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MELDUNG/004: Courage, ein Recht auf Initiative ... (SB)


Vorverurteilung einer politischen Frauenorganisation



Zwischen Anspruch und Wirklichkeit einer parlamentarisch-demokratischen Gesellschaft wie der Bundesrepublik Deutschland klaffen nicht selten extreme Widersprüche. Auf dem Papier, sprich im Grundgesetz, klingen Grund-, Bürger- und Beteiligungsrechte für viele Menschen ebenso ansprechend wie überzeugend; in der Realität jedoch machen viele Bürgerinnen und Bürger Erfahrungen, die mit diesen in der Verfassung niedergelegten und insofern bestens begründeten Erwartungen nicht in Übereinstimmung zu bringen sind. Erschwerend kommt für viele hinzu, daß es nicht selten die mit dem Schutz der Verfassung in Bund und Ländern beauftragten Ämter sind, die das gesellschaftliche Leben, das in einer Demokratie nicht anders als inhaltlich kontrovers sein kann, durch repressive Maßnahmen und Beurteilungen einschränken.

Dagegen regt sich Protest und Widerstand all derjenigen, die die im Grundgesetz gewährten Rechte politischer Aktivitäten und gesellschaftlicher Mitgestaltung in Anspruch nehmen und nicht bereit sind, einen derart restriktiven "Verfassungsschutz" widerspruchslos hinzunehmen. Ein aktuelles Beispiel einer gleichermaßen gelebten und eingeforderten Demokratie betrifft den Frauenverband Courage, der am 22. Juli 2014 den Antrag gestellt hat, daß der vom Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen herausgegebene Verfassungsschutzbericht 2013 erst erscheinen darf, wenn alle darin enthaltenen Passagen über Courage gestrichen wurden. Ein erster Teilerfolg konnte dabei, wie Martina Stalleicken vom Bundesvorstand Courage in einer Presseerklärung vom 25. August mitteilte, bereits erzielt werden:

Der Druck des Berichtes wird schon mal um einen Monat verschoben auf Ende Oktober, weil erst unser Antrag behandelt wird! Dem Frauenverband Courage wurde Ende 2012 nach zwei Jahrzehnten die Gemeinnützigkeit aberkannt. Hintergrund der Aberkennung sind nicht unsere anerkannte bundesweite frauenspezifische Arbeit oder Finanzen, sondern haltlose Behauptungen des Verfassungsschutzes.

Am Donnerstag, den 28. August, findet in Wuppertal eine Pressekonferenz in der Geschäftsstelle des Frauenverbandes Courage (Holsteiner Str. 28, 13.00 Uhr) statt, auf der ausführlicher über dieses noch offene Verfahren und seine Hintergründe berichtet wird. Rechtsanwalt Frank Jasenki, der den Verband Courage vertritt, nahm vorab bereits Stellung zu dem Verfahren und seiner politischen, weit über den Frauenverband hinausreichenden Bedeutung:

Dass der Frauenverband Courage zu Unrecht dem Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen ausgesetzt wird, verletzt erheblich fundamentale Grundrechte. Überparteiliche Organisationen sind unverzichtbare Elemente eines breiten gesellschaftlichen Engagements. Wenn diese sich auch kritisch mit den vorhandenen gesellschaftlichen Verhältnissen auseinandersetzen, ist das die Wahrnehmung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit und kein Grund, wie in diesem Fall, Courage in den jährlichen Verfassungsschutzberichten als gefährlich zu diskreditieren, vor dem man gar die Öffentlichkeit warnen müsste.

Im Dezember 2012 wurden dem Frauenverband Courage die Gemeinnützigkeit aberkannt. Seitdem wehrt er sich dagegen und kämpft für die Rücknahme dieser Entscheidung. Bernadette Leidinger-Beierle, Vorstandssprecherin von Courage, erklärte zu der Frage, wie die Aberkennung begründet wurde:

Einzige Begründung dafür ist, dass Courage mit penetranter Regelmäßigkeit vom Verfassungsschutz als extremistisch und Vorfeld-Organisation der MLPD gelistet wird. Die echte Überparteilichkeit von Courage duldet nicht nur eine weltanschaulich offene Auseinandersetzung, sondern wünscht sie ausdrücklich als Basis für vielfältige, kämpferische, solidarische und erfolgreiche Aktivitäten. So viel echte Demokratie und eigenständiges Denk- und Urteilsvermögen von Frauen können und wollen sich die Herren vom Verfassungsschutz offenbar nicht vorstellen. Also erklären sie schlichtweg ihre Darstellung zur Realität, freilich ohne irgendeinen Beweis. Satzung, praktische Arbeit und die über zwei Jahrzehnte korrekt vorgelegte Buchführung von Courage beim Finanzamt werden bis heute ignoriert. Damit muss Schluss sein! Unserer Meinung nach muss dem Verfassungsschutz jegliche Mitsprache zur Gemeinnützigkeit abgesprochen werden.

Unterstützung erfuhren die Courage-Frauen unter anderem auch durch den bekannten Publizisten, Rechtsanwalt und Mitherausgeber des Grundrechte-Reports, Rolf Gössner, der an der morgigen Pressekonferenz in Wuppertal teilnehmen wird. Auch er stellte in einer anläßlich des aktuellen Eilantrags herausgegebenen Pressemitteilung des Frauenverbandes Courage seinen gleichermaßen fachlichen wie politischen Standpunkt klar:

Ich halte es für nicht hinnehmbar, wenn verfassungskonforme, bürger- oder frauenrechtliche Kräfte als Unterstützer_innen "extremistischer" Kreise stigmatisiert werden, sobald sie in ihrer Arbeit bestimmte politische Spektren nicht ausgrenzen und gesellschaftlich isolieren - sondern sie bewusst in den politisch-demokratischen Willensbildungsprozess einbeziehen. Eine offene und liberale Demokratie lebt von Kritik, Widerspruch und kontroverser politischer Diskussion auch und gerade mit Andersdenkenden. Es ist Gift für eine demokratische Gesellschaft, wenn solches unter geheimdienstliche Beobachtung und Kuratel gestellt und deswegen mit Entzug der Gemeinnützigkeit sanktioniert wird.

27. August 2014