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RECHT/050: Erster Versuch der gesetzlichen Regelung von Patientenverfügungen (Mitteilungen)


MITTEILUNGEN Nr. 201, II - Juni 2008
Humanistische Union für Aufklärung und Bürgerrechte

Erster Versuch der gesetzlichen Regelung von Patientenverfügungen
Gesetzgebungsverfahren auf der Kippe - was kann die Humanistische Union tun?

Von Rosemarie Will


Am 26. Juni 2008 hat der Deutsche Bundestag in erster Lesung einen Gesetzentwurf zur Änderung des Betreuungsrechts beraten. [1] Der Entwurf will das Rechtsinstitut der Patientenverfügung im bürgerlichen Recht festschreiben (Paragraph 1901a Abs. 1 BGB). Nach der Sommerpause werden die Beratungen in den Bundestagsausschüssen erwartet, die 2. und 3. Lesung mit der Abstimmung über das Gesetz werden frühestens im späten Herbst stattfinden.

Dieser erste Versuch des Gesetzgebers, die Patientenverfügung gesetzlich zu regeln, ist längst überfällig. Es ist jedoch keineswegs ausgemacht, dass der Entwurf die erforderlichen Mehrheiten erreicht. Beim jetzt beratenen, so genannten Stünker-Entwurf, handelt es sich um einen gemeinsamen Vorschlag von 206 Abgeordneten von insgesamt 612 Mitgliedern des Bundestages. Das dürfte für die Mehrheit noch nicht reichen. Bisher haben den Entwurf 113 von 222 SPD-Abgeordneten, 43 von 61 FDP-Abgeordneten und jeweils 25 Abgeordnete der LINKEN und von Bündnis 90/Die Grünen (bei 53 bzw. 51 Fraktionsmitgliedern) unterschrieben. Die zur Mehrheitsbildung benötigten weiteren 100 Stimmen müssten aus den selben Fraktionen wie die Antragssteller gewonnen werden, da sich CDU/CSU massiv gegen eine allgemeine Verbindlichkeit von Patientenverfügungen wehren. Ob diese Mehrheit erreicht werden kann, ist noch offen.


Blockadepolitik

Nachdem das Parlament bereits im letzten Jahr über die gesetzliche Regelung der Patientenverfügung diskutierte, erwarteten Beobachter eine Debatte dreier Gesetzentwürfe. Die Abgeordneten Bosbach, Röspel u.a. hatten einen Gegenentwurf angekündigt, hinter dem vor allem die CDU/CSU-Fraktion und ein Teil der SPD-Fraktion stehen. Ihr Vorschlag sah eine strikte Reichweitenbegrenzung von Patientenverfügungen vor, die nur noch dann verbindlich sein sollten, wenn die Grunderkrankung bereits einen irreversiblen, tödlichen Verlauf genommen hat. Da in einem solchen Fall der Arzt ohnehin zur Sterbebegleitung verpflichtet ist, wäre eine Patientenverfügung in diesem engen Zeitfenster nahezu wirkungslos. Als dritten Entwurf hatte der Abgeordnete Strecker einen vermittelnden Vorschlag angekündigt. [2]

Ein Jahr nach der Eröffnungsdebatte und der Ankündigung der drei Gesetzentwürfe war die Geduld der Stünker-Fraktion offenbar aufgebraucht. Um die Verzögerungstaktik der Gegner einer gesetzlichen Regelung von Patientenverfügungen zu beenden, brachte Joachim Stünker seinen Entwurf ins Parlament ein und eröffnete damit das Gesetzgebungsverfahren. Theoretisch könnten die anderen Gruppierungen ihre Entwürfe noch ins laufende Gesetzgebungsverfahren einbringen und versuchen, dafür eine Mehrheit zu erringen. Ihre Erfolgsaussichten dafür sind eher als gering einzuschätzen. Umso wahrscheinlicher ist es, dass diese beiden Abgeordnetengruppen gegen den Stünker-Entwurf stimmen werden.

Damit zeichnet sich im Parlament eine Patt-Situation ab. Bekommt kein Entwurf die erforderliche Mehrheit, bleibt alles so wie es ist. Das bisher in der Bundesrepublik zur Patientenverfügung geltende Richterrecht gilt fort, aber dieses über viele Rechtsstreite entstandene Recht ist unübersichtlich, unzureichend und teilweise in sich widersprüchlich. Deshalb kommt es immer wieder zu Konflikten und langwierigen Rechtsstreitigkeiten. So wird wiederkehrend darüber gestritten, ob eine Patientenverfügung auch dann gilt, wenn die Grunderkrankung noch keinen irreversiblen tödlichen Verlauf genommen hat, wenn z.B. der Patient im Wachkomma liegt. Aber weder dem Sterbenden, ihren Nächsten noch den behandelnden Ärzten und Pflegern ist in dieser Situation Rechtstreit oder gar Rechtsverweigerung zuzumuten.

Neben der Realisierung von Fürsorge und Hilfe gegenüber dem Sterbenden gilt es, auch seine Rechtspositionen zu sichern und zu stärken. Es ist an der Zeit, endlich Klarheit über die Verbindlichkeit und Wirksamkeit von Patientenverfügungen durch eine gesetzliche Regelungen zu schaffen. Beim Streit um die gesetzliche Regelung geht es letztlich immer um die Stärkung grundrechtlicher Positionen, um die Sicherung der Selbstbestimmung und der Würde der Patienten, Pflegebedürftigen und Sterbenden. Obwohl Patientenverfügungen - auch dank der Humanistischen Union - in den letzten Jahrzehnten immer populärer und wichtiger geworden sind, fehlt es bis heute an einer gesetzlichen Regelung. Der Gesetzgeber ist bisher blind geblieben vor dem existenziellen Problem des Sterbens. In der Politik wird das Thema Sterben nach wie vor am liebsten tabuisiert. Dieses Tabu muss endlich mit gesetzlichen Regelungen zum Thema Sterbehilfe/Patientenverfügung gebrochen werden, damit in der Gesellschaft neben den individuellen Vorstellungen über den eigenen Tod auch Rechtsicherheit über die Rechte des Sterbenden und die Pflichten der ihn dabei Begleitenden entsteht. Die gesetzliche Anerkennung der Bindungswirkung von Patientenverfügungen ist ein wichtiger Schritt dafür.


Was bringt der Stünker-Entwurf?

Der Entwurf stellt zunächst einmal klar, dass die in der Patientenverfügung getroffenen Entscheidungen über die Durchführung oder Verweigerung bestimmter ärztlicher Maßnahmen nach dem Eintritt der Einwilligungsunfähigkeit des Betreuten fortgelten. Darüber hinaus verpflichtet er den Betreuer, den in einer Patientenverfügung geäußerten Willen durchzusetzen. Anders als bisher soll es keiner eigenen Entscheidung des Betreuers über die Zustimmung oder Ablehnung einer anstehenden ärztlichen Behandlung mehr bedürfen. Der Betreuer hat dann vielmehr für die Durchsetzung der vom Betreuten bereits getroffenen Entscheidung Sorge zu tragen.

Die größte Leistung dieses Entwurfes besteht sicherlich darin, dass er keine Reichweitenbeschränkung für die Geltung einer Patientenverfügung vornimmt. Bei Äußerungsunfähigkeit soll der in einer Patientenverfügung niedergelegte Wille unabhängig vom Krankheitsstadium gelten (Paragraph 1901a Abs. 1 BGB). Insoweit könnte der Gesetzentwurf jene Irritationen ausräumen, die nach dem Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 17. März 2003 entstanden sind. Für das Verlangen des Betreuers, eine medizinische indizierte Behandlung nicht durchzuführen oder einzustellen, sei auch dann Raum, wenn das Grundleiden des Betroffenen noch keinen irreversibel tödlichen Verlauf angenommen hat und durch die Behandlung das Leben des Betroffenen erhalten oder verlängert werden könnte.

Darüber hinaus bindet der Gesetzentwurf mit Absatz 4 des vorgeschlagenen Paragraph 1901a BGB auch den Bevollmächtigten an den in einer Patientenverfügung niedergelegten Willen. Mit den vorgeschlagenen Änderungen von Paragraph 1904 wird zudem die Einschaltung des Vormundschaftsgerichts klar geregelt: Zustimmungspflichtige Entscheidungen des Betreuers werden auf die Konfliktfälle zwischen ihm und dem Arzt beschränkt. Nach dem vorgeschlagenen Absatz 3 soll das Vormundschaftsgericht die Genehmigung erteilen, wenn die Entscheidung des Betreuers dem Patientenwillen entspricht. Nach Paragraph 1904 Abs. 5 BGB soll Entsprechendes für Entscheidungen des Bevollmächtigten gelten.

Mit der Einführung der Patientenverfügung als Rechtsinstitut im Betreuungsrecht wird, dies sollte nicht verkannt werden, verbindlich festgelegt, wer bei Entscheidungsunfähigkeit eines Patienten die Entscheidung über die Durchführung und die Fortdauer einer ärztlichen Behandlung treffen kann, von wem eine in einer Patientenverfügung getroffene Entscheidung durchgesetzt werden soll, wer daran gebunden ist und wann das Vormundschaftsgericht eingeschaltet werden muss. Dies wäre ein Fortschritt zur bisherigen, ausschließlich durch Richterrecht geprägten unübersichtlichen Situation und wird deshalb von der Humanistischen Union begrüßt und unterstützt.

Leider beschränkt sich der Stünker-Entwurf auf die beschriebenen zivilrechtlichen Regelungen. Er bleibt damit nicht nur hinter unseren Erwartungen, sondern auch hinter schon lange in der Öffentlichkeit diskutierten Entwürfen - insbesondere denen der so genannten Kutzer-Kommission (interdisziplinäre Arbeitsgruppe des Bundesministeriums für Justiz 2004) - zurück. Im Unterschied zum Vorschlag der Kutzer-Kommission verschlechtert der im Bundestag eingebrachte Entwurf die Stellung des selbst ausgewählten Bevollmächtigten. Außerdem verzichtet er durch seine Beschränkung auf zivilrechtliche Regelungen im Betreuungsrecht auf jene längst überfälligen Klarstellungen im Strafrecht, wie sie die Kutzer-Kommission vorgeschlagen hatte und die auch der Deutsche Juristentag 2006 mit großer Mehrheit befürwortete. Der Gesetzesvorschlag der Humanistischen Union, den wir auf unserer Delegiertenkonferenz 2007 diskutiert und beschlossen haben, geht in dieser Hinsicht ebenfalls weiter. Wir fordern eine allgemeine Anerkennung der Patientenverfügung auch außerhalb des Betreuungsverhältnisses und eine strafrechtliche Klarstellung der bereits erlaubten passiven und indirekten Sterbehilfe sowie eine gesetzliche Einführung der aktiven Sterbehilfe.


Wie können wir eine Kampagne zu Patientenverfügung und Sterbehilfe führen?

Die Delegiertenkonferenz hat den Bundesvorstand aufgefordert, eine Kampagne zum Thema Patientenverfügung/Sterbehilfe zu entwickeln. Wir sind uns seit langem im Bundesvorstand darüber einig, dass wir das Gesetzgebungsverfahren zur Patientenverfügung zum Anlass für eine Kampagne nehmen wollen. Dabei ist uns klar, dass eine Kampagne mehr ist als das übliche Agieren des Bundesvorstandes zu einem unserer Sachthemen. Eine erfolgreiche Kampagne muss von der Mitgliedschaft insgesamt getragen und durchgeführt werden und sie muss relevante Bevölkerungsschichten und Politiker erreichen. Das gab es in der Humanistischen Union schon lange nicht mehr. Ob wir es jetzt schaffen können, hängt von vielerlei ab, so auch von der Popularität des Themas und vom Einsatz unser Mitglieder.

Das Thema Sterbehilfe/Patientenverfügung scheint uns in besonderer Weise kampagnefähig zu sein: Fragen nach der Selbstbestimmung am Lebensende schlagen nicht nur immer wieder hohe mediale Wellen, sondern beschäftigen viele Menschen, letztlich alle.

So stellt sich die Frage: Wie packen wir es an? Um möglichst viele Menschen und zugleich auch relevante Politiker zu erreichen, sollten wir gezielt am Gesetzgebungsverfahren entlang operieren. Dabei sollten wir mit den Informationen über das Gesetzgebungsverfahren zugleich unseren eigenen Entwurf bekannt machen. Da die politische Berichterstattung vor allem aus der parlamentarischen Perspektive erfolgen wird, müssen wir unsere Kritik außerhalb des gängigen Nachrichtenstromes platzieren. Wir haben deshalb überlegt, wie und wo wir unsere Informationen zum Thema am besten publizieren können. Angesichts der "Lebensnähe" des Themas halten wir die ratgeberorientierten, kostenlos verteilten Wochenzeitschriften für ein ideales Medium. Diese Blätter haben eine enorme Breitenwirkung und sprechen vor allem Menschen an, die selten den politischen Teil einer Tageszeitung lesen. Wir werden deshalb eine ratgeberorientierte Darstellung unserer Positionen entwickeln, die wir solchen Zeitschriften anbieten.

Und nicht zuletzt sind auch Sie, unsere Mitglieder, gefragt: Wir werden in Kürze auf unserer Webseite ein Flugblatt zur Verfügung stellen, dass sowohl über den Stünker-Entwurf als auch über unsere eigenen Vorschläge informiert. Das Flugblatt kann bei öffentlichen Veranstaltungen der Bundestagsabgeordneten in ihrem Wahlkreis verteilt und erläutert werden. Abgeordnete, die gegen das Gesetz stimmen wollen, sollten öffentlichkeitswirksam zur Stellungnahme in ihrem Wahlkreis aufgefordert werden. Wo man so etwas sinnvoll verteilen bzw. auch ankleben kann, wissen Sie am besten. Daneben sollten Sie jede Möglichkeit nutzen, in Ihrem Umfeld auf die HU-Positionen zum Thema aufmerksam zu machen. Das kann beispielsweise durch eine Mailsignatur geschehen, die Sie jeder verschickten Nachricht anhängen.

Eine erfolgreiche Kampagne zur Patientenverfügung/Sterbehilfe werden wir nur erreichen, wenn möglichst viele HU-Mitglieder und Ortsverbände in dieser Weise auftreten. Wir sollten ausprobieren, ob wir kampagnefähig sind.


Rosemarie Will lehrt öffentliches Recht an der Humboldt-Universität zu Berlin und ist Bundesvorsitzende der Humanistischen Union.


Anmerkungen:

[1] Joachim Stünker et al., Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts. Gesetzentwurf vom 6.3.2008, BT-Drs. 16/8442, abrufbar unter:
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/084/ 1608442.pdf

[2] Ein Vergleich der drei Gesetzentwürfe findet sich auf den Seiten des Bundesministeriums für Justiz unter
http://www.bmj.de/files/-/2514/Synopse%20Positionen%203%20GE.pdf


Die Patientenverfügung der Humanistischen Union, unser eigener Gesetzentwurf sowie weitere Hintergrundinformationen zum Thema finden sich unter:
http://www.humanistische-union.de/shortcuts/patientenverfuegung/


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Quelle:
Mitteilungen der Humanistischen Union e.V.
Nr. 201, II - Juni 2008, S. 15-17
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. August 2008