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SERIE/017: Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - 15. Brief - Neudeck 6


Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - 15. Brief

30.3.08

Neudeck VI


Mittlerweile bin ich schon drei Wochen in Untersuchungshaft in Neudeck, habe erste Kontakte mit Mitgefangenen und es hat sich herauskristallisiert, mit wem ich "einen Draht habe" und mit wem überhaupt nicht. Ebenso habe ich langsam gelernt, die JVA-Beamtinnen ein bisschen einzuschätzen. Natürlich ist hier das Spektrum genauso breit gestreut wie draußen, es gib die "scharfen", die keine Gelegenheit ungenutzt lassen, uns zurechtzuweisen, es gibt nette, die auch einmal ein Auge zudrücken, es gibt soziale, die geduldig zuhören, wenn die Frauen ihnen ihr Herz ausschütten wollen, es gibt machtgeile, lustige, mürrische, auch sadistische, alles. Für eine der Älteren ist es ganz einfach, schon mehrfach hat sie laut verkündet: "Jeder, der hier ist, ist schuldig". Daß Neudeck ein Untersuchungsgefängnis ist, ist für sie nicht relevant. Über Privates rede ich prinzipiell nicht mit Beamtinnen und auch sonst nur das, was unbedingt nötig ist, sozusagen "Dienstliches". Sie sperren mich in einen Käfig wie ein Tier, sie bewachen und verwalten mich, wir stehen weder auf der gleichen Ebene noch auf der gleichen Seite - ihnen zu vertrauen ist mir unmöglich und so halte ich größtmögliche Distanz. Aber auch das sieht jede Gefangene anders. Eines Tages wird unsere Zelle aufgeschlossen "Frau L., Besuch". Ich werde in den Besuchertrakt geleitet, in dem auch die Gespräche mit den Anwälten stattfinden und bin sehr gespannt, wer gekommen ist. Wer weiß überhaupt, daß ich hier bin? Nach dem eine Beamtin mich auf unerlaubte Gegenstände abgetastet hat, bringt sie mich in einen Raum, der in der Mitte durch einen langen Tisch mit einer kleinen Trennscheibe darauf geteilt ist. Auf jeder Seite stehen vier Stühle und auf einem davon sitzt ein mir unbekannter junger Mann. Er stellt sich als Betriebsratsmitglied meines Arbeitgebers, des Universitäts-Klinikums, vor und teilt mir mit, daß eine Verdachtskündigung gegen mich ergangen ist. Er ist nett, fragt, ob er Kollegen von mir grüßen soll und auch, ob ich Schokolade oder Tabak, die im Besucherraum verkauft werden, haben möchte. "Nein danke." Dann verabschiedet er sich, wünscht mir noch alles Gute. Ich werde herausgeführt und in "meine" Zelle gebracht. Fünf Minuten später holen sie mich wieder, noch einmal Besuch. Als ich ihn sehe, freue ich mich, habe aber auch ein schlechtes Gewissen. Es ist ein Paar, Freunde aus der Friedensbewegung, die von meinen Aktionen ja keine Ahnung hatten und aus allen Wolken gefallen sind, als sie davon hörten. Sie hatten mir den ersten Brief geschrieben, den ich hier erhielt, aus ihm sprach Besorgnis, aber auch Ungläubigkeit. Jetzt sind sie hier und sagen, es wäre schwer gewesen, an mich heranzukommen, Polizei und Justiz hätten sehr gemauert. Sie bedrängen mich nicht mit Fragen, sind einfach nur da und das tut gut. Für die Gründe meiner Aktionen, die sich ja gegen die Kriegspolitik der Nato und Israels im Nahen Osten und den unseligen deutschen Anteil an den dort begangenen Verbrechen richteten, haben sie Verständnis, da bin ich mir sicher, für die Form, die ich gewählt habe, nicht. Wir reden eine halbe Stunde, dann müssen sie gehen. Ein Untersuchungshäftling darf zweimal monatlich je 30 Minuten Besuch bekommen. Die, die herkommen wollen, müssen sich vom zuständigen Ermittlungsrichter eine Besuchserlaubnis ausstellen lassen und sie an der Gefängnispforte vorzeigen. Ansonsten: Keine Chance.

An diesem Abend bin ich glühend heiß, habe Fieber und starke Rückenschmerzen, eine Nierenentzündung, wie der Arzt am nächsten Tag feststellt. Früher hatte ich diesbezüglich schon Probleme, in den letzten Jahren überhaupt nicht mehr. Jetzt hat mich der Streß der vergangenen drei Wochen umgehauen. Alles ist anders: "draußen" habe ich mich viel bewegt, war ständig unterwegs und habe auf eine gesunde Ernährung geachtet, jetzt sitze ich fast den ganzen Tag lang und bekomme Essen aus der Großküche in Stadelheim, von der quälenden Gefangenschaft und der Ungewissheit über die Zukunft ganz zu schweigen. Die gesündeste Kombination ist das sicherlich nicht. Der Arzt verschreibt mir ein Antibiotikum, das prompt wirkt und nach ein paar Tagen ist die Entzündung weg.

Abends spielen M. und ich manchmal ein paar Partien Mensch-ärgere-dich-nicht in "unserer" Dreierzelle, hin und wieder beteiligt sich auch unsere Mitbewohnerin F., die Senegalesin, daran. Sie ist gläubige Muslima und Glücksspiele sind ihr verboten, deswegen hat sie ein schlechtes Gewissen, kann aber manchmal nicht widerstehen. F. hasst Deutschland, sie wollte auch nicht hierher, wurde aber auf der Durchreise wegen Zollvergehen angehalten und verhaftet, weil sie die deswegen verhängte Geldstrafe nicht bezahlen konnte. Neulich sagte sie: "Wenn Deutschland stirbt, kommt es in die Hölle." Und als in einer unserer Unterhaltungen das Wort "Alemania" fällt, blickt sie auf, sagt "Aleman" und fährt sich mit dem Zeigefinger quer über die Kehle.


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Quelle: Copyright by Heide Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Oktober 2008