militäroperationen zu befähigen. Verbunden ist das mit einer Stoßrichtung gegen China. Die Bevölkerung lehnt mit großer Mehrheit die SDF nicht ab; sie will sie aber auf eine strikte Verteidigungsrolle beschränkt sehen und ist gegen Militäreinsätze außerhalb Japans. Die atomare Bewaffnung Nordkoreas und die Aufrüstung Chinas sowie die wiederholten Muskelspiele beider Staaten werden in der Region durchaus als Bedrohung wahrgenommen; Vietnam und die Philippinen unterstützen daher Abes Rüstungspolitik (die Repräsentantin des Vietnamesischen Friedenskomitees erwähnte bezeichnenderweise in ihrer Rede auf der Weltkonferenz die Bewegung zum Schutz von Artikel 9 nicht einmal). Dazu kommen die ungelösten Territorialkonflikte Japans um Inselgruppen mit China (Senkaku/Diaoyu), Südkorea (Takeshima/Tokto) und Russland (Kurilen).

In Ostasien nehmen sich die wichtigsten Staaten in erster Linie als Rivalen wahr; das eigene Selbstbild und die Fremdwahrnehmung stehen in teilweise scharfem Gegensatz. Das ist mit ein Grund dafür, dass sich in der Region bisher keinerlei multilaterale sicherheitspolitische Institutionen oder Foren herausgebildet haben.

Vielleicht trägt die breite Unterstützung für Artikel 9 und die dadurch ausgelöste Diskussion um seine Entstehung dazu bei, dass Japans aggressive Vorkriegspolitik und das grausame Besatzungsregime in China und Korea von größeren Teilen der japanischen Öffentlichkeit diskutiert wird. In Nagasaki war das 1995 zur Erinnerung an die Opfer der japanischen Aggressionskriege errichtete kleine private Oka Masaharu Memorial Nagasaki Peace Museum am 9. August mit japanischen Besuchergruppen überfüllt.

Die komplexe und widersprüchliche Beziehung zwischen Japan und den USA (einerseits Skepsis - bei der betroffenen Lokalbevölkerung auch Ärger - bezüglich der US-Militärstützpunkte im Lande, die für die USA von großer Bedeutung für ihre militärische Präsenz im Pazifik und für Militäreinsätze in der Region sind, andererseits ein Sich-verlassen auf den Schutzschirm der USA für den Fall militärischer Bedrohungen) findet ihre Zuspitzung in den Auseinandersetzungen um die geplante Verlegung des US-Marineflugplatzes Futenma aus dicht besiedeltem Gebiet an die Nordküste bei der Kleinstadt Henoko.

Der zunächst lokal beschränkte Widerstand hat sich in den letzten Jahren zu einer Gesamtokinawa umfassenden Protestbewegung entwickelt. Im November 2014 wurde Takeshi Onnaga mit großer Mehrheit zum neuen Gouverneur gewählt; der vorherige Amtsinhaber hatte sein Versprechen gebrochen, keine Baugenehmigung zu erteilen. Die LDP verlor bei den Unterhauswahlen im Dezember 2014 auf Okinawa alle vier Sitze. Der Protestbewegung ist es gelungen, einen parteiübergreifenden Konsens herzustellen; selbst die Baufirmen, die von der engen Verbindung zur LDP profitiert haben, unterstützen Onnaga. Die Insel ist enorm militarisiert: mehr als die Hälfte der 47.000 US-SoldatInnen in Japan sind auf Okinawa stationiert, über 70 Prozent der von den USA in Japan benutzten Militärflächen liegen dort. Die Arbeitslosigkeit ist signifikant höher als im restlichen Japan, die Wirtschaftsstruktur einseitig ausgerichtet. Die Subventionen der Zentralregierung können diese Mängel nicht ausgleichen; zudem werden sie als Druckmittel benutzt und wurden seit Onnagas Wahlsieg um fünf Prozent gekürzt. Während die Proteste um Futenma (die BewohnerInnen Okinawas streben darüber hinaus eine deutliche Verringerung der US-Militärpräsenz an) bei der Weltkonferenz und der japanischen Friedensbewegung Unterstützung finden, fühlen sich die Menschen Okinawas von der übrigen japanischen Öffentlichkeit missachtet, wenn nicht gar verraten. Augenscheinlich findet seit einigen Jahren eine Rückbesinnung auf eine eigene, auf das frühere Königreich Ryukyu zurückgeführte Identität statt, die mittel- bis langfristig zu Forderungen nach Autonomie oder gar Unabhängigkeit führen könnte.

Ministerpräsident Abe hat am 4. August überraschend einen befristeten Baustopp für den Ausweichstützpunkt verkündet, nachdem die Zentralregierung im März 2015 den von Gouverneur Onnaga verhängten Baustopp zunächst umgehend aufgehoben hatte. Ob die neuen Verhandlungen zwischen Zentral- und Inselregierung ernsthaft geführt werden oder ob es sich um einen Versuch Abes handelt, die Proteste gegen seine Rüstungspolitik etwas zu beruhigen, war beim Schreiben dieser Zeilen nicht absehbar. Ebenso wenig ist zum jetzigen Zeitpunkt entschieden, ob Abe seine Verfassungsänderung auf kaltem Wege tatsächlich gegen alle Widerstände durchzieht. Tut er dies, könnte der Oberste Gerichtshof angerufen werden, der formal über die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen entscheidet. Leider fehlt es in Japan an einer entsprechenden Praxis; nur sieben Gesetze wurden bis Ende 2010 vom Obersten Gerichtshof für verfassungswidrig erklärt, in mehreren Fällen ohne Folgewirkung.

Es bleibt zu hoffen, dass die Protestbewegung nach einer aus meiner Sicht eher wahrscheinlichen Niederlage nicht einfach zerfallen wird. Nicht nur der Friedensbewegung und der japanischen Zivilgesellschaft, auch dem erstarrten Parteiensystem würde eine Blutauffrischung gut tun.


Guido Grünewald ist Internationaler Sprecher der DFG-VK.

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In Erinnerung an Prof. Satoru Konishi

Satoru Konishi hat als 16jähriger den Atombombenabwurf in Hiroshima überlebt. Er wurde Germanistikprofessor und übernahm trotz gesundheitlicher Beschwerden Ende der 1970er Jahre die Funktion eines stellvertr. Generalsekretärs von Nihon Hidankyo. Als ich 1984 und 1985 als Gast von Nihon Hidankyo an der Weltkonferenz teilnahm, habe ich Konishi-san als sehr fürsorglichen Gastgeber erlebt. Er brachte mehrmals kleine Hibakusha-Delegationen (letztmals wohl 2000) nach Deutschland und berichtete von seinen eigenen Erfahrungen. Besonders eindrucksvoll war seine Rezitation des Gedichts "Gebt mir die Menschen wieder" des 1953 an den Folgen der Atombombe verstorbenen Dichters Sankichi Toge, das er am 22. Oktober 1983 auch bei der großen Volksversammlung im Bonner Hofgarten vortrug. Im April 2010 zog er sich bei einem Sturz eine Gehirnquetschung zu, konnte das Krankenbett nicht mehr verlassen und erkrankte zusätzlich an Krebs. Am 22. April 2015 ist Satoru Konishi in seiner Wohnung verstorben. Wir haben einen Freund verloren.

Guido Grünewald

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Koreanische Hibakusha: Mehrfache Diskriminierung

70.000 KoreanerInnen - die meisten als ZwangarbeiterInnen verschleppt - erlitten in Hiroshima (50.000) und Nagasaki die Atombombenabwürfe, 40.000 starben sofort oder noch im Jahr 1945. Von den 30.000 Überlebenden kehrten 23.000 nach (größtenteils Süd-)Korea zurück, heute leben dort noch 2.600. Mit Kang Hojung und Kee Yun Gong von der Koreanischen Vereinigung der Atombombengeschädigten konnte ich in Hiroshima ein Hintergrundgespräch führen. Als die koreanischen Hibakusha nach 1945 zurückkehrten, hofften sie auf Unterstützung der koreanischen Regierung - vergeblich. Auch von der Bevölkerung kamen weder Zuspruch noch Unterstützung, denn die japanische Niederlage (durch die Atombomben nach damaliger Wahrnehmung beschleunigt) war gleichbedeutend mit der Befreiung Koreas von der Besatzung. Mit einer 1965 vertraglich festgelegten einmaligen Zahlung von 500 Millionen US-Dollar an Südkorea sind nach Auffassung der japanischen Regierung alle Entschädigungsansprüche abgegolten. Die in Korea lebenden Hibakusha, die Ende der 1960er Jahres erstmals Vereinigungen bildeten, mussten ihr Anrecht schrittweise vor koreanischen (Klage gegen die Untätigkeit der koreanischen Regierung, Druck auf Japan auszuüben) und japanischen Gerichten durchsetzen: das Anrecht auf einen Hibakusha-Ausweis (1978); Erhalt des damit verbundenen Ersatzes für medizinische Aufwendungen auch bei Behandlungen im Ausland (2002); Möglichkeit der Antragstellung für einen Hibakusha-Ausweis auch außerhalb Japans (2008). Ganz aktuell (07.09.2015) hat der Oberste Gerichtshof in Tokio die bei ausländischen Hibakusha praktizierte Kappung des Ersatzes für medizinische Aufwendungen bei 2.500 US-Dollar jährlich aufgehoben und somit für eine weitere Gleichstellung mit japanischen Hibakusha gesorgt. Seit 1990 werden auch in Hiroshima - in Nagasaki bedeutend früher - bei den Gedenkfeiern die nicht-japanischen Hibakusha erwähnt; das 1970 außerhalb des Friedensparks errichtete Mahnmal für die koreanischen Hibakusha steht seit 1999 im Friedenspark. Meine beiden Gesprächspartner wünschen sich eine formelle Entschuldigung der amerikanischen und der japanischen Regierung.

Guido Grünewald

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Quelle:
ZivilCourage Nr. 4 - Oktober/November 2015, S. 14-19
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. November 2015

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