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AUFRUF/001: Türkei - nach Beendigung des Hungerstreiks muss der Dialog gesucht werden (ILMR)


Internationale Liga für Menschenrechte - 23. November 2012

Türkei und die kurdische Frage
Nach Beendigung des Hungerstreiks muss der Dialog gesucht werden

Hungerstreik kurdischer politischer Gefangener beendet - Forderungen weiterhin berechtigt - Türkische Regierung muss jetzt auch den Dialog mit der PKK und Abdullah Öcalan suchen



Am 18. November beendeten mehrere tausend kurdische politische Gefangene ihren Hungerstreik, nach einer diesbezüglichen Aufforderung Abdullah Öcalans. Ein Teil von ihnen verweigerte für 68 Tage die Nahrungsaufnahme. Am 12. September hatten in der Türkei 63 kurdische politische Gefangene mit einem unbefristeten Hungerstreik begonnen, dem sich kurz darauf mehr als 600 Inhaftierte anschlossen. Seit Anfang November beteiligten sich weitere tausende kurdische politische Gefangene sowie ein Teil der Parlamentsfraktion der Demokratischen Friedenspartei BDP und mehrere BürgermeisterInnen an dieser Aktionsform. Der Hungerstreik erfuhr international als auch von nichtkurdischen linken Oppositionellen in der Türkei eine breite Unterstützung. Wir sind sehr froh, dass niemand der beteiligten Menschen gestorben ist und hoffen, dass sie schnell wieder zu Kräften kommen und genesen. Ein in diesem Ausmaß und dieser Intensität durchgeführter Hungerstreik darf nicht ohne Auswirkung bleiben. Die Beendigung dieser Form des Widerstands sollte vielmehr als wertvolle Möglichkeit zum Beginn eines ernstgemeinten Friedensdialogs erkannt werden.

Die Forderungen der Hungerstreikenden sind nach wie vor akut und legitim. Sie stehen mit dem Völkerrecht und den Menschenrechten im Einklang. Die geforderte Demokratisierung der Türkei, die Garantie der Einhaltung des Völkerrechts und der Menschenrechte, die Aufhebung der mehr als 460 Tagen andauernden Isolation von Abdullah Öcalan, auch von seinen AnwältInnen, und dessen Freilassung sowie das Recht auf Unterricht sowie Verteidigung vor Gericht in der Muttersprache - all dies sollte Bestandteil des nun zu eröffnenden Dialogs sein. Eine friedliche Lösung der kurdischen Frage kann ohnehin nur in einem Dialog aller beteiligten Konfliktparteien gefunden werden. Das wissen wir aus mehreren internationalen Konflikten, wie z. B. in Südafrika. Abdullah Öcalan spielt dabei eine zentrale vermittelnde Rolle. Das macht die umgehende Reaktion auf seine Aufforderung, den Hungerstreik zu beenden und statt dessen die geforderten Rechte durch politische Intervention außerhalb der Gefängnisse durchzusetzen, deutlich.

Die Gesetzesinitiative der AKP zum Gebrauch der kurdischen Sprache vor Gericht kann in diesem Zusammenhang nicht als ernsthaftes Zugeständnis bezeichnet werden. Kurdisch soll demzufolge lediglich zur Anklageerhebung und für eine Einlassung zugelassen werden können, wenn eine Richterin oder ein Richter dies willkürlich so entscheidet.

Die Menschenrechtslage in der Türkei bleibt dramatisch: Insgesamt wurden seit 2009 etwa 9.000 kurdische PolitikerInnen, ParlamentarierInnen, BürgermeisterInnen, AnwältInnen, JournalistInnen, MenschenrechtlerInnen, Feministinnen und GewerkschafterInnen unter der Regierung Recep Tayyip Erdog(an inhaftiert. Die Repression richtet sich zunehmend auch gegen andere linke oppositionelle PolitikerInnen, die sich mit der kurdischen Bewegung solidarisieren oder anderweitig regierungskritisch äußern. Die Regierungspolitik der AKP ist zunehmend rassistisch und autokratisch. Fast jeden Tag finden Militäroperationen in den kurdischen Provinzen des Landes statt, oft auch völkerrechtswidrig im Nordirak.

Das gravierende Unrecht muss sofort beendet werden. Ein sofortiger Waffenstillstand kann weiteres Blutvergießen verhindern. Die Hungerstreikenden haben sich mit ihrer Gesundheit und ihrem Leben für den Beginn eines Dialogs eingesetzt. Die verantwortlichen PolitikerInnen in der Bundesrepublik und der EU müssen sich jetzt für Verhandlungen zwischen der türkischen Regierung, der PKK und Abdullah Öcalan einsetzen, wie sie bis Juni 2011 in Oslo und auf I.mral? stattgefunden hatten. Es ist höchste Zeit einen ernstgemeinten langfristigen und beständigen Friedensprozess zu beginnen, an dem auch die Kurdenpartei BDP beteiligt wird.

Prof. Dr. Norman Paech, Völkerrechtler, ehem. MdB
Dr. med. Gisela Penteker, IPPNW
Dr. Rolf Gössner, Rechtsanwalt, Publizist, Vizepräsident der ILMR Internationale Liga für Menschenrechte (www.ilmr.de) Dr. Peter Strutynski, Friedensforscher
Dr. Werner Ruf, Friedensforscher
Dr. med. Gerhard Garweg
Maria Garweg, Menschenrechtlerin
Hartmut Drewes, Pastor i.R.
Feleknas Uca, ehem. Europaparlamentarierin Die Linke
Antje Steinberg, Lehrerin GEW
Emin Akbas, Lehrer
Britta Eder, Rechtsanwältin
Martin Dolzer, Soziologe
Michael Knapp, Historiker
Dr. Ernst Busche, Bremer Friedensforum
Wieland von Hodenberg, Autor, Bremer Friedensforum
Eva Böller, Bremer Friedensforum
Jürgen Karbe, Bremer Friedensforum
Barbara Heller, Bremen
Diether Dehm, MdB Die Linke, Mitglied im Vorstand der EL (EuropäischeLinke)
Inge Höger, MdB Die Linke
Andrej Hunko, MdB Die Linke, Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarats
Ulla Jelpke, MdB Die Linke

Wer ebenfalls unterzeichnen möchte, wende sich bitte an:
Martin Dolzer: dolzer.martin@googlemail.com

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Quelle:
Internationale Liga für Menschenrechte
Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin
Telefon: 030 - 396 21 22, Fax: 030 - 396 21 47
E-Mail: vorstand@ilmr.de
Internet: www.ilmr.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. November 2012