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BERICHT/034: Rechtswidrige Polizeigewalt in einem Rechtsstaat? (Mitteilungen)


MITTEILUNGEN Nr. 204, I - April 2009
Humanistische Union für Aufklärung und Bürgerrechte

Rechtswidrige Polizeigewalt in einem Rechtsstaat?

Von Kerstin Hinrichsen


Er schäme sich noch heute, sagte ein Zuhörer. Zu Beginn seiner fast 40jährigen Dienstzeit bei der Polizei sei er dabei gewesen, als ein Kollege zugeschlagen habe und er selbst habe das nicht verhindert. Auch wenn er nun im Ruhestand sei, ja, er könne das eben gesagte nur bestätigen. Inhaltlich ging es nicht um ein Coming-out, sondern um die Bestätigung eines betroffenen Ex-Polizeibeamten. Selbst betroffen von der Mauer des Schweigens bei rechtswidriger Polizeigewalt, die entsteht, wenn Polizisten z.B. Probleme im Umgang mit Demonstranten oder Fußballfans haben und dies dann in Handgreiflichkeiten ausartet. Darüber wird nicht gerne gesprochen. Opfer scheuen oftmals die langwierige Prozedur einer Strafanzeige und eines Prozesses, Polizisten das Mobbing der Kollegen, denn beide, der Täter und der Polizeibeamte unter Strafverfolgungszwang, sind Teil eines Systems.

Über dieses System berichtete Falk Menzner, Sprecher der Polizeigruppe der deutschen Sektion von amnesty international am 26. Februar im KulturHaus 73 in Hamburg vor ca. 40 Zuhörern anlässlich einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung der Humanistischen Union. Moderiert wurde die Veranstaltung von Hartmuth Wrocklage, Mitglied des Landesvorstands der Humanistischen Union Hamburg.

Falk Menzner ist langjähriges Mitglied von amnesty international. Die Polizeigruppe, der er angehört, wurde in den 1990er Jahren gegründet. Ihr gehören u.a. Polizisten, Juristen und Kriminologen an. Seit 2005 sammelt sie rechtswidrige Fälle von Polizeigewalt - aus Zeitungsberichten oder aufgrund direkter Informationen von Opfern von Polizeigewalt. Das Zahlenergebnis für 2008, wie es sich für amnesty international darstellt: ca. 800 Verfahren wegen Körperverletzungen allein bei der Polizei in Berlin, aber nur 2-3 Verurteilungen. In Sachsen gebe es jährlich zwischen 100 und 150 Verfahren gegen Polizeibeamte; in Hamburg dürfte es jährlich 300 Anzeigen gegen Polizeibeamte geben, jedoch sei es seit 2006 in Hamburg zu keiner Anklage mehr gekommen.


Beispiele von Polizeigewalt

Menzner präsentierte Diskussionsteilnehmern einen Video-Film, den ein zufällig vor Ort anwesender Zuschauer per Handy-Kamera aufgenommen hatte: Nach einem Fußballspiel in Berlin im Dezember 2008 ging ein Hundertschaftsführer auf einen am Rande stehenden Mann zu, der gerade telefonierte. Offensichtlich befahl der Beamte, das Handy abzustellen, als der Mann nicht reagierte, schlug der Beamte zu. Drei Wochen später wurde der Film veröffentlicht. Zu sehen war auch, dass das Geschehen von einem Kameramann der Polizei gefilmt wurde. Auch in anderen Fällen sei bekannt, dass Polizisten einfach zugeschlagen hätten. Dabei seien die Beamten aus Berlin für ihre härtere Gangart durchaus bekannt - auch bei Kollegen aus anderen Bundesländern.

Immer wieder muss die Staatsanwaltschaft Fälle von Körperverletzungsdelikten, die aufgrund von Polizeigewalt entstanden sind, einstellen. Sei es, weil sie in der Tat auf eine Mauer des Schweigens stößt (denn Polizisten ermitteln nur äußerst zurückhaltend gegen ihresgleichen), sei es, weil die Staatsanwaltschaft, die selbst auf die Polizei angewiesen und z.T. von ihr abhängig ist, als Korrektiv nicht funktioniert. Als Beispiel nannte Menzner einen Fall aus dem Jahre 2002, in dem ein 18jähriger Abiturient in der Nähe von Lübeck nach dem Besuch einer Diskothek von Polizeibeamten aufgegriffen wurde, weil er betrunken war. Die Beamten fuhren den jungen Mann 10 km weiter, setzten ihn aus. 70 Minuten später wurde er überfahren und war tot. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren ein. Erst nach einer Dienstaufsichtsbeschwerde und aufgrund eines Klageerzwingungsverfahrens muss sich das OLG Lübeck mit dem Fall auseinander setzen. Ein anderes Beispiel: Im September 2008 berichtete die Berliner Tageszeitung, dass in den Jahren 2006 und 2007 auf einer Wache in Ludwigsfelde (Brandenburg) mindestens 4 Personen misshandelt worden seien. Ein Polizeibeamter der Wache hat zwar ausgesagt, aber erst 2 Jahre später. Diese und andere Fälle, so Menzner, zeigen die Notwendigkeit der Institutionalisierung eines zusätzlichen externen Kontrollmechanismus gegenüber der Polizei auf.


UN und Europarat über den Gefahrenzeitpunkt von Polizeigewalt

Für den Zeitraum der Jahre 2000 bis 2007 haben die UN und der Europarat untersucht, wann (also zu welchen Zeitpunkten) die Gefahr von rechtswidriger Polizeigewalt (wie z.B. Einschüchterung oder Misshandlung) am größten ist. Sie sind dabei zu der Feststellung gekommen, dass dies insbesondere bei Festnahmen und im Zeitpunkt unmittelbar nach Freiheitsentziehungen der Fall sei. Rechtswidrige Polizeigewalt äußert sich danach vor allem

in Schlägen und Tritten gegen bereits überwältigte Personen,
in verbalen Beschimpfungen festgehaltener Personen,
in übermäßiger Gewaltanwendung bei Abschiebung,
im Zuge häufiger Kontrollen von ethnischen Minderheiten und Ausländern; hier ist die Beschwerdemacht der Betroffenen äußerst gering.


Neue Wege

amnesty international und der Humanistischen Union geht es nicht darum, die Polizei einseitig zu verurteilen. Menzner betonte in seinem Vortrag, dass die Polizei ein wichtiger staatlicher Ordnungsfaktor sei. Aber das würde nicht per se rechtswidriges Handeln rechtfertigen, es müsse vielmehr in jedem Zeitpunkt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben. Bisher sei es jedoch so, dass die Polizei sich nicht von außen in die Karten gucken und kontrollieren lasse. Warum in bestimmten Fällen der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt worden sei oder es zu rechtswidriger Gewaltanwendung komme, sei schwierig aufzuklären. Insgesamt sei die Aufklärungsarbeit eine mühselige Arbeit und jeweils abhängig davon, ob Opfer von Gewaltanwendungen bereit seien, den langen Weg durch die Gerichtsinstanzen zu gehen.

Beide Bürgerrechtsorganisationen, der Menschenrechtskommissar des Europäischen Rates aber auch einzelne Politiker und Wissenschaftler fordern seit Jahren die Einrichtung eines externen Mechanismus zur Kontrolle der Polizei auf Bundes- und Länderebene. Was für viele Staaten der EU-normal sei (z.B. in England, Nordirland, Belgien, Schweden, Norwegen und Ungarn), müsse auch in Deutschland gelten. Insbesondere der Europaratskommissar hatte 2006 anlässlich seines Besuchs in Deutschland gefordert, ein von Polizei, Staatsanwaltschaft und ministeriellen Strukturen unabhängigen Beschwerde- und Kontrollmechanismus aufzubauen. Dazu gehört eine eigenständige Institution, die über ein Akteneinsichtsrecht, ein Zutrittsrecht zu Diensträumen der Polizei, ein Verschwiegenheitsrecht, ein Recht auf eine eigene Öffentlichkeitsarbeit und ein Berichtsrecht an das Parlament verfügt. Zu einer unabhängigen und effektiven Kontrollinstanz gehören ferner deren rechtliche, räumliche, finanzielle und personelle Unabhängigkeit. Idealerweise, so sehen es Humanistische Union und amnesty international, sei ein Polizeibeauftragte zu schaffen, der ähnlich wie der Wehrbeauftrage direkt beim Parlament anzubinden sei.

Ein Polizeibeauftrager könnte auch ermitteln, warum sich Polizeibeamte nicht oder erst so spät offenbarten, warum es keine Beschwerde bzw. Anzeige der Opfer gegeben habe, warum die Leitung einer Polizeidienststelle nichts in Erfahrung habe bringen können, wie ein bestimmter Korpsgeist entstehen könne, der zu besagter Mauer des Schweigens führe. Als Problem könne sich auch erweisen: Die Überforderung der Beamten durch Dienstpläne und Dienststellenzusammensetzung oder auch Ausbildungsdefizite.

Mit diesen Forderungen und dem Anforderungsprofil an die Aufgaben eines solchen Polizeibeauftragten zeigt sich, dass Politik und Polizei nach Auffassung der Bürgerrechtsorganisationen aus den Fehlern der letzten Jahre endlich lernen müssen. So war die ehrenamtlich arbeitende Polizeikommission in Hamburg, die erste externe Polizeikontrolle auf deutschem Boden, deshalb nicht so erfolgreich, wie sie hätte sein können, weil sie nicht hinreichend ausgestattet war und vor allem weil sie, obwohl vom Parlament eingerichtet, weder von der Polizei akzeptiert noch vom Parlament (außer von den Grünen) mit der erforderlichen Nachhaltigkeit unterstützt wurde.

Nach dem Vorbild des Wehrbeauftragten erarbeitet die Humanistische Union zur Zeit einen idealtypischen Gesetzesvorlage für die Einrichtung eines Bundespolizeibeauftragten. Diese Vorlage, die wesentliche Elemente eines früheren Gesetzentwurfes der Internationen Liga für Menschenrechte übernimmt, kann auch als Muster für die erforderliche Schaffung von Polizeibeauftragten auf Länderebene dienen. Dabei werden die Erkenntnisse der letzten Jahre in konkrete Gesetzesform gegossen. Auch amnesty international leistet Überzeugungsarbeit in diese Richtung, zum Beispiel in Gesprächen mit Innenpolitikern auf Landesebene. Zusätzliches bürgerrechtliches Engagement auf allen Ebenen ist gefragt.


Kerstin Hinrichsen ist in der Humanistischen Union Hamburg aktiv.


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Quelle:
Mitteilungen der Humanistischen Union e.V.
Nr. 204, I - April 2009, S. 24-25
Herausgeber: Humanistische Union e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juni 2009