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STANDPUNKT/097: Der Tod ist wieder ein Meister aus Deutschland (Forum Pazifismus)


Forum Pazifismus Nr. 29 - I/2011
Zeitschrift für Theorie und Praxis der Gewaltfreiheit

Der Tod ist wieder ein Meister aus Deutschland
Göttinger Friedenspreis 2011 an ORL und die GKKE

Von Andreas Zumach


Wir erleben in diesen Tagen und Wochen historische Umwälzungen in den Staaten des Nahen/Mittleren Ostens und Nordafrikas. Für die Bevölkerungen dieser Länder ist der Umbruch von ebenso tiefer Bedeutung wie es für uns EuropäerInnen 1989 der Fall der Mauer und das Ende des Kalten Krieges waren.

Wir, die Länder des demokratischen Westens haben in den letzten 50 Jahren auf die autoritären und diktatorischen Regimes im Nahen/Mittleren Osten und Nordafrika gesetzt. Weil sie uns verlässlich billiges Öl liefer(te)n oder unserer Wirtschaft wie im Falle des libyschen Ghadhafi-Regimes millardenschwere Aufträge bescheren und die lästigen Flüchtlinge aus Afrika vom Hals hielten. Und weil diese Regimes uns als einzig verlässlicher Garant galten gegen die vermeintliche Gefahr einer islamistischen Machtübernahme in diesen Ländern.

Ein wichtiges Mittel zur Unterstützung dieser Regimes war - und ist bis auf Libyen unverändert die Lieferung von Kriegswaffen und anderen Rüstungsgütern sowie von Waffen und Folterinstrumenten, mit denen Polizei, Geheimdienste und interne Sicherheitsorgane die Opposition unterdrücken. Die Lieferung erfolgte, obwohl zumindest der Nahe und Mittlere Osten seit Ende der 1940er Jahre zu den gefährlichsten und unstabilsten Spannungsgebieten der Welt gehört. Ein Teil der Waffen, die der Westen und auch die damalige Sowjetunion an arabische Staaten lieferte, wurde von diesen in den Kriegen mit - dem ebenfalls vom Westen aufgerüsteten - Israel eingesetzt. Nach einer kürzlich veröffentlichten Analyse des Bonner Internationalen Konversionszentrums (BICC) ist der Nahe/Mittlere Osten heute die am stärksten durch Rüstungsimporte militarisierte Region der Welt.

Die Lieferung von Waffen und Ausrüstung zur Kriegsführung sowie zur innerstaatlichen Unterdrückung an diktatorische Regimes im Nahen/Mittleren Osten und Nordafrika ebenso wie an Diktaturen und in Spannungsgebiete in anderen Weltregionen ist nach meiner Überzeugung der größte permanente Skandal deutscher Außenpolitik und Außenwirtschaftspolitik. Nicht nur, weil diese deutschen Exporte verantwortlich sind für den Tod, die lebenslange Verstümmelung, gewaltsame Unterdrückung oder Folter von hunderttausenden Menschen in aller Welt, sondern auch, weil die Ausgaben der Empfängerländer der deutschen Waffen und Unterdrückungsinstrumente den Staatshaushalten dieser Länder kostbare Ressourcen entziehen für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung.

Es ist das große Verdienst der beiden Preisträger - Ohne Rüstung Leben und die Fachgruppe Rüstungsexport der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung -, dass sie seit ihrer Gründung 1978 bzw. 1997 beharrlich dazu beitragen, dass dieser Skandal zumindest nicht völlig vergessen wird.

In den 1970er und 1980er Jahren war das kritische Bewusstsein über diesen Skandal noch relativ weitverbreitet. Für Friedensorganisationen und die damals so genannten Dritte-Welt-Initiativen war der Kampf gegen die Ausfuhr von Instrumenten zur Kriegsführung und zur innerstaatlichen Unterdrückung eine der wichtigsten gemeinsamen Anstrengungen. Damals entstand die erste ökumenische Kampagne evangelischer und katholischer Basisgruppen wie Ohne Rüstung Leben und Pax Christi gegen Rüstungsexporte. In der Folge positionierten sich die beiden großen Kirchen auch auf Leitungsebene deutlich gegen den moralischen Skandal des Exportsgeschäfts mit dem Tod. Der öffentliche Druck führte schließlich dazu, dass die von 1976 bis 1982 regierende Koalitionsregierung unter Bundeskanzler Schmidt zumindest den Export von Rüstungsgütern in Spannungsgebiete durch neue Richtlinien erschwerte. Allerdings nur auf dem Papier. Denn auch in den 1980er Jahren ging der Export nicht zurück. In diesem Jahrzehnt erfolgte der ganz besonders verbrecherische Export von Produktionsanlagen, Grundsubstanzen und Know-how zur Herstellung von Chemiewaffen an das Regime von Saddam Hussein - damals unser wichtigster Verbündeter und Öllieferant im Nahen Osten.

Nach Ende des Kalten Krieges verringerte sich im Zuge der so genannten "Normalisierung" der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik auch das Problembewusstsein über den Skandal der Rüstungsexporte. Nach dem zeitweisen Rückgang der weltweiten Ausgaben für Rüstung und Militär zogen diese ab 1996 wieder deutlich an und damit auch die Nachfrage nach und der Verkauf von deutschen Rüstungsgütern. Die unter der rot-grünen Bundesregierung eingeführten Menschenrechtskriterien für die Beurteilung potenzieller Empfängerländer konnten diese Entwicklung nicht bremsen. Denn in der Praxis wurden diese Kriterien kaum angewendet, wie wir dank der Recherchen der GKKE wissen können.

Zwischen 2005 und 2009 sind die deutschen Rüstungsausfuhren um 100 Prozent gestiegen im Vergleich zum Zeitraum zwischen 2000 und 2004: von einen Anteil von sechs Prozent auf über 11 Prozent des weltweiten Rüstungshandels. Bereits seit 2006 liegt Deutschland hinter den USA und Russland auf dem dritten Platz der größten Rüstungsexporteure - mit stetig wachsendem Abstand zu den beiden europäischen Hauptkonkurrenten Frankreich und Großbritannien. Eine weitere Steigerung der Rüstungsexporte ist zu befürchten. Die Lobby der deutschen Rüstungskonzerne in Berlin drängt angesichts sinkender Binnennachfrage massiv auf eine Erleichterung der Ausfuhrbestimmungen. Und die Bundesregierung hat bereits angekündigt, die Genehmigungspraxis für Rüstungsgüter EU-weit "harmonisieren, bürokratische Hemmnisse abbauen und Verfahren beschleunigen" zu wollen.

In einigen Waffenkategorien sind deutsche Hersteller heute weltweit führend oder gehören zumindest zur Spitzengruppe der Exporteure. Vor allem U-Boote aus Deutschland sind sehr begehrt, stellte Bernhard Moltmann bei der Vorstellung des vorletzten GKKE-Berichts im Dezember 2009 fest. Von den 36 Staaten, die weltweit über nicht-nukleare U-Boote verfügen, habe mehr als die Hälfte U-Boote deutscher Herkunft im Einsatz. Darunter sind die drei an Israel gelieferten U-Boote, die möglicherweise demnächst in einem Krieg gegen Iran zum Einsatz kommen könnten. Moltmann beklagte, dass die öffentliche Kritik am U-Boot-Geschäft mit Pakistan sowie an der staatlichen Hermes-Ausfallbürgschaft für diese Lieferung keine Wirkung gezeigt habe. Die Kieler Werft HDW ist bis 2017 ausgebucht. Interesse an deren U-Boot vom Typ 214 haben unter anderem die Türkei, Pakistan, Israel, Südkorea, Indien und die Vereinigten Arabischen Emirate bekundet.

Ein weiterer "Verkaufs-Schlager" ist das U-Boot U-26 von den Rhein-Stahl-Nordseewerken in Einden. Im Ausland sehr begehrt sind zudem Kriegsschiffe aus deutscher Produktion. Neben deutschen U-Booten und Fregatten zählt der Leopard-Panzer von Krauss-Maffei zu den internationalen "Verkaufs-Schlagern". Auch die Exportgeschäfte der Rüstungsunternehmen von Rheinmetall, von EADS (Daimler) oder ThyssenKrupp boomten trotz Weltwirtschaftskrise. Die G-3- und G-36-Gewehre von Heckler & Koch sind nach der russischen AK-47 - der Kalaschnikow - die weltweit meistbegehrten und -verkauften Kleinwaffen und in zahlreichen Bürgerkriegen und innerstaatlichen Gewaltkonflikten im Einsatz; auch in Libyen, wo in den letzten Tagen sogar Mitglieder des Ghadhafi-Clans öffentlich mit diesen deutschen Gewehren posiert haben. Die G-3-/G-36-Gewehre aus der Waffenschmiede in Oberndorf gehören damit zu den weltweit erfolgreichsten Mordinstrumenten seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Der Tod ist ein Meister aus Deutschland - dieser Satz aus der Todesfuge von Paul Celan über die Ermordung der Juden im Dritten Reich ist auf neue Weise längst wieder zur traurigen Realität geworden.

Die Tod und Zerstörung bringenden Exporte aus Deutschland werden von der Bundesregierung nicht nur durch lasche Genehmigungspraxis erleichtert, sondern darüber hinaus durch Hermes-Ausfallbürgschaften aktiv gefördert. Heftig kritisiert die GKKE in ihrem jüngsten Bericht den Anstieg dieser Bürgschaften von 21 Millionen Euro im Jahre 2008 auf 1,92 Milliarden Euro im Jahr 2009. Mit diesen Ausfallbürgschaften werde das Geschäftsrisiko der Rüstung exportierenden Firmen zu Lasten der Steuerzahler reduziert. Das komme einer indirekten Subvention von Rüstungsexporten gleich.

Darüber hinaus bemüht sich die Bundesregierung bei internationalen Verhandlungen über Rüstungskotrolle und Abrüstung, die Interessen deutscher Hersteller an fortgesetzten Exportgeschäften zu sichern. Ausgerechnet bei den Verhandlungen zum Verbot von Streumunition sowie von Minen also jenen Waffen, die auch in Nachkriegssituationen noch fürchterliche Folgen für Zivilisten haben setzte die Bundesregierung im Auftrag der deutschen Rüstungsindustrie Ausnahmeregeln und die Verwässerung von Bestimmungen durch. So kann etwa der Nürnberger Rüstungskonzern Diehl auch künftig Streumunition produzieren und weltweit exportieren, weil seine jüngste, für Zivilisten angeblich nicht mehr gefährliche Streubombenentwicklung dank der Bemühungen der Bundesregierung wegen ihrer technischen Spezifikationen nicht unter die Streumunitions-Definition des internationalen Verbotsabkommen fällt. Eine Regelung, die es dem Diehl-Konzern erlaubt, kritische Journalisten durch Klagen mundtot zu machen.

Bei keiner anderen Ausfuhr von Gütern ist die Transparenz so mangelhaft wie bei der Rüstung. Die Entscheidungen fallen auf der Exekutivebene, oftmals im geheim tagenden Bundessicherheitsrat. Eine parlamentarische Kontrolle oder gar Mitbestimmung findet so gut wie nicht statt. Die Rüstungsexportberichte der Bundesregierung sind in vieler Hinsicht mangelhaft und wurden zudem bislang mit Verspätungen von bis zu einem Jahr vorgelegt.

Das macht den seit 1997 jeweils zum Jahresende veröffentlichten Bericht der Fachgruppe Rüstungsexporte der GKKE unter Vorsitz von Bernhard Moltmann umso wichtiger. Mit seinen sorgfältigen Recherchen und fundierten Bewertungen ist der GKKE-Bericht für Politiker und Journalisten und den Teil der kritischen Öffentlichkeit, die sich überhaupt noch für das Thema Rüstungsexporte interessieren, längst zur wichtigsten Quelle und Arbeitsgrundlage geworden.

Dass die wichtigen Inhalte der GKKE-Berichte möglichst breite Aufmerksamkeit finden auch an der Basis von Kirchengemeinden und örtlichen Friedensinitiativen, dafür sorgt ganz wesentlich die Ökumenische Initiative Ohne Rüstung Leben - unter anderem mit ihrem regelmäßig erscheinenden Rundbrief Für ORL gehört das Engagement gegen Rüstungsexporte seit der Gründung im Jahre 1978 zu den Kernanliegen. Seit Ende der 1970er Jahre war ORL an allen gemeinsamen Kampagnen der christlichen wie der weltlichen Friedensbewegung gegen Rüstungsexporte aktiv beteiligt. Derzeit liegt der Schwerpunkt der ORL-Arbeit auf Kleinwaffen. In diesem Jahr will ORL eine Kampagne starten für eine Gesetzesinitiative mit der Forderung nach einem grundsätzlichen Exportverbot für Kriegswaffen und Rüstungsgüter. Zudem engagiert sich ORL in der Initiative "Entrüstet Daimler" und koordiniert seit 1991 die Kritischen Aktionäre beim größten deutschen Rüstungskonzern. Darüber hinaus streitet ORL für eine atomwaffenfreie Welt und den Abzug der noch verbliebenen atomaren Massenvernichtungsmittel aus Deutschland. Schließlich engagiert sich ORL gegen die zunehmende Tendenz, Kriege und den Einsatz deutscher Soldaten zur Sicherung der Rohstoffversorgung und von Handelswegen sowie von anderen wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen zu rechtfertigen.

Aber das Engagement von Ohne Rüstung Leben beschränkt sich nicht auf die Ablehnung von Rüstungsexporten, Rüstungsproduktion und von Atomwaffen. Impuls für die Gründung von ORL war ein Appell der Konferenz des Ökumenischen Rates der Kirchen 1975 in Nairobi: "Die Kirche sollte ihre Bereitschaft betonen, ohne den Schutz von Waffen zu leben und bedeutsame Initiativen zu ergreifen, um auf eine wirksame Abrüstung zu drängen."

In Wahrnehmung dieses Auftrages hält ORL an der konkreten Vision einer gewaltfreien Welt fest und engagiert sich für die Prävention und die Lösung von Konflikten mit ausschließlich zivilen, nichtmilitärischen Instrumenten - und für eine Stärkung dieser Instrumente auf allen Ebenen von Politik und Gesellschaft. Aktueller Ausdruck dieses Engagements ist die Aktion "Schulfrei für die Bundeswehr", die ORL gemeinsam mit anderen Friedensorganisationen gestartet hat. Gefordert wird die Rücknahme der so genannten "Kooperationsabkommen" zwischen der Bundeswehr und den Schulministerien von bislang acht Bundesländern. Die von ORL mitinitiierte Aktion "Schulfrei für die Bundeswehr" fordert den Verzicht auf Werbung der Bundeswehr in Schulen und bei Lehrerfortbildungen sowie die Einführung von Friedenserziehung für Kinder und Jugendliche.

Für die friedensethische Diskussion innerhalb der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) war ORL mit seiner grundsätzlichen pazifistischen Position immer eine besonders wichtige Stimme. In der Friedensdenkschrift der EKD von 1981 wurde die Position von Ohne Rüstung Leben noch als "eine höchst reale Möglichkeit und Chance der Friedenspolitik" gewürdigt. In der letzten Friedensdenkschrift vom September 2007 ist davon allerdings leider keine Rede mehr. Nicht zuletzt deshalb hoffe ich, dass der Göttinger Friedenspreis für Paul Russmann und seine MitstreiterInnen von ORL eine Ermutigung ist, an ihrer konkreten Vision von einer gewaltfreien Welt festzuhalten.


Andreas Zumach ist Mitglied der DFG-VK und Korrespondent der "taz" bei den Vereinten Nationen in Genf. Der hier für die Veröffentlichung leicht gekürzte Text ist das Manuskript seiner Laudatio auf die beiden diesjährigen Preisträger des Göttinger Friedenspreises, der am 5. März in der Alten Aula der Universität Göttingen an Ohne Rüstung Leben und an die Fachgruppe Rüstungsexporte der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung verliehen wurde.


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Quelle:
Forum Pazifismus - Zeitschrift für Theorie und Praxis
der Gewaltfreiheit Nr. 29 - I/2011, S. 21 - 23
Herausgeber: Internationaler Versöhnungsbund - deutscher Zweig,
DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen) mit der Bertha-von-Suttner-Stiftung der
DFG-VK, Bund für Soziale Verteidigung (BSV) und Werkstatt für
Pazifismus, Friedenspädagogik und Völkerverständigung PAX AN
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Mai 2011