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SERIE/003: Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - 1. Brief - Anfang


Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - 1. Brief

Heide Luthardt
30.11.07
JVA Aichach

Anfang


23.2.07   7.30 Uhr. Es klingelt 1 x energisch an meiner Wohnungstür. Ich liege noch im Bett, weiß aber sofort, dass es die Polizei ist. Es klingelt noch ein paarmal, kurz und heftig. Ich öffne die Tür.

Das ist das Ende der einen und der Anfang einer anderen Geschichte. Das Ende einer Serie von 11 Bombenattrappen, die ich in Nah- und Fernverkehrszügen, S-Bahnen und einmal auch in der U-Bahn deponiert hatte sowie einer Unzahl von Graffitti an allen möglichen Flächen. Sieben von elf Bombenattrappen hatte ich sog. Bekennerschreiben beigefügt, die sich überwiegend mit dem deutschen Anteil an Angriffskriegen und Besetzungen seit 1999, besonders denen im Nahen Osten und den im Bezug auf Entführungen und Folterflügen überaus aktiven CIA-Basen in Frankfurt und Stuttgart befassten. In den meisten Graffiti ging es um Parallelen zwischen dem Nationalsozialismus und der heutigen Politik den Natostaaten und Israels.

"Botschaften des Hasses" nannten es die empörten Meinungsmacher von der "SZ" bis zur "Bild". Hass war es nicht, wohl aber Verzweiflung und Machtlosigkeit darüber, dass Deutschland, ein Land, das zwei Weltkriege vom Zaun brach, wieder mit einer atemberaubenden Selbstverständlichkeit in den Kriegen dieser Welt mitmarschiert und darüber, daß das von der Mehrheit der Bevölkerung - vielleicht zähneknirschend - hingenommen wird. Mehr als 80 Millionen Euro täglich gibt dieses Land für Krieg und Rüstung aus, ansonsten - nichts als Sparprogramme. Ich habe legal demonstriert - kein Interesse, ich habe legale Briefe an Regierungen und Militärs geschrieben - keine Antworten, und so beschloss ich, einmal etwas zu tun, bei dem sie hinschauen müssen.

Natürlich wusste ich, daß ich Straftaten begehe und natürlich beschämt mich der Gedanke, daß ich viele Reisende behindert und harmlose Schaffner und Fahrgäste in große Angst versetzt habe. Ich würde das niemals wiederholen wollen, aber wenigstens kann ich sagen, ich habe einmal den Versuch gemacht, drastisch aufzurütteln und war keine von denen, die immer wieder den Satz sagen, den ich am meisten hasse: "Da kann man sowieso nichts machen". Der Preis dafür ist hoch. Ich habe mein gesamtes Geld verloren, meinen Job und auf Jahre hinaus meine Freiheit. Zur Zeit sitze ich im Sicherheitstrakt der JVA Aichach.

So viel zu meiner Vorgeschichte, der Alten. Die Neue, von der ich von Zeit zu Zeit berichten will, begann am 23.2. mit meiner Verhaftung und dem Abstieg in die Welt der deutschen bzw. bayrischen Gefängnisse, die sich von der Welt "draußen" so sehr unterscheidet wie die Erde vom Mond.


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Quelle: Copyright by Heide Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Oktober 2008