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FREE GAZA/096: Weltweites Entsetzen (jW)


junge Welt - Die Tageszeitung - Ausgabe vom 1. Juni 2010

Weltweites Entsetzen

Israelischer Seeangriff auf Free-Gaza-Hilfstransport
übertrifft schlimmste Befürchtungen. Sorge um Gefangene

Von Claudia Wangerin


Friedens- und Menschenrechtsorganisationen haben am Montag in zahlreichen Ländern mit Protestaktionen auf den Überfall der israelischen Armee auf die »Free Gaza«-Solidaritätsflotte reagiert. In mehreren europäischen Städten fanden Mahnwachen vor israelischen Vertretungen statt, so auch in Berlin, Rom und Dublin. Die israelische Friedensbewegung plant für das Wochenende eine zentrale Protestkundgebung in Tel Aviv.

Die Internationale Liga für Menschenrechte sprach von einem »todbringenden Piratenakt der israelischen Streitkräfte«. Sie forderte die Bundesregierung auf, »von der israelischen Regierung ultimativ den sofortigen Zugang zu den gekidnappten deutschen Delegationsmitgliedern zu erwirken - in Absprache mit den anderen Regierungen, deren Bürgerinnen und Bürger von den israelischen Behörden entführt wurden«.

Als schwerwiegenden Bruch internationalen Rechts und als eine brutale Menschenrechtsverletzung verurteilte das globalisierungskritische Netzwerk ATTAC den Überfall israelischer Kommandoeinheiten auf den humanitären Hilfstransport für den Gazastreifen mit zahlreichen Toten und Verletzten. Das Schicksal der ATTAC-Mitglieder an Bord war bei Redaktionsschluß noch ebenso ungewiß wie die genaue Zahl der Toten und das Schicksal der Bundestagsabgeordneten Inge Höger und Annette Groth (Die Linke). Ihr ehemaliger Fraktionskollege, der Völkerrechtler Norman Paech, der sich ebensfalls an Bord des türkischen Passagierschiffes »Marmara« befand, gehört dem wissenschaftlichen Beirat von ATTAC an.

Die Friedensorganisation IPPNW (Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges/Ärzte in sozialer Verantwortung) sorgt sich um ihr Mitglied Matthias Jochheim. Der 61jährige Allgemeinarzt und Psychotherapeut war auf den von israelischen Soldaten gestürmten Schiffen. Er benötigt regelmäßig Medikamente. IPPNW-Sprecher Jens-Peter Steffen äußerte am Montag in Berlin die Befürchtung, sie könnten ihm bei der Inhaftierung abgenommen worden sein. Steffen verlangte die Freilassung aller Gefangenen und eine internationale Untersuchungskommission. Die israelische Armee habe den Tod von Zivilisten billigend in Kauf genommen. »Der völkerrechtswidrige Angriff von israelischen Eliteeinheiten auf die Schiffe ist eine unverantwortliche Eskalation«, erklärt die IPPNW-Vorsitzende Dr. Angelika Claußen.

Eine Sprecherin der Friedensorganisation Pax Christi betonte, unter den rund 700 Aktivistinnen und Aktivisten seien mehrere Personen hohen Alters, die sich seit Jahrzehnten für Frieden und Gerechtigkeit engagierten und trotz der Strapazen die Reise auf sich genommen hätten.

Die friedenspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Deutschen Bundestag, Christine Buchholz, verlangte von der Bundesregierung eine klare Verurteilung des Angriffs. Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) hatte sich zuvor lediglich »tief besorgt« geäußert. »Die türkische Regierung hat deutlichere Worte gefunden«, betonte Buchholz.

Der Bundesausschuß Friedensratschlag erklärte, die seit vier Jahren praktizierte Abriegelung des Gazastreifens verstoße nicht nur gegen die Genfer Konventionen, sondern auch gegen alle Prinzipien der Humanität. »Piraterie und Mord sind Verbrechen, die auch dann bestraft werden müssen, wenn sie von befreundeten Regierungen begangen werden«, so Peter Strutynski. »Deshalb fordern wir von der Staatengemeinschaft, insbesondere von der EU, die israelischen Verstöße gegen Völkerrecht und Menschenrechte nicht weiter tatenlos hinzunehmen.« Die EU müsse über wirkungsvolle Sanktionen nachdenken und auch bereit sein, sie zu verhängen.


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Quelle:
junge Welt vom 01.06.2010
mit freundlicher Genehmigung der Autorin und der Redaktion
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Juni 2010