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SERIE/022: Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - 20. Brief - Neudeck 11


Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - 20. Brief

4.5.08

Neudeck 11


Sechs Wochen bin ich jetzt schon hier. Heute ist der erste wirklich frühlingshafte Tag und beim Hofgang ist Alles draußen, was Beine hat. Ich sehe Frauen, die, obwohl sie teilweise schon länger als ich hier sind offenbar noch nie an der frischen Luft waren - mindestens 6 Wochen lang. Unglaublich. Heute kann ich mich endlich einmal ausgiebig mit A. unterhalten. Sie hatte vorige Woche ihre Verhandlung vorm Landgericht und weil mir in ein paar Monaten ja auch eine solche bevorsteht, interviewe ich sie ausführlich darüber, wie alles ablief. A. hat Drogen geschmuggelt und wurde ausgerechnet an dem Tag während der Fußball-WM 2006 an der deutsch-holländischen Grenze erwischt, an dem sie die größten Mengen Cannabis - fast 100 kg - die sie je transportierte bei sich hatte. 8 Jahre hat sie dafür bekommen und war nicht überrascht. Damit hatte sie gerechnet. Sie ärgert sich vielmehr darüber, vor Gericht gesagt zu haben, daß sie sich ein wenig in ihren Drogenlieferanten, den Großhändler sozusagen, verliebt hatte. "Drogenkurier aus Liebe" stand am nächsten Tag in der "Süddeutschen". Naja, bei mir werden sie später schreiben "Botschaften des Hasses". Auch nicht schlecht. A. wird nächste Woche in die JVA Aichach verlegt, in der wir uns wahrscheinlich irgendwann wiedersehen werden.

Dann gibt es im täglichen Neudecker Stumpfsinn endlich eine kleine Abwechslung für mich. Ich "darf" zum ersten Mal an der sogenannten Poesiegruppe teilnehmen, die vom evangelischen Pastor geleitet wird. "Balsam für die Seele" ist diesmal das Thema, wir sollen unsere Seelen und das, was ihnen gut tut malen. Ich zeichne einen blauen See, in dessen Mitte ein Strudel bis zum Grund herunter reicht - meine Seele. Um den See herum verteile ich die Balsam-Symbole - eine Sonne, Wald, Tiere, Bücher, Briefe und als Erinnerung an meinen Australien-Trip vor einem halben Jahr einen weiten Meeresstrand. Wir sind 12 Frauen in der Gruppe, einige sitzen nur da und machen garnichts, manche blödeln herum und kichern, eine malt ihre Seele als schwarzen Punkt. Viele sind wegen Drogen hier und ihre jungen Gesichter sehen schrecklich alt aus. Bin ich auch schon so kaputt? Ich fühle mich in der Gruppe fremd, unwohl und ängstlich, aber ich war auch noch nie ein Gruppenmensch, sondern ein Einzelgänger solange ich denken kann. Wahrscheinlich liegt es daran. Als wir wieder zurück in die Zellen gebracht werden erwartet mich eine freudige Überraschung: die "junge Welt" ist gekommen, eine linke Tageszeitung, für die Freunde mir ein Abonnement geschenkt haben. Laut Aussage der Redaktion hat auch der Verfassungsschutz das Blatt abonniert - für mich ist das die beste Empfehlung, es zu lesen. Als wir nachmittags eingesperrt werden, bitte ich die Beamtin, das Licht einzuschalten. Das muss sein, wenn ich nicht den ganzen Abend im Dunklen sitzen will. Die Schalter sind außerhalb der Zellen, drinnen gibt es keinen Strom. Sie tritt einen Schritt zurück und sagt wortwörtlich: "Machen Sie das doch selber. Ich will die Leute zur Selbstständigkeit erziehen". Ich fühle mich - Pardon! - verarscht und erkläre ihr, daß ich mittlerweile 52 Jahre alt bin, Zeit meines Lebens selbsständig war und nicht freiwillig hier sitze. Eine Antwort bekomme ich nicht. Am nächsten Morgen werde ich zusammen mit drei anderen Frauen zum Einzelgespräch mit einer Mitarbeiterin der Evangelischen Hilfe geholt. Wie für alles hier hatte ich auch dafür vor einiger Zeit einen Antrag geschrieben. Wir vier werden in eine kahle Wartezelle gesteckt und als ich endlich als Letzte geholt werde, sind eineinhalb Stunden vergangen. In diese Zeit fiel auch der Hofgang, der die einzige Möglichkeit gewesen wäre, heute an die frische Luft zu kommen. Die freundliche Dame vom Hilfswerk bietet mir an, einmal mit meiner Mutter zu telefonieren und auch das Gespräch mit ihr ist interessant, ich erfahre darin einiges über die JVA Aichach, in der ich wahrscheinlich früher oder später landen werde.

Dann schockt sie mich mit ihrer Aussage, daß man von dort aus unter Umständen völlig mittellos in die Obdachlosigkeit entlassen wird. "Was dann?" frage ich. "Bahnhofsmission, Notunterkunft?" "Möglicherweise", sagt sie. Ich bin entsetzt, dafür hätte ich heute schon keine Kraft mehr und dann nach Jahren im Gefängnis? Das schaffe ich nicht! Dann bin ich wirklich ganz unten angekommen. Panik. Ich merke, wie Tränen in mir aufsteigen, aber wieder einmal beherrsche ich mich, bis ich alleine bin. Hinterher zoffe ich mich noch mit den Beamtinnen, weil ich während der langen Wartezeit vorhin auf den Hofgang verzichten musste. "Dafür konnte ich doch nichts" sage ich, "Wir auch nicht" erwidern sie. Damit ist die Debatte beendet. Das im Strafvollzugsgesetz verbriefte Recht auf eine Stunde Hofgang täglich ist nicht relevant. Ich bin in einer ganz seltsamen Verfassung, voller Wut und Aggression, zum ersten Mal kann ich verstehen, was in jemandem vorgeht, der alles um sich herum kaputtschlägt. Zu allem Überfluss bekomme ich auch noch drei Briefe zurück, die ich schon vor einer Woche abgeschickt hatte. Das Aktenzeichen hat sich geändert, für mich ist jetzt nicht mehr das Landgericht, sondern das Amtsgericht zuständig. Anstatt die Briefe einfach weiterzuleiten, haben sie mir alle zurückgesandt und ich muss sie jetzt wieder wegschicken. Warum einfach, wenn's auch umständlich geht? Leider bedeutet das Ganze nicht, daß mein "Fall" jetzt auch vor dem Amtsgericht verhandelt würde. Das war der erste, hoffnungsfrohe Gedanke, den ich hatte. Aber nix da, die Änderung hat rein organisatorische Gründe, verhandelt wird vorm Landgericht. Schade!


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Quelle: Copyright by Heide Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. November 2008