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STANDPUNKT/492: WSF 2022 - Die Rezeptur zur Verbesserung der internationalen Solidarität (Pressenza)


Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin

WSF 2022: Die Rezeptur zur Verbesserung der internationalen Solidarität

von Rhita Harim, Mitglied des internationalen Kollektivs frankophoner Jugend auf dem Weltsozialforum 2022 vom 1. bis 6. Mai in Mexiko Stadt



Junge Podiumsteilnehmer:innen sitzen an einem Schreibtisch, über ihnen ein an die Wand projeziertes Schaubild, vor ihnen Stuhlreihen mit Zuhörer:innen. - Bild: Rhita Harim

Bild: Rhita Harim

Pressenza IPA, 07.05.22 - "Sie werden sich sicher fragen, was das Weltsozialforum (WSF) ist. Um ehrlich zu sein, habe ich das erst in den letzten Monaten herausgefunden. Eine einzige Tagung zum Thema 'Erneuerung der internationalen Solidarität und der Formen des Internationalismus im Angesicht von vielfältigen Krisen', am Montag, den 2. Mai 2022, um 11 Uhr, genügte mir, um nicht nur die Essenz dieser Bewegung, ihren Ursprung und ihre Mängel zu verstehen, sondern vor allem ihre Bedeutung".

Der Workshop begann mit der eindringlichen Aussage: "Soziale Ungerechtigkeiten sind keine Ländersache, sie sind internationale Angelegenheiten." Dieser Satz mag für manche trivial klingen, doch die anschließende Diskussion, die drei Stunden andauerte, war grundlegend. Denn sie ermöglichte uns, allmählich das Ziel, dass "eine andere Welt möglich ist", zu erreichen. Nach den Beiträgen von hervorragenden aktivistischen Redner*innen stellte sich eine ideale Rezeptur für eine bessere Internationalisierung von sozialen Krisen aller Art heraus, die ich hier zusammenfassen möchte.

Zunächst basiert die Internationalisierung von Krisen auf der internationalen Solidarität aller Akteur*innen der Zivilgesellschaft, die im horizontalen Verhältnis zueinander stehen. Warum horizontal? Denn das Gegenteil würde ein krankhaftes und neokoloniales Verhältnis fördern, in dem die unterdrückten Völker abermals durch die Diskurse ihrer Unterdrücker zensiert würden. Außerdem muss sie die Prinzipien der Nicht-Einmischung und des Nicht-Eingreifens einhalten, die die beiden Leitprinzipien der internationalen Gemeinschaft sind.

Ein wesentliches Element zur Herstellung einer größeren internationalen Solidarität besteht darin, nicht für andere zu sprechen, sondern zuzuhören und als Verbündete zu handeln. Die internationale Solidarität ist keine Utopie, sie ist notwendig und unerlässlich. Damit sie wirksam ist, dürfen die Stimmen derer, die über lange Zeit zensiert worden sind, nicht durch sie ersetzt werden. Jedoch bedarf es Vorsicht in unserem "Solidarisch-" und "Verbündetsein", um nicht in die "weiße Unterstützung" und "Wohltätigkeit" zu verfallen, wie Mamadou, ein Redner aus Burkina Faso, sagen würde. Tatsächlich sagte er weiter, dass die "Worte" der Weißen die "Worte" und die "Übel" der unterdrückten Völker nicht ersetzen dürften. Es geht also tatsächlich darum, es Nationen zu ermöglichen, ihre Beziehungen und Handlungen zu automatisieren und ihre eigenen Lösungen zu entwickeln.

Da ein Anliegen nicht nur national ist, so müssen alle Anliegen die internationale Gemeinschaft als Ganzes zum Handeln anregen und zwar auf Augenhöhe. Das beste Beispiel für diese Doppelzüngigkeit ist wahrscheinlich der aktuelle Krieg zwischen der Ukraine und Russland. Während sich die EU und die westlichen Akteur*innen in weniger als einen paar Tagen mobilisierten, werden andere Länder, die sich seit etlichen Jahren in einem Konflikt befinden, vergessen. Nehmen wir den Fall der syrischen Revolution oder der palästinensischen Befreiung. Muss die internationale Gemeinschaft unverzüglich handeln, um das Selbstbestimmungsrecht dieser Völker zu schützen? Natürlich! Die internationale Gemeinschaft darf nicht nur anprangern, wenn es sich um Konflikte zwischen Weißen handelt oder, wenn die Zukunft der EU auf dem Spiel steht.

All diese schönen Überlegungen haben Wellen in meinem Kopf geschlagen und nach dieser so fruchtbaren Tagung in Bezug auf Erkenntnisse und zwischenmenschlichen Austausch, sehe ich mich gezwungen, mir einige Fragen zu stellen. Die erste ist eng verbunden mit meiner Motivation, am WSF teilzunehmen, nämlich der Rolle des Rechts bei der Internationalisierung von Kämpfen. Wenn internationale Gremien ausreichen würden, um all jene Themen zu behandeln, an die Sie denken, dann hätten wir natürlich nicht seit 2001 auf dem Weltsozialforum tagen müssen.

Mein zweiter Gedanke bezog sich vor allem auf die Zukunft des WSF und den Zweck des Austausches, der entsteht. Wenn die internationale Politik, ich würde sogar sagen, das internationale Recht, nicht in der Lage ist, auf die lautstarken Bedürfnisse der Zivilgesellschaften auf der ganzen Welt zu reagieren, sollte das WSF dann diese politische Rolle übernehmen und uns ermöglichen, eine einflussreiche Stimme zu haben?

Mit dieser Überlegung verabschiede ich mich.


Die Übersetzung aus dem Spanischen wurde von Linda Michels vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt.


Der Text steht unter der Lizenz Creative Commons 4.0
http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/

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Quelle:
Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin
Reto Thumiger
E-Mail: redaktion.berlin@pressenza.com
Internet: www.pressenza.com/de

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 21. Mai 2022

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