Schattenblick → INFOPOOL → BÜRGER/GESELLSCHAFT → MEINUNGEN


OFFENER BRIEF/063: Atomwaffenverbot - Deutschland soll an UN-Verhandlungen teilnehmen (IPPNW)


IPPNW-Pressemitteilung vom 21. März 2017
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges,
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW), Sektion Deutschland

NGOs fordern: Deutschland soll an UN-Verhandlungen teilnehmen

Atomwaffenverbot


Die Bundesregierung soll sich an den UN-Verhandlungen über ein Atomwaffenverbot beteiligen, das fordert die Ärzteorganisation IPPNW gemeinsam mit anderen Nichtregierungsorganisationen in einem offenen Brief an Außenminister Sigmar Gabriel. Ab 27. März 2017 werden Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen in New York über einen Verbotsvertrag verhandeln. Die Bundesregierung hatte angekündigt, dass Deutschland diesen Verhandlungen fernbleibt.

Unterzeichnet ist der Brief von den Friedensorganisationen DFG-VK, ICAN, IPPNW, Ohne Rüstung Leben und Pax Christi, den Entwicklungsorganisationen Medico International und Oxfam sowie der Umwelt- und Menschenrechtsorganisation Urgewald. Sie kritisieren die Entscheidung in einem Brief an Außenminister Sigmar Gabriel: "Der Boykott von multilateralen Verhandlungen zu einem Atomwaffenverbot schadet der Glaubwürdigkeit der Bundesrepublik im Bereich der nuklearen Rüstungskontrolle." Diese Haltung sei mit dem außenpolitischen Selbstverständnis Deutschlands als fördernde Kraft von Völkerrecht und Frieden nicht vereinbar. Die Gruppe hofft nun, dass Gabriel die ablehnende Haltung aufgibt.

Dr. Alex Rosen, stellvertretender Vorsitzender der deutschen IPPNW, hob den Gesundheitsaspekt vor: "Die humanitären Folgen von Atomwaffen für die Zivilbevölkerung sind so grausam und weitreichend, dass ihr Einsatz immer einen massiven Verstoß gegen das Völkerrecht bedeutet. Atomwaffen abschussbereit zu stationieren bedeutet, anderen Ländern schwere Kriegsverbrechen anzudrohen. Deswegen müssen Atomwaffen geächtet werden."

Im vergangenen Jahr hat eine überwältigende 2/3-Mehrheit der Staatengemeinschaft für Verbotsverhandlungen gestimmt. Deutschland boykottiert, gemeinsam mit den USA, anderen NATO-Staaten und Russland jeden Fortschritt in Richtung einer Ächtung. Dabei würde mit einem Verbot endlich eine Lücke im Völkerrecht geschlossen: Nuklearwaffen sind die einzigen Massenvernichtungswaffen, die noch nicht völkerrechtlich geächtet werden.

Auf der Welt gibt es noch fast 15.000 Atomwaffen, von denen etwa 1.800 ständig einsatzbereit sind und innerhalb weniger Minuten abgefeuert werden können. In dem offenen Brief heißt es: "Atomwaffen sind eine der größten Bedrohungen für die Menschheit und unseren Planeten" und "es wäre gerade heute unverantwortlich, sich darauf zu verlassen, dass es einen verantwortungsbewussten Umgang mit diesen Waffen geben kann."

*

OFFENER BRIEF

ICAN Deutschland e.V. - Puschkinallee 5 -12435 Berlin

Sigmar GABRIEL
Bundesminister des Auswärtigen
Auswärtiges Amt
Werderscher Markt 1
10117 Berlin

Deutschlands Weigerung zu Verhandlungen über ein Atomwaffenverbot in 2017

Berlin, 02. März 2017

Sehr geehrter Herr Minister Gabriel,

am 23. Dezember 2016 hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen mit überwältigender Mehrheit dafür gestimmt, in 2017 Verhandlungen zu einem Atomwaffenverbot zu beginnen. Deutschland hat bei dieser Abstimmung gegen die Annahme der Resolution L.41 gestimmt, die den Weg für diesen Prozess ebnet. Die Bundesregierung hat darüber hinaus angekündigt, den am 27. März 2017 beginnenden Verhandlungen fern zu bleiben und bildet zusammen mit vier der insgesamt neun Atomwaffenstaaten einen Block gegen jeden Fortschritt in Richtung Ächtung.

Diese auf den nuklearen status quo ausgerichtete Strategie ist zugleich Ausdruck der Verdrängung eines sich weltweit vollziehenden geopolitischen Wandels. Damit schränkt die Bundesregierung ihren außenpolitischen Handlungsspielraum empfindlich ein, ebenso wie ihr Potential, diesen Wandel im Interesse Deutschlands und im Sinne einer friedlichen und gerechten Weltordnung für die Zukunft mitzugestalten.

Atomwaffen sind die einzigen Massenvernichtungswaffen, die noch nicht völkerrechtlich verboten sind. Ihre Ächtung wäre ein wichtiger Schritt, um diese völkerrechtliche Lücke zu schließen, die nukleare Abrüstung voranzutreiben und sich dem Ziel einer atomwaffenfreien Welt zu nähern. Dies gilt auch, wenn nicht alle Staaten diesen Schritt von Anfang an mitgehen.

Die Bundesregierung begründet ihre Verweigerung von Verhandlungen damit, dass die Atomwaffenstaaten nicht einbezogen seien und der Nichtverbreitungsvertrag (NVV) Ausgangspunkt eines Atomwaffenverbotes sein müsste. Der Verhandlungsprozess steht jedoch allen Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen, einschließlich der Atomwaffenstaaten und ihren Alliierten offen. Die Absicht, Atomwaffen völkerrechtlich zu ächten ist darüber hinaus im NVV selbst verankert. Wenn sich die Bundesregierung mit Ernsthaftigkeit um die Einbettung eines Atomwaffenverbotes in die bestehende Rüstungskontrollarchitektur und die Kompatibilität mit dem NVV sorgt, muss sie sich für entsprechende Lösungen am Verhandlungstisch einsetzen.

Herr Minister, der Boykott von multilateralen Verhandlungen zu einem Atomwaffenverbot schadet der Glaubwürdigkeit der Bundesrepublik im Bereich der nuklearen Rüstungskontrolle und widerspricht ihrem souveränen Anspruch, mehr globale Verantwortung zu übernehmen. Die aktuelle Haltung der Bundesregierung ist mit dem außenpolitischen Selbstverständnis Deutschlands als fördernde Kraft des Völkerrechts und einer friedensstiftenden Weltordnung nicht vereinbar.

Atomwaffen sind eine der größten Bedrohungen für die Menschheit und unseren Planeten. Noch immer gibt es ca. 14 900 Atomwaffen, von denen rund 1 800 ständig einsatzbereit sind und binnen Minuten abgefeuert werden können. Ihre im Ausmaß unbeherrschbare Zerstörungskraft sowie die katastrophalen humanitären und ökologischen Auswirkungen ihres Einsatzes verbieten auch, im Rahmen einer Abschreckungspolitik mit Atomwaffen zu drohen oder die eigene Sicherheitspolitik auf Nuklearwaffenarsenale zu gründen. Es wäre gerade heute unverantwortlich, sich darauf zu verlassen, dass es einen verantwortungsbewussten Umgang mit diesen Waffen geben kann.

Wir fordern Sie, Herr Minister, daher eindringlich dazu auf

  • die harte und ablehnende Haltung Deutschlands gegen ein Atomwaffenverbot aufzugeben
  • an den im März, Juni und Juli 2017 stattfindenden Verhandlungen teilzunehmen
  • hierbei eine konstruktive Rolle einzunehmen und sich für eine mit dem Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag vereinbare völkerrechtliche Lösung einzusetzen.

Wir appellieren an Sie und die Bundesregierung, im Geist des Multilateralismus einen positiven Beitrag zur Normbildung und Weiterentwicklung des Völkerrechts zu leisten.

Für ein weiterführendes Gespräch stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.

Roland Blach, Landesgeschäftsführer
DFG-VK Baden-Württemberg e.V.

Sascha Hach, Geschäftsführender Vorstand
ICAN Deutschland e.V.

Alex Rosen, Vorstand
IPPNW Deutschland e.V.

Thomas Gebauer, Geschäftsführer
medico international e.V.

Paul Russmann, Geschäftsführer
Ohne Rüstung Leben e.V.

Marion Lieser, Geschäftsführerin
Oxfam Deutschland e.V.

Horst-Peter Rauguth, Geistlicher Beirat
pax christi Deutsche Sektion e.V.

Barbara Happe, Leiterin Büro Berlin
urgewald e.V.


Der offene Brief an Außenminister Sigmar Gabriel ist als PDF-Datei zu finden unter:
http://www.icanw.de/wp-content/uploads/2017/03/20170302_Brief_Gabriel_final.pdf

Antworten auf häufige Fragen zu den Verbotsverhandlungen finden Sie hier:
https://nuclearban.de/die-konferenz/

*

Quelle:
Pressemitteilung vom 21. März 2017
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges,
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW), Sektion Deutschland
Körtestr. 10, 10967 Berlin
Tel. 030/69 80 74-0, Fax: 030/69 38 166
E-Mail: ippnw@ippnw.de
Internet: www.ippnw.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. März 2017

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang