Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → FRIEDENSGESELLSCHAFT

FRAGEN/006: Kriegsdienstverweigerung europaweit als Recht anerkennen (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 3 - August 2010
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

KDV europaweit als Recht anerkennen

Interview mit Alexia Tsouni, Generalsekretärin des European Bureau for Conscientious Objection (EBCO)


ZivilCourage: Für manche mag es überraschend sein, dass eine Frau als Generalsekretärin einer KDV-Organisation fungiert. Wie bist Du zur KDV-Arbeit und zu EBCO, dem Europäischen Büro für Kriegsdienstverweigerung, gekommen?

Alexia Tsouni: Ich wundere mich, dass Menschen diese Tatsache überrascht. Zunächst einmal geht es um Solidarität. Wenn eine Kriegsdienstverweigerin in Israel oder Eritrea oder ein Kriegsdienstverweigerer in der Türkei Probleme hat, ist das für mich, als ob ich in Griechenland in Schwierigkeiten wäre. Ich kümmere mich nicht um Geschlechts- oder Landesgrenzen. Außerdem sind Wehrpflicht und Militarismus keine persönlichen Angelegenheiten. KDV ist ein Menschenrecht, nicht ein männliches Recht, und Antimilitarismus ist eine globale kollektive Bewegung, nicht allein ein Kampf von Männern. Als menschliches Wesen kämpfe ich gegen alles, was Freiheit unterdrückt, und als Frau und Feministin bekämpfe ich alles, was Militarismus und das Patriarchat im Alltag unterstützt. Die WRI (War Resisters - International, der internationale Dachverband der DFG-VK) hat kürzlich eine großartige Anthologie zu Kriegsdienstverweigerinnen veröffentlicht, in der feministischer Antimilitarismus in verschiedenen Ländern und im historischen Zeitablauf vorgestellt wird. Aus meiner Perspektive möchte ich die oben genannten Aspekte in die Aktivitäten von EBCO einbringen. Im Übrigen sind außer mir weitere Frauen bei EBCO aktiv.

Mit der KDV-Arbeit kam ich während meines Studiums erstmals als Freiwillige in der griechischen Sektion von Amnesty International (AI) in Kontakt. AI hat großartige Arbeit in der Unterstützung von Kriegsdienstverweigerern weltweit sowie in Griechenland geleistet. Ich war aktiv bei Kampagnen und der Lobbyarbeit und habe - in leider vielen Fällen - griechische Verweigerer vor Militärgerichten verteidigt. 2002 habe ich an einem von EBCO ausgerichteten Seminar "Graswurzel-Aktivitäten für Konfliktvermeidung und Frieden auf dem Balkan" im Europäischen Jugendzentrum in Straßburg teilgenommen. Es war eine sehr interessante Erfahrung für mich und der Beginn meiner Tätigkeit bei EBCO.

ZivilCourage: Was sind die Hauptziele von EBCO?

Alexia Tsouni: EBCO wurde 1979 gegründet und kämpfte für die Anerkennung des Rechts auf KDV in allen Staaten der EU. Heute ist ein Hauptanliegen die Förderung und Umsetzung dieses Rechts in allen Mitgliedstaaten des Europarats. Wir fordern das Recht, die Vorbereitung und Beteiligung an jedem Krieg sowie an jeder militärischen Aktivität zu verweigern. EBCO unterstützt sowohl Kriegsdienstverweigerer, die bereit sind, einen zivilen Alternativdienst zu leisten, wie auch Totalverweigerer, die beide Dienste ablehnen. Totalverweigerer sollten als rechtmäßige Kriegsdienstverweigerer respektiert und sie sollten keinesfalls inhaftiert werden; andernfalls betrachtet EBCO sie als Gefangene aus Gewissensgründen und fordert ihre Freilassung. EBCO setzt sich auch dafür ein, dass Verweigerer aus Ländern, die das Menschenrecht auf KDV nicht oder nur unzureichend anerkennen, das Recht auf Asyl erhalten.

In einem weiteren Sinne arbeitet EBCO für eine Kultur des Friedens und unterstützt Antimilitarismus sowie gewaltfreien Widerstand.

ZivilCourage: Welche Aktivitäten standen in jüngster Vergangenheit im Vordergrund? Gemessen am Namen könnte man EBCO für eine langweilige und altmodische Organisation halten, die hauptsächlich Lobbyarbeit betreibt.

Alexia Tsouni: Politische Umstände zu verändern erfordert oft langweilige Arbeit. Viele Dinge können durch Proteste und spontane Aktionen angestoßen werden. Letztlich müssen wir aber den Entscheidungsprozess der Regierungen beeinflussen. Gesetze zu ändern kann viele Jahre dauern, aber es hilft dabei, Menschen das Gefängnis zu ersparen.

Ein Beispiel ist unsere erfolgreiche Lobbyarbeit beim Europarat, bei dem EBCO beratenden Status hat und dem Generaldirektorat für Menschenrechte mit Expertisen und Rechtsgutachten zuarbeitet. Am 24. Februar 2010 hat das Ministerkomitee des Europarats die Empfehlung CM/Rec (2010)4 angenommen, die Menschenrechte von Angehörigen der Streitkräfte behandelt. In der Empfehlung steht u.a., dass Wehrpflichtige das Recht haben sollten, als Kriegsdienstverweigerer anerkannt zu werden und dass ihnen ein Alternativdienst mit zivilem Charakter angeboten werden sollte. Außerdem wird dort festgehalten, dass Berufssoldaten die Streitkräfte aus Gewissensgründen verlassen können sollten und dass diejenigen, die dieses Recht in Anspruch genommen haben, weder Strafverfolgung noch irgendeine Art von Diskriminierung drohen sollte.

EBCO hat laut der Bandrés-Molet-und-Bindi-Entschließung des Europäischen Parlaments von 1994 den Auftrag, dem Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres des Europäischen Parlaments zuzuarbeiten bei der Erstellung eines jährlichen Berichts, wie die Mitgliedsstaaten die Entschließung umsetzen. Wir kritisieren den Ausschuss dafür, dass er seiner Aufgabe nicht nachkommt, und legen einen eigenen Jahresbericht vor. In unserem letzten Bericht von 2009 haben wir die Empfehlung ausgesprochen, das Europäische Parlament solle eine neue Entschließung zur KDV annehmen, um die Entwicklungen seit der letzten Resolution von 1994 zu berücksichtigen. Aktuell sind wir damit beschäftigt, Mitglieder des Europaparlaments von dieser Forderung zu überzeugen.

EBCO hat außerdem die volle Mitgliedschaft im Europäischen Jugendforum, dem 98 nationale und internationale Jugendorganisationen aus ganz Europa angehören. In den letzten Jahren haben wir aktiv in der Arbeitsgruppe zu Menschenrechten mitgearbeitet. Zusammen mit der WRI und den Quäkern setzten wir uns auch bei den Vereinten Nationen für die Fundierung des Menschenrechts auf KDV ein.

Dennoch tun wir viel mehr, als nur Lobbyarbeit zu leisten. Wir führen Kampagnen zugunsten von Kriegsdienstverweigerern durch und fordern ihre Freilassung, wenn sie in Haft sind, bzw. die Beendigung ihrer Strafverfolgung. Im Februar war z.B. ein EBCO-Vertreter in Griechenland, um vor Militärgerichten zur Verteidigung eines Totalverweigerers und eines Berufssoldaten, der seine Verweigerung erklärt hatte, auszusagen. Wir haben in ähnlicher Weise Kriegsdienstverweigerer in anderen Ländern wie Armenien, Großbritannien, Israel und der Türkei unterstützt. Besonders stolz sind wir auf gemeinsame Aktionen unserer griechischen und türkischen Freunde sowie zwischen griechischen und türkischen Werweigerern auf Zypern.

Im Oktober 2009 haben wir zusammen mit der Vereinigung von Organisationen zu Freiwilligendiensten (AVSO) im Europäischen Jugendzentrum in Budapest ein Seminar zum Thema "Freiwilligendienste und Interkultureller Dialog" veranstaltet. Dort kamen 35 TeilnehmerInnen aus 20 Ländern aus Europa und dem Nahen Osten zusammen.

Andere Aktionsformen umfassen öffentliche Diskussionsforen, Straßenaktionen und Proteste. Mindestens einmal jährlich - meist am 15. Mai, dem internationalen KDV-Tag - treffen wir uns und beleuchten die Situation in einem spezifischen Land. Wir treffen dort Vertreter von Regierungen und Menschenrechtsorganisationen, organisieren Konferenzen, Demonstrationen oder Happenings und halten unsere Jahresversammlung ab. In den letzten Jahren haben wir uns so in Istanbul, Athen, dem durch eine Mauer geteilten und militarisierten Nikosia und dieses Jahr in Barcelona getroffen, wo wir den 10. Jahrestag der Beendigung der Wehrpflicht in Spanien gefeiert haben.

ZivilCourage: Für eine kleine Organisation sind das eine Menge Aktivitäten. Wie kann EBCO das bewerkstelligen, zumal das Budget vermutlich klein ist?

Alexia Tsouni: EBCO selbst ist eine Art Koordinationsbüro. Aktionen und Kampagnen werden hauptsächlich von den Mitgliedsorganisationen durchgeführt. Im Koordinierungsausschuss arbeiten momentan 23 Personen aus unterschiedlichen Organisationen und Ländern mit. Diese Struktur hat sich als sehr flexibel und effektiv bewährt.

Natürlich sind auch bei EBCO einige Menschen aktiver als andere. Es ist erstaunlich, wie viel von zwei oder drei Personen mit einem kleinen Budget bei effektiver Arbeit erreicht werden kann. Dennoch sollten wir in die Lage kommen, unsere Freunde in der Türkei, am Kaukasus und in den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion besser zu unterstützen. Dafür wäre mehr Geld nötig, um die Verweigerer in ihren Heimatländern besuchen, sie zu unseren Treffen einladen, vor Gericht für sie aussagen oder Kampangen für sie organisieren zu können. Unser Haushalt wird jedoch fast nur aus den Beiträgen der Mitgliedsorganisationen gespeist, von denen viele selbst finanziell schwach sind. Wir sind daher dankbar, dass die DFG-VK jährlich einen regelmäßigen Beitrag zu unserem Budget leistet.


Alexia Tsouni ist Generalsekretärin des Europäischen Büros für Kriegsdienstverweigerung - European Bureau vor Conscientious Objection (EBCO). Auf dem Foto [der Originalpublikation (Anmerkung der Schattenblick-Redaktion]] ist sie (2. von rechts) bei eier Solidaritätsaktion für den damals inhaftierten türkischen Kriegsdienstverweigerer Mehmet Tarhan vor der türkischen Botschaft in Athen im April 2005 zu sehen. Mit Alexia Tsouni sprach für die ZivilCourage der internationale Sprecher der DFG-VK Guido Grünewald, der für die DFG-VK bei EBCO mitarbeitet. Weitere Informationen zu EBCO im Internet: www.ebco-beoc.eu


*


Am 9. Mai protestierte die Vereinigung der griechischen Kriegsdienstverweigerer im Rahmen der Antinationalistisch-Antimilitaristischen Initiative vor dem Verteidigungsministerium in Athen gegen die hohen Rüstungsausgaben. Laut dem schwedischen Friedensforschungsinstitut Sipri sind die griechischen Militärausgaben zwischen 2000 und 2009 inflationsbereinigt um 27 Prozent (und damit fast doppelt so stark wie in Gesamteuropa) gestiegen und lagen mit einem Anteil von ca. 3,5 Prozent des Bruttosozialprodukts (BSP) weit über dem europäischen Durchschnitt. Nach aktuellen Angaben des griechischen Verteidigungsministers sollen sie 2010 auf 6 Milliarden Euro und einen BSP-Anteil von 2,8 Prozent sinken. Auch das wäre ebenso wie bei der Türkei, mit dem sich Griechenland seit Jahrzehnten ein Wettrüsten liefert, ein deutlich überdurchschnittlicher Prozentsatz. Die Regierungen Deutschlands und Frankreichs betätigen sich trotz notwendigen Schutzschirms zur Abwendung eines griechischen Staatsbakrotts als Waffendealer: Frankreich hat an Griechenland in jüngerer Vergangenheit Fregatten und Hubschrauber verkauft, Deutschland U-Boote. Bei seinem Athen-Besuch im Februar wies Außen(handels)minister Westerwelle darauf hin, die "Eurofighter"-Länder wollten bei einer griechischen Entscheidung zum Kauf von Kampfflugzeugen berücksichtigt werden.

Die griechischen AntimilitaristInnen forderten bei ihrem Protest u.a. ein Ende des Wettrüstens zwischen Griechenland und der Türkei, eine sofortige einschneidende Verringerung aller Rüstungsprogramme, den Abzug der griechischen Streitkräfte aus internationalen Einsätzen wie in Afghanistan und Kosovo sowie Investitionen in den öffentlichen Sektor (Bildung, Gesundheit, Umweltschutz usw.), die dringend notwendig seien.


*


Quelle:
ZivilCourage Nr. 3 - August 2010, S. 16-17
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK e.V.),
Kasseler Straße 1A, 60486 Frankfurt
Redaktion: ZivilCourage, Postfach 90 08 43, 21048 Hamburg
Tel. 040/58 96 61 61, Telefax: 03212-10 28 255
E-Mail: zc@dfg-vk.de
Internet: www.zc-online.de

Erscheinungsweise: zweimonatlich
Jahres-Abonnement: 14,00 Euro einschließlich Porto


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. September 2010