Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → REDAKTION

SERIE/020: Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - 18. Brief - Neudeck 9


Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - 18. Brief

20.4.08

Neudeck 9


Nach dem ich ca. 4 Wochen in Neudeck bin, kommt eine Beamtin zu mir: Ich soll meine Sachen zusammenpacken, ich werde in eine andere Zelle verlegt. Im ersten Moment freue ich mich, weil ich glaube, es ist die langersehnte Einzelzelle für die ich ja seit einiger Zeit auf der Warteliste stehe. Aber leider habe ich mich zu früh gefreut, ich werde in eine Zweierzelle gebracht, die ich aber momentan alleine bewohne. Höchstens 11 qm, 2 Betten übereinander, eine durch einen Vorhang abgeteilte Toilette, außerdem eine Tischplatte und zwei dicke Holzbretter zum Sitzen, alles bombenfest in der Wand verankert. Es hat Vor- und Nachteile, hier zu sein. Einerseits bin ich aus der nervigen Dreierzelle weg, andererseits ist es hier noch viel enger und dunkler als dort. Außerdem muss ich jederzeit damit rechnen, daß mir noch jemand hereingelegt wird. Das ist für mich das entwürdigendste und fast genauso schlimm wie die Gefangenschaft an sich: zwei oder mehr erwachsene Frauen mit teils völlig unterschiedlichen Mentalitäten auf ein paar Quadratmetern zusammengesperrt, Tür zu, friss oder stirb. Auch kann ich von hier aus die Turmuhr nicht mehr sehen. In dem Tohuwabohu am Morgen meiner Verhaftung hatte ich es versäumt, meine Armbanduhr anzulegen, einen Wecker habe ich auch nicht und auf den Fluren hängen keine Wanduhren. Somit bin ich "zeitlos". Wie heißt es, "Den Glücklichen schlägt keine Stunde", naja, dem Unglücklichen hier drin auch nicht. Den meisten Häftlingen geht es wie mir und manchmal, wenn eine Gruppe zusammensteht, ertönt die Frage: "Ist jemand von euch mit Uhr verhaftet worden Einige hatten das Glück. Hier sind die selbstverständlichen Dinge nicht mehr selbstverständlich. Das ist etwas unbequem, aber eigentlich eine gute, wertvolle Erfahrung.

Ein bisschen vermisse ich meine alten Zimmergenossen schon und fühle mich etwas einsam in der neuen Zelle. Immerhin haben wir mehr als drei Wochen eng zusammengepfercht gelebt, gelitten, aber auch gelacht. In der nächsten "Bastelstunde", die vom Evangelischen Beratungsdienst für Frauen angeboten wird, baue ich mit Papier, Ton und ein bisschen Farbe ein provisorisches Schachspiel. Falls mir einmal jemand in die Zelle gesteckt wird, ergibt sich vielleicht die Gelegenheit, zu spielen. Immer wieder versetzt mich mein Anwalt, kündigt an, zu kommen, tut es dann aber nicht. Jedesmal warte ich wie ein Kind und fühle mich anschließend verraten und verkauft. Er ist ja mein einziges Bindeglied zur Außenwelt, Briefe sind ewig unterwegs, weil sie über den Richter laufen und telefonieren darf ich nicht. Wie geht es meiner Familie, was ist mit meiner Wohnung? Ich weiß garnichts.

Ende Mai wird die Uhr auf Sommerzeit umgestellt. Ein Sommer hier drinnen? Unvorstellbar! Ich komme mir vor wie lebendig begraben. Kurz nach meiner Ankunft hatte ich einen Antrag geschrieben, weil ich mit der Sozialarbeiterin des Hauses sprechen wollte. Eines Vormittags holt sie mich und macht als Erstes ihrer Empörung über Brigitte Mohnhaupt Luft. Das ehemalige RAF-Mitglied ist jetzt nach 24 Jahren Gefängnisaufenthalt aus der JVA Aichach entlassen worden und hat ihrer Meinung nach nicht genügend öffentlich zur Schau gestellte Reue gezeigt. Wieder dieser Doppelmoral, die mich so anekelt. Die Frau hat 24 Jahre im Gefängnis verbracht. Am Rand sei erwähnt, daß im Januar 2008 auf Veranlassung von Innenminister Schäuble eine Akte des Verfassungsschutzes aus dem Jahre 1982 gesperrt wurde, die die angeblich so sichere Beweislage der Strafverfolgungsbehörde im Fall Buback widerlegt. Wie viele Politiker und Militärs, auch deutsche, die sowohl das Völkerrecht als auch das Grund- und Strafgesetz mit Füßen traten und treten, wurden für ihren Anteil an Lügen, Massenmorden und Folterungen niemals auch nur angeklagt und sind noch immer geachtete und hofierte Mitglieder einer ehrenwerten Gesellschaft?

Ich halte mich zurück, diskutiere nicht großartig mit der Sozialarbeiterin. Ich gelte ja eh schon als Linksextremistin und will vor meiner Verhandlung nicht auch noch Öl ins Feuer gießen, außerdem ist jetzt meine Wohnung das Thema, das es abzuklären gilt. Sie ist sehr engagiert und macht mir Hoffnung, daß das Sozialamt für 6 Monate die Miete zahlen würde. Niemand weiß, wo ich in 6 Monaten sein werde, aber es ist ein gutes Gefühl, daß endlich etwas in die Wege geleitet wird. Was dabei herauskommt, steht auf einem anderen Blatt.

Nachmittags dann eine freudige Überraschung. F., die Senegalesin wird abgeholt, sie kommt frei. Im Ausland arbeitende Verwandte von ihr haben die 2000 Euro Geldstrafe, zu der sie verurteilt wurde, zusammengekratzt und bezahlt. Morgen früh wird sie nach Hause in den Senegal fliegen und alle freuen sich mit ihr. Es war schlimm mit anzusehen, wie traurig sie hier war. F. ist sehr gläubig und hat täglich eisern ihre fünf Gebetsrituale absolviert, samt der vorgeschriebenen Waschungen. Vielleicht hat es geholfen.

Für uns geht das Warten weiter. Warten auf warmes Wasser oder Kaffee am Morgen, auf den Wäschetausch, auf's Duschen, auf den Hofgang, aufs Mittagessen, auf den Aufschluss, den Einschluss, das Abendessen, aufs Schlafen gehen, auf den nächsten Morgen, auf Besuch, auf den Anwalt. Und täglich grüßt das Murmeltier.


*


Quelle: Copyright by Heide Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. November 2008