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STANDPUNKT/083: Waldkircher Erklärung - Signal gegen Waffenexport (Forum Pazisfismus)


Forum Pazifismus Nr. 22 - II/2009
Zeitschrift für Theorie und Praxis der Gewaltfreiheit

Signal gegen Waffenexport
"Waldkircher Erklärung" mit fast 15.000 Unterschriften liegt jetzt dem Bundessicherheitsrat vor

Von Wolfram Wette


Der Aufschrei kam von der Basis. In diesem Falle vom SPD-Ortsverein des Schwarzwaldstädtchens Waldkirch, knapp über 20.000 Einwohner, daher seit Beginn des Jahres 2009 Große Kreisstadt mit einem Oberbürgermeister an der Spitze. Mit wachsender Sorge hatten einige friedenspolitisch engagierte Waldkircher Sozialdemokraten die seit Jahren ansteigenden deutschen Waffenexporte verfolgt. "Der Waffenexport floriert. Deutschland ist fünftgrößter Lieferant", hatte die Badische Zeitung schon über das Jahr 2005 berichtet.(1)


Alarmierende Nachricht: Deutschland drittgrößter Waffenlieferant

Bereits ein Jahr später übermittelte die Presse an herausragender Stelle die Negativbotschaft, dass 2006 weltweit ein Rekord bei den Militärausgaben aller Art zu vermelden sei. Sowie: Deutschland sei erstmals auf dem unrühmlichen Platz drei der Weltrangliste der Staaten mit den meisten Waffenexporten gelandet. Gleich hinter den USA und Russland, mit deutlichem Abstand zu Frankreich, Niederlande, Großbritannien, Italien, Spanien, China und Schweden.(2) Unter Berufung auf das renommierte Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri(3) teilte die Badische Zeitung mit, Deutschland habe 2006 seine Waffenexporte von 1,5 auf 3,8 Milliarden Dollar gesteigert. Das Blatt kommentierte: "Dass Deutschland in der Rangliste der Waffenhändler Rang drei erklomm, ist wahrlich kein Grund für nationalen Stolz."(4) Um den Lesern der Zeitung zu verdeutlichen, dass das Problem der Waffenproduktion und der Waffenexporte nicht irgendwo in nebelhafter Ferne angesiedelt ist, sondern direkt vor unserer Haustür, fügte die Redaktion eine detaillierte Information über Waffen produzierende Betriebe aus neun baden-württembergischen Städten und Gemeinden hinzu. Darunter die Firma Heckler & Koch, die in Oberndorf Pistolen, Gewehre und Granatwerfer baut - und weltweit exportiert.


Zivilgesellschaftlicher Protest: "Skandal ohne Grenzen"

Diese Informationen gaben den entscheidenden Anstoß, in Waldkirch zu einer Informationsveranstaltung einzuladen und damit gleichzeitig ein Forum zu bieten für die Zusammenarbeit von politischen, gewerkschaftlichen, kirchlichen und friedenspolitischen Vereinigungen, von denen ein rüstungskritisches Engagement erwartet werden konnte. Das unter dem Titel "Skandal ohne Grenzen. Dem Rüstungsexport muss endlich Einhalt geboten werden" stehende Treffen fand am 10. Juli 2007 statt.

Für das Einstiegsreferat "Überlegungen zu einer ethischen Beurteilung der Rüstungsexportpolitik" konnte der Politikwissenschaftler Dr. Bernhard Moltmann von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) gewonnen werden. Der ehemalige Akademiedirektor ist zugleich Vorsitzender der Kommission "Rüstungsexporte" in der "Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung" (GKKE). Diese Kommission wurde von den beiden großen Kirchen ins Leben gerufen. Dort war nämlich der Eindruck entstanden, dass der Bundestag - beziehungsweise "die Politik" insgesamt - dem Thema Waffenexporte keine besondere Aufmerksamkeit widmete und die jährlich erstatteten Rüstungsexportberichte der Bundesregierung kaum zur Kenntnis nahm oder kommentarlos abnickte. Daher gibt die GKKE jährlich einen kritischen Rüstungsexportbericht heraus, den Moltmann zur Grundlage seines Waldkircher Vortrages machte.(5)

Moltmanns Fazit, das zugleich eine politische Forderung an Bundesregierung und Bundessicherheitsrat darstellte, lautete folgendermaßen: "Bei rüstungspolitischen Entscheidungen - gerade bei Lieferungen in Empfängerländer außerhalb von Nato und EU - ist zu begründen, ob sie tatsächlich dem Frieden, der Sicherheit und der Entwicklung dienen. Industriepolitische Motive, Arbeitsplatzargumente oder der Verweis auf entgegenlaufendes Handeln von Konkurrenten haben hier keinen Platz."(6)


Der Handel mit dem Tode - was geht uns das an?

Für die Teilnahme an der Veranstaltung wurde mit einigen rhetorischen Fragen geworben. "Der Handel mit dem Tode - was geht uns das an? Ist das ein Thema für die Waldkircher Provinz? Wer kennt schon die Produzenten, Verkäufer, Käufer und Anwender der Waffen? Wer kennt die Grauzonen des Waffengeschäfts? Werden die Waffen - meist handelt es sich um sogenannte Kleinwaffen, also Gewehre, Pistolen, Minen - nicht hauptsächlich in anderen Kontinenten eingesetzt, in erster Linie in den unterentwickelten Ländern? Kann man gegen die deutsche Waffenexportpolitik überhaupt etwas ausrichten? Den Kritikern wird häufig gesagt: Wenn wir nicht liefern, dann liefern eben die anderen. Aber gibt es nicht auch den Weg, mit gutem Beispiel voranzugehen?"(7) Die lokale Presse griff diesen Gedanken auf und titelte: "Der Handel mit dem Tod - was geht uns das im Elztal an?"(8)

Das erklärte Ziel der Veranstaltung lautete, einen "zivilgesellschaftlichen Protest gegen die wachsende deutsche Beteiligung am Handel mit dem Tod" zu formulieren und ihn als Signal an die Bundesregierung zu senden. Terminologisch orientierten sich die Veranstalter an einem Wort des früheren Bundeskanzlers Willy Brandt. Er hatte die Rüstungstransfers schon vor mehr als 30 Jahren als "Export des Todes" bezeichnet. In der Zivilgesellschaft von heute gelten polemische Begriffe dieser Art keineswegs mehr als politisch anstößig, wie man der Tatsache entnehmen kann, dass sie auch in Publikationen der Bundeszentrale für politische Bildung verwendet werden."(9)

Sowohl das Referat von Bernhard Moltmann als auch die sich anschließende Podiumsdiskussion waren von Sachverstand geprägt.(10) Einleitend wurde gesagt, es gehe primär um einen moralischen Appell an die Bundesregierung und an den Bundessicherheitsrat sowie an die mit dieser Materie befassten Parlamentarier. Sie sollten sich auf ihre friedensethische Verantwortung besinnen. Jürgen Grässlin stellte fest, dass Rüstungsexport "aktive Beihilfe zum Mord" sei. Auf das Konto der "kleinen Waffen" - wie das deutsche Gewehr G 36 oder die russische Kalaschnikow - gingen 95 Prozent der Toten kriegerischer Auseinandersetzungen. DGB-Sprecher Jürgen Höfflin warnte, dass die Waffenlieferungen von heute die gewaltsamen Auseinandersetzungen von morgen seien. Herbert Schweitzer rief dazu auf, bis in die kleinste Gemeinde hinein aufzuzeigen, dass Waffenproduktion unnötig und lebensfördernde Produkte Sinn der Arbeit seien.


Erstunterzeichnerinnen und Erstunterzeichner

Die überraschend zahlreichen Teilnehmer der Veranstaltung beschlossen nach eingehender Diskussion einmütig eine von Jürgen Grässlin und Wolfram Wette vorbereitete "Waldkircher Erklärung" mit dem Titel "Skandal ohne Grenzen - den Waffenlieferungen muss Einhalt geboten werden". Etwa 50 Erstunterzeichner bekundeten ihre Zustimmung. Mit Unterschriftenlisten, welche der Erklärung beigegeben wurden, sollte in der Folgezeit bundesweit für eine Unterstützung des Anliegens geworben werden.

Zu den Erstunterzeichnerinnen und Unterzeichnern gehörten: Prof. Dr. Wolfram Wette, Historiker, SPD Waldkirch; Dr. Bernhard Moltmann, Vorsitzender der Fachgruppe Rüstungsexportpolitik der "Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung" (GKKE); Jürgen Grässlin, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) und des Deutsches Aktionsnetzes Kleinwaffen Stoppen (DAKS); Jürgen Höfflin, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes Südbaden (DGB); Sabine Wölfle, Vorsitzende der SPD Waldkirch; Stephan Möhrle, Vorstandsmitglied im RüstungsInformationsBüro (RIB e.V.); Paul Russmann, Geschäftsführer der Kampagne gegen Rüstungsexport bei Ohne Rüstung Leben (ORL); Fabian Sieber, in Vertretung des Generalsekretärs der deutschen Sektion von Pax Christi; Markus Weber, Geschäftsführer der Bistumsstelle Pax Christi Freiburg; Prof. Dr. Herbert Schweizer, Katholische Arbeiterbewegung (KAB); Christoph Bayer, SPD-Abgeordneter des Landtags von Baden-Württemberg; Dietrich Elehlepp, Mitglied des Europäischen Parlaments a.D., SPD; Alexander Kauz, Die Linke, und viele andere mehr.


Der Wortlaut der Waldkircher Erklärung

Die "Waldkircher Erklärung zum Rüstungsexport" beginnt mit einer Analyse der Rüstungstransfers in den vergangenen Jahren: "Trotz aller gesetzgeberischen und politischen Vorkehrungen stiegen die deutschen Waffenexporte in den vergangenen Jahren stetig - zuletzt sogar rasant - an." Deutschland stehe seit 2006 gleich hinter den USA und Russland. "So geschehen 17 Jahre nach der deutschdeutschen Vereinigung und trotz eines weitgehend befriedeten europäischen Kontinents. Dieser dramatische Zuwachs ist nicht im Mindesten nachvollziehbar."

Zu den gesetzlichen Rahmenbedingungen wird festgestellt: "Mit dem Kriegswaffenkontrollgesetz (KWKG), dem Außenwirtschaftsgesetz (AWG) und den Politischen Grundsätzen der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern verfügt die Bundesrepublik Deutschland zwar über ein im internationalen Vergleich als restriktiv geltendes Rüstungsexportkontrollregime, aber diese Regelungen haben den Skandal ohne Grenzen nicht verhindert."

Zumal die territorialen Restriktionen würden häufig nicht mehr beachtet: "Führender Empfänger deutscher Waffen sind Staaten, die kriegerische Konflikte führen. Ein bedeutender Anteil der deutschen Waffentransfers erfolgt ausgerechnet in die Entwicklungsländer, die Entwicklungshilfe beziehen. In beträchtlichem Umfang wurden deutsche Waffen an Länder in Krisen- und Kriegsgebiete des Nahen Ostens, Asiens und Afrikas verkauft. Dabei wurde und wird der Grundsatz, nicht in Spannungsgebiete und nicht an menschenrechtsverletzende Staaten zu liefern, offensichtlich zunehmend missachtet. Häufig verschwinden die Waffen in staatlich unkontrollierbaren Grauzonen von Bürgerkriegskonflikten. Denn Reexporte an Drittstaaten werden de facto nicht kontrolliert. Mit großer Sorge verfolgen wir auch Lizenzvergaben zum Nachbau deutscher Waffen."

Besonders besorgniserregend sind Rüstungsgüter, die mit dem verharmlosenden Begriff "Kleinwaffen" bezeichnet werden: "Laut Schätzungen des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes sterben rund 95 Prozent aller Opfer durch so genannte 'Kleinwaffen', also Gewehre, Pistolen, Mörser und Minen. Deutschland zählt seit Jahren zu den führenden Kleinwaffenexporteuren weltweit."


Politische Forderungen

Es folgen eine Gesamteinschätzung und die politischen Forderungen:

" - Wir sehen in der Entwicklung der deutschen Waffenexporte einen Skandal ohne Grenzen.

- Wir fordern, dass dieser Entwicklung Einhalt geboten wird. Ziel deutscher Politik muss eine Welt sein, in der Konflikte mit zivilen Mitteln gelöst werden.

- Die Bundesregierung darf sich nicht länger von dem Totschlagargument irreführen lassen, deutsche Arbeitsplätze müssten gesichert werden. Diese Behauptung ist unzutreffend: Mit dem Geld, das für staatliche Subventionen an die deutsche Rüstungsindustrie und für Waffenkäufe aufgewendet wird, könnten ungleich mehr Arbeitsplätze im Zivilbereich geschaffen werden.

- Die Bundesregierung soll sich auch nicht mit dem Argument beruhigen, im Falle eines deutschen Rückzugs würden eben andere die Waffen liefern. Steigt Deutschland aus dem Geschäft mit dem Tod aus, so kann dies eine positive Signalwirkung für andere rüstungsexportierende Staaten haben.

- Wir fordern die Mitglieder der Bundesregierung, des geheim tagenden Bundessicherheitsrates und die Parlamentarier nachdrücklich auf, sich auf ihre friedensethische Verantwortung zu besinnen.

- Wir fordern sie auf, mit gutem Beispiel voranzugehen, den Export von Waffen und Munition äußerst restriktiv zu handhaben.

- Wir fordern die Bundesregierung zum vollständigen Verzicht auf staatliche Absicherungen von Rüstungsgeschäften auf (Hermes-Bürgschaften).

- Wir fordern mehr Transparenz: Bundestag und Öffentlichkeit müssen vor den Entscheidungen über Rüstungsexporte informiert werden.

- Wir fordern von den deutschen Rüstungsunternehmen den Verzicht auf den Ausbau von Produktionskapazitäten zur Systemführerschaft. Stattdessen sollten die Vorstände der waffenproduzierenden Unternehmen zur Sicherung der Arbeitsplätze umgehend Maßnahmen der Konversion einleiten, also der Umstellung der militärischen auf eine sinnvolle zivile Fertigung."


Verbreitung und Echo

In der Folgezeit wurde die "Waldkircher Erklärung" über die Netzwerke der veranstaltenden Organisationen sowie im Internet bekannt gemacht. Bereits am Tag des Erscheinens im Internet wurde die Erklärung 3306 mal aufgerufen.

Bei den Redaktionen einiger Printmedien stießen die Sprecher der Aktion auf offene Ohren.

Die Frankfurter Rundschau druckte die "Waldkircher Erklärung" auf ihrer Dokumentationsseite vollständig ab.(11) Die Zeitung "Neues Deutschland" dokumentierte den Text ebenfalls(12) und ließ ihn auf Seite 1 durch den renommierten Berliner Friedensforscher Ekkehart Krippendorff kommentieren.: "Nicht in unsrem Namen ruft [...] eine kleine Initiative aus Südbaden der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit zu: Zur Ungeheuerlichkeit der deutschen Waffenexporte darf nicht länger geschwiegen werden. Eine Handvoll Sozialdemokraten, Mitarbeiter von Pax Christi, Gewerkschafter und Wissenschaftler haben eine Waldkircher Erklärung in die Welt gesandt. Diese Erklärung braucht Mitstreiter und Lautsprecher. Vielleicht gelingt es, einige noch vorhandene Funken unter der Asche der Friedensbewegung anzublasen: Deutschland als weltweit erster Aussteiger aus dem tödlichen Waffengeschäft - das wäre etwas, wofür sich einzusetzen lohnte. Es kostet nur moralischen und politischen Mut."(13)

Der sozialdemokratische "Vorwärts" brachte immerhin einen kurzen Artikel und einen Hinweis auf www.spd-waldkirch.de.(14) Die Berliner "tageszeitung" trug zur Verbreitung des Aufrufs bei mit der Dokumentation seines Wortlauts und mit einem Interview von Stefan Reinecke mit Wolfram Wette bei. Titel: "Ein schändliches Geschäft".(15) "Zivilcourage. Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus" widmete ihre Septembernummer 2008 dem Thema Rüstungsexport. In seinem grundlegenden Leitartikel "Den Tod bringen Waffen aus Deutschland" wies Jürgen Grässlin auch auf die Waldkircher Erklärung hin.(16) Der Fachmann für Rüstungsexporte konnte in diesem Beitrag am konkreten Fall Georgien exemplarisch die Grauzone des Waffenhandels beleuchten. Deutsche Friedensaktivisten hatten den Nachweis erbracht, dass deutsche Kleinwaffen, nämlich G 36-Gewehre der Oberndorfer Firma Heckler & Koch, auf rätselhafte Weise - jedenfalls ohne Genehmigung der Bundesregierung und ohne Wissen der Produktionsfirma - in die Hände georgischer Sicherheitskräfte gelangt waren. Dieser Fall wurde durch das Fernsehen bundesweit publik gemacht.(17)

Besonders viele Unterschriften leisteten Mitglieder der ökumenischen Kampagne "Ohne Rüstung leben". Einen Monat nach der Verabschiedung der Erklärung berichtete die lokale Waldkircher Presse, bereits 400 Bürger hätten die "Waldkircher Erklärung" unterschrieben.(18) Nachdem sich die genannten überregionalen Medien der Verbreitung des Aufrufs angenommen hatten, hörte das Telefon bei Sabine Wölfle in Waldkirch nicht mehr auf zu klingeln. Die Mailbox quoll über. Mehr als ein Jahr später konnte öffentlich vermeldet werden: "Die Waldkircher Erklärung gegen Rüstungsexporte hat inzwischen 12.000 Unterzeichner. Demnächst Übergabe an Sicherheitsrat geplant".(19) Im März 2009 wurde noch einmal bilanziert: 14.510 Menschen hatten die "Waldkircher Erklärung" unterzeichnet. Damit war nach Ansicht der Sprecher der Aktion ein Teilziel erreicht. Nun konnte nach einem Weg gesucht werden, das zivilgesellschaftliche Gewicht der vielen Unterstützerinnen und Unterstützer in einem Gesprächstermin mit einem Mitglied der Bundesregierung zur Geltung zu bringen.


Übergabe der Unterschriftenlisten an den Staatsminister im Auswärtigen Amt

Am 27. März 2009 wurden in Freiburg während einer Pressekonferenz vier dicke Ordner mit den Unterschriftenlisten an den Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler MdB, übergeben.(20) Aus diesem Anlass bezeichneten die Sprecher der Aktion die Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung erneut als "Skandal ohne Grenzen". Der Historiker Prof. Wolfram Wette, Mitglied der SPD Waldkirch und Initiator der Aktion, forderte "insbesondere die Mitglieder des Bundessicherheitsrates eindringlich auf, sich für eine drastische Reduzierung der Rüstungsexporte einzusetzen". Wette betonte einmal mehr, dass Deutschland laut einer Studie des Friedensforschungsinstituts Sipri in Stockholm "seit dem Jahre 2006 auf den unrühmlichen Platz 3 in der Weltrangliste der Länder mit dem höchsten Volumen an Rüstungsexporten aufgerückt" sei.

"So lange Deutschland Waffen an menschenrechtsverletzende Staaten wie Russland, Israel und viele andere liefert, sind die Politischen Grundsätze der Bundesregierung zum Rüstungsexport Makulatur", sagte Jürgen Grässlin. Massiv kritisierte der Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) "Waffentransfers an verfeindete Staaten wie Indien und Pakistan sowie die Verdoppelung der Kleinwaffenexporte in die besonders bedenklichen Drittländer. Mit Kleinwaffen", so Grässlin, "werden 95 Prozent aller Menschen in Kriegen und Bürgerkriegen getötet."(21)

Paul Russmann, Geschäftsführer der ökumenischen Aktion Ohne Rüstung Leben, erklärte: "Wir können vielleicht nicht verhindern, dass Menschen Krieg führen, aber wir können verhindern, dass Waffen geliefert werden." Der ORL-Geschäftsführer forderte die Bundesregierung "zum vollständigen Verzicht staatlicher Absicherungen von Rüstungsgeschäften mit Steuergeldern" über Hermes-Bürgschaften auf Russmann verlangte vom Bund "den Verzicht der Lieferung von drei U-Booten nach Pakistan, die mit einer staatlichen Ausfallbürgschaft von gut 1 Milliarde Euro abgesichert werden soll".

Stephan Möhrle, Vorstandsmitglied im RüstungsInformationsBüro (RIB e.V.), forderte, dass "Gelder, die bislang für Rüstungsprojekte wie den Eurofighter und für Hermes-Bürgschaften verschwendet werden, zukünftig für Bildung und Friedensforschung verwendet werden müssen". Möhrle sieht in der Waldkircher Erklärung "ein politisches Papier, das auf große Resonanz bei Lehrern und vor allem bei Schülern gestoßen" sei. Die junge Generation bewerte "die deutsche Rüstungsexportpolitik äußerst kritisch. Dies zeigt die große Beteiligung Jugendlicher bei Protesten gegen Heckler & Koch und Daimler."

Sabine Wölfle, Mitglied im Landesvorstand der SPD Baden-Württemberg, betonte den großen Zuspruch, den die Initiatoren der "Waldkircher Erklärung" in den letzten eineinhalb Jahren erfahren hatten. "Hätten wir nicht ehrenamtlich gearbeitet, sondern mit mehr finanziellen Mitteln und Manpower, so hätten wir sogar die zehnfache Menge an Unterschriften sammeln können. Denn", so die Sozialdemokratin, "die große Mehrheit Bevölkerung steht hinter uns, wie zahlreiche Gespräche an Informationsständen gezeigt haben."

In seiner von großer Ernsthaftigkeit geprägten Stellungnahme begrüßte Staatsminister Gernot Erler MdB (SPD) das Engagement der Friedens- und Menschenrechtsorganisationen und Mitglieder verschiedener Parteien zur "Waldkircher Erklärung". Er teilte insbesondere die Bedenken an den dramatisch zunehmenden Exporten von Kleinwaffen, wie Pistolen und Gewehren. Staatsminister Erler versprach, die ihm übergebenen Listen der mehr als 14.500 Unterzeichnerinnen und Unterzeichner sowie die persönlichen Schreiben an die Mitglieder des Bundessicherheitsrates weiterzureichen. Seitens des Außenministeriums versprach er "eine Antwort, die nicht abwimmelt, sondern Substanz hat".

Die zahlreichen Unterstützer dieser Protestaktion gegen Rüstungsexporte erwarten allerdings nicht nur substanzielle Worte, sondern sichtbare Taten. Der Skandal ohne Grenzen hat nämlich keineswegs ein Ende oder auch nur eine Begrenzung gefunden. Deutschland steht auch 2008 auf Platz 3 der Weltrangliste der waffenexportierenden Staaten. Es hat seinen Weltanteil am Waffenmarkt in den letzten 5 Jahren von 7 auf 10 Prozent gesteigert. Der Trend zum vermehrten Export von deutschen Rüstungsgütern ist ungebrochen.


Prof. Dr. Wolfram Wette ist Historiker und Mitglied der DFG-VK


Anmerkungen

1) dpa-Bericht: Der Waffenexport floriert. Die Ausfuhr von Rüstungsgütern legt um zehn Prozent zu. Deutschland ist fünftgrößter Lieferant. In: Badische Zeitung 28.9.2006, S. 20.

2) Hannes Gamillscheg: Rekord bei Militäransgaben. Der Irakkrieg treibt die Kosten der USA in die Höhe. Auch der Waffenhandel nimmt zu. In: Badische Zeitung, 12. Juni 2007, S. 1, Schaubild "Die größten Waffenexporteure".

3) Sipri = Stockholm International Peace Research Institute

4) Hannes Gamillscheg: Fehlgeleitetes Geld. Rüstungsboom. In: Badische Zeitung, 12. Juni 2007, S. 1, Rubrik "Tagesspiegel"'.

5) Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (Hrsg.): Rüstungsexportbericht 2006 der GKKE. Vorgelegt von der GKKE-Fachgruppe Rüstungsexporte. Bonn, Berlin 2006 (= GKKE-Schriftenreihe Bd. 41), 115 S.; "sowie Rüstungsexportbericht 2007 der GKKE.

6) Referat von Bernhard Moltmann in Waldkirch am 10.7.2009: Rüstungsexporte - ein Skandal ohne Grenzen. Überlegungen zu einer ethischen Beurteilung von Rüstungspolitik, hier: S. 12.

7) Text d. Verf. für die Presseankündigung der Veranstaltung am 10.7.2007.

8) Badische Zeitung, 7.7.2009, S. 25: Elztal.

9) Zum Beispiel bei Mathias John: Rüstungstransferns - Globaler Handel mit dem Tod. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament. Nr. 16-17/2007, 16.4.2007, S. 17-24.

10) Eberhard Weiss: Dem Waffenexport Einhalt gebieten. Die Waldkircher SPD veranstaltete einen Informationsabend mit Experten zum Thema "Skandal ohne Grenzen - Rüstungsexport". In: Badische Zeitung, 13.7.2009, S. 21: Elztal.

11) Stoppt das Geschäft mit dem Tod. In: Frankfurter Rundschau, 25.7.2007, S. 23: Dokumentation.

12) Den Waffenlieferungen muss Einhalt geboten werden. Dokumentiert: Waldkircher Erklärung zum Rüstungsexport. In: Neues Deutschland, 4/5.8.2009, S. 24.

13) Ekkehart Krippendorff: Nicht in unsrem Namen. In: Neues Deutschland, 4/5.8.2009, S. 1.

14) SPD Waldkirch: Unterschriften gegen Waffenexporte. In: Vorwärts-Newsletter August 2007, News 3; und: Vorwärts [Druckversion] 09/2007, Seite "Parteileben".

15) "Ein Schändliches Geschäft". In: die tageszeitung, 30.8.2008, S. 12.

16) Zivilcourage. Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG/VK, Nr. 4, Sept. 2008, Titelgeschichte von Jürgen Grässlin: "Den Tod bringen Waffen aus Deutschland", S. 6-11.

17) Ebda., S. 10.

18) Eberhard Weiss: Aufruf gegen Waffenexport. In: Badische Zeitung, 11.8.2007, S. 25: Elztal.

19) Sylvia Timm: "Unerträgliches Geschäft mit dem Tod". In: Badische Zeitung, 2.10.2008, S. 21.

20) vgl. den Bericht von Michael Neubauer: Signal gegen den Waffenexport. "Waldkircher Erklärung" mit fast 15.000 Unterschriften an Staatsminister Erler übergeben. In: Badische Zeitung, 28.3.2009, S. 2

21) Weiterführend: www.rib-ev.de (mit aktuellem Rüstungsexport-Weblog und DAKS-Newsletter zu Kleinwaffenexporten), www.juergengraesslin.com (Stichworte "Rüstungsexporte" und "Heckler & Koch") und www.dfg-vk.de


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Quelle:
Forum Pazifismus - Zeitschrift für Theorie und Praxis
der Gewaltfreiheit Nr. 22, II/2009, S. 23 - 27
Herausgeber: Internationaler Versöhnungsbund - deutscher Zweig,
DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen) mit der Bertha-von-Suttner-Stiftung der
DFG-VK, Bund für Soziale Verteidigung (BSV) und Werkstatt für
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. September 2009