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STELLUNGNAHME/014: Berliner Erklärung zum Antisemitismusdiskurs (Gerhard Schoenberner)


Berliner Erklärung

von Gerhard Schoenberner, 25. Mai 2012



Als Historiker und Autoren, die sich eine gewissenhafte Aufklärung über das NS-Regime und seinen mörderischen Rassismus zur Aufgabe gemacht haben, beobachten wir seit längerer Zeit mit wachsender Sorge eine bedenkenlose Instrumentalisierung dieser Geschichtsperiode für aktuelle politische Zwecke. Willkürliche Vergleiche mit Personen und Parolen des "Dritten Reiches" werden immer wieder benutzt, um dem eigenen Standpunkt Nachdruck zu verleihen und den Kontrahenten moralisch zu erledigen. Die Debatte verkommt zur Polemik, Argumente werden durch persönliche Diffarmierung und Denunziation ersetzt. Wir warnen ganz besonders vor einer leichtfertigen Verwendung der Worte Antisemit und Antisemitismus, die inzwischen für alles und jedes als Pauschalvorwurf benutzt werden. Ihr inflationärer Gebrauch ist politische gefährlich und Kontraproduktiv, weil die Begriffe auf diese Weise bis zur Bedeutungslosigkeit verharmlost und völlig sinnentleert werden, sodass sie auch außerhalb des viel zitierten deutschen Stammtisches am Ende niemand mehr ernst nimmt.

Prof. Dr. Wolfgang Benz,
langjähriger Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin

Prof. Dr. Andreas Nachama,
gf. Direktor der Stiftung Topographie des Terrors, Dekan für Holocaust-Studies am Touro-College Berlin und Rabbiner der Synagoge Hüttenweg

Prof. Dr. Reinhard Rürup,
langjähriger wissenschaftlicher Direktor der Stiftung Topographie des Terrors

Dr. h.c. Gerhard Schoenberner,
Schriftsteller, Gründungsdirektor der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz

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Quelle:
© 2012 by Gerhard Schoenberner
mit freundlicher Genehmigung


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Juni 2012