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STANDPUNKT/204: Seid nicht feige - Asyl für Edward Snowden! (ZivilCourage)


ZivilCourage - Nr. 1 / 2020
Magazin der DFG-VK

Seid nicht feige: Asyl für Edward Snowden!
"Gegen die Veralltäglichung des wirklich Skandalösen"

Von Werner Glenewinkel


Kurz vor Erscheinen der Autobiographie von Edward Snowden im September 2019 (Permanent Record. Meine Geschichte. Frankfurt a.M. 2019) stellte Heribert Prantl in der "Süddeutschen Zeitung" am 11. August 2019 die Frage: "Was macht eigentlich Edward Snowden?"


Erinnern wir uns: Am 9. Juni 2013 gab Snowden in Hongkong seine Anonymität auf und sagte: Ich war es, der das Überwachungssystem der NSA aufgedeckt hat.

Die von ihm veröffentlichten Dokumente beweisen, dass amerikanische und britische Geheimdienste die halbe Welt abhören und für Spionagezwecke internationale Kommunikationsverbindungen ausforschen - unter Verstoß gegen internationales Recht, Pakte und Vereinbarungen.

Am 14. Juni stellte das FBI Strafanzeige wegen Spionage und beantragte einen Haftbefehl. Am 23. Juni buchte Snowden einen Flug nach Havanna über Moskau. Nachdem sein Pass von den USA für ungültig erklärt wurde, beantragte er Asyl in Moskau. Am 1. August wurde ihm eine - jeweils zu verlängernde - Aufenthaltsgenehmigung erteilt, die allerdings Anfang des Jahres 2020 endet.


Prantl nennt das Nichts-Tun der EU einen Skandal und schreibt: "Es gibt auch so etwas wie die Veralltäglichung des wirklich Skandalösen. Edward Snowden, der Whistleblower, ist das Symbol dafür". Es sei eine Schande, dass ein Aufklärer dort Schutz finden müsse, wo alles Mögliche zu Hause sei, nur nicht die Werte der Aufklärung, "weil die europäischen Staaten zu feige sind, ihm Schutz zu gewähren."

Diese Feigheit wird auch nicht durch den Beschluss des EU-Parlaments vom Oktober 2015 aufgewogen. Es hatte den EU-Staaten empfohlen, alle Vorwürfe gegen Snowden fallen zu lassen und ihm Menschenrechtsschutz zu gewähren. Zivilgesellschaftliche Einrichtungen haben ihre Solidarität für Snowdens Aufklärungsarbeit mit einer Vielzahl von Preisen und Ehrungen zum Ausdruck gebracht.


In Deutschland ist das ganze letzte Jahr über auf das 70-jährige Bestehen des Grundgesetzes hingewiesen worden. Die Bundesregierung wurde nicht müde, die Grundrechte hervorzuheben.

Dazu gehört auch Artikel 16a Absatz 1: "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht."

Das Bundesverfassungsgericht meint: Aufgrund der Achtung der Menschenwürde hat kein Staat das Recht, Leib, Leben und persönliche Freiheit des Einzelnen wegen dessen politischer Überzeugungen zu gefährden. Deshalb stehe ihm Asyl in Deutschland zu. Das sehen natürlich diejenigen, die Whistleblowing für Verrat halten, ganz anders. Sie betonen die Voraussetzung, dass der Schutzanspruch erst dann entstehe, wenn der politisch Verfolgte Deutschland erreicht habe.


Wenn Deutschland Snowden Asyl gewähre, könnte das - so viele Politiker der Großen Koalition - als feindlicher Akt gegenüber den USA aufgefasst werden. Snowden selbst äußerte in einem Interview den Wunsch, politischen Schutz von Deutschland oder Frankreich zu erhalten. Er würde gerne dort einen Asylantrag stellen.

Die Regierungen hätten nach Gründen gesucht, weshalb er nicht kommen durfte. Aber er habe nichts veröffentlicht, womit er Menschen gefährdet habe. "Ich glaube, die europäischen Regierungen haben Angst vor mir."


Das könnte auch daran liegen, dass Snowdens Enthüllungen jeder normalen Bürgerin Angst machen müssten. Angst vor den undurchschaubaren und unkontrollierten Machenschaften vieler Regierungen.

In einem Interview mit dem "Spiegel" sagte Snowden kürzlich dazu: Überall hätten Politiker und Unternehmer verstanden, dass sie die digitalen Technologien nutzen können, um die Welt auf einem neuen Level beeinflussen und unsere Systeme zu attackieren: Das politische System, das Rechtssystem, das soziale System.

"Wir müssen", so seine Forderung, "die massenhafte Datensammlung stoppen. Wenn jeder Mensch jederzeit überwacht wird, nur für den Fall, dass er mal gefährlich werden könnte, verändert das den Charakter einer Gesellschaft." Das ist die Sorge vor den - wie Prantl das nennt - "globalen digitalen Inquisitionstechniken", die jeden Einzelnen betrifft.

Daneben entsteht ein noch viel größerer Anlass zur Sorge:


Die Zukunftskriege finden im Netz statt. Den vorausschauenden Militärs ist sehr schnell klar geworden, dass die Kriege der Zukunft weder Soldaten noch Panzer, allenfalls kleine hochspezialisierte Eingreiftruppen brauchen.

Das zukünftige Szenario heißt Cyberkrieg. Nach Wikipedia ist damit zum einen die kriegerische Auseinandersetzung im und um den virtuellen Raum - den Cyberspace - mit Mitteln der Informationstechnik gemeint. Zum anderen ist er die Bezeichnung für die hochtechnisierte Form des Krieges im Informationszeitalter, die auf einer weitgehenden Computerisierung, Elektronisierung und Vernetzung fast aller militärischen Bereiche basiert.

Der Öffentlichkeit diese gefährlichen Entwicklungen vor Augen geführt zu haben, verdient Dank und Anerkennung.

Deshalb: Asyl für Edward Snowden.


Werner Glenewinkel ist DFG-VK-Mitglied und war bis zu deren Auflösung Ende 2013 Vorsitzender der Zentralstelle KDV.

*

Quelle:
ZivilCourage - das DFG-VK Magazin, Nr. 1 / 2020, S. 30-31
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft -
Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK)
Hornbergstraße 100, 70188 Stuttgart
Redaktion: ZivilCourage - das DFG-VK-Magazin,
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Internet: www.zc-online.de
 
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Einzelheft: 2,80 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. März 2020

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