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SERIE/029: Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - 27. Brief - Kommentar zur SZ


Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - 27. Brief

Aichach, Dezember 2007

Süddeutsche Zeitung, Ausgabe 277
"Ausbrüche in geschlossener Gesellschaft"


Mein Name ist Heide Luthardt, ich bin seit 9.11.2007 unfreiwillig Insassin der Justizvollzugsanstalt Aichach, der größten deutschen Massenunterkunft für gefangene Frauen, die von hohen Mauern, Nato-Draht und Überwachungskameras umzingelt ist und in der derzeit ca. 530 Inhaftierte - im wahrsten Sinne des Wortes - sitzen. Konzipiert waren diese Gebäude für wesentlich weniger Insassen. Nun ja, wir sind in Bayern und ebenso wie ein CSU-Politiker vor Jahren "kräftiges Draufhauen" der Polizei als "bayerische Art" bezeichnet hat, so können auch hier die Gefangenen ein bisschen enger zusammenrücken. In den Bierzelten macht man's ja auch, "bayerische Art" halt.

Nun ist in der "Süddeutschen Zeitung", die sich, nach den ganz persönlichen Erfahrungen, die ich mit ihr machen durfte, in punkto Wahrheitsgehalt und Meinungsmache keineswegs von der berüchtigten "Bild"-Zeitung unterscheidet, ein Bericht mit dem schönen Titel "Ausbrüche in geschlossener Gesellschaft" erschienen, der über die sogenannten "Gittergören", die Kabarettgruppe der JVA Aichach und eine ihrer Aufführungen berichtet. Der Artikel endet damit, daß jede der, wie ebenfalls berichtet wird, im Laufe der Haft "geläuterten" Darstellerinnen, vom hiesigen Anstaltsleiter eine rote Rose überreicht bekommt und erwähnt wohlwollend, daß dieser von den Frauen "Chef" genannt wird. Der Chef ist zufrieden mit ihnen, es herrscht Harmonie.

Über diesen Bericht habe ich mich sehr geärgert. Ich muss in dem laut "SZ" 'verträumten' Aichach leben und empfinde es so, daß wir, also die Gefangenen, hier dumm und stumpf gemacht bzw. gehalten werden sollen. Essen, fernsehen, rauchen, all das kann man von morgens bis abends tun - wenn man es sich leisten kann und will, geistige Herausforderungen gibt es nicht. Ich fragte nach einer Arbeit, bei der man ein bisschen denken muss. "Haben wir nicht." Ich trug mich für drei Kurse ein, einer davon ist ganz gestrichen worden, die beiden anderen sind voll. Das Ganze nennt sich dann "Resozialisierung vor Strafe". Ist es in Anbetracht dessen tatsächlich ein Beleg dafür, daß der Herr Regierungsdirektor und Amtsleiter wirklich so sehr das Wohl der Gefangenen im Auge hat, wenn er großmütig ein paar "Spitzen" im Programm der "Gittergören" zulässt, die von der "SZ" dann als "schonungslose Provokationen" hochgejubelt werden. In einer der "Spitzen" werden einige seiner Wachbeamtinnen als "Wachteln" bezeichnet. Frech? Wer hier leben muss, weiß, daß es neben den korrekten und hilfsbereiten Beamtinnen durchaus welche gibt, für die die Bezeichnung "Wachtel" geradezu schmeichelhaft ist. Eine weitere sog. "Spitze", das Thema Briefzensur. Provozierend? Keine Aichacher Spezialität, sie findet in jedem Knast statt, angegriffen wird sich hier niemand fühlen. Auch das Echauffieren darüber, daß bei Kontrollen, wie es verniedlichend heißt, die Schlüpfer heruntergelassen werden müssen, ist laut der "SZ" eine Provokation. Nun, mit Schlüpfer herunterlassen ist es bei Kontrollen nicht getan. Ich erlebte dabei folgendes: Bei meiner Einlieferung am 9.11.07, bei der ich übrigens als erstes unterschreiben musste, darüber informiert worden zu sein, daß im Falle einer Flucht oder des Anzettelns einer Revolte auf mich geschossen werden darf, musste ich in die sogenannte Kleiderkammer, in der ich die schroffe Anweisung bekam, mich auszuziehen. Irgendeine Form von Sichtschutz, eine Stellwand oder ein Vorhang wird offenbar als überflüssig betrachtet. Als ich dann vor drei mich anglotzenden Beamtinnen splitternackt dastand und im Befehlston aufgefordert wurde, Verrenkungen zu machen, verweigerte ich das. In diesem Moment bekam ich eine Ahnung, wie sich die Rekruten bei der Wehrmacht gefühlt haben mögen. Auch ganz andere Vergleiche kamen mir noch in den Sinn. Ich verstehe, daß sie hier nach Drogen suchen, aber nicht auf diese erniedrigende und menschenverachtende Art und Weise, die das demütigendste war, was ich je erlebt habe. Ich für meinen Teil bin fest davon überzeugt, daß diese Prozedur, so wie sie hier gehandhabt wird, neben der besagten und sicher berechtigten Drogensuche auch eine Machtdemonstration ist, in der dem Häftling gleich an der Pforte, beim Eintritt in die "Unterwelt", die jedes Gefängnis verkörpert, klargemacht werden soll, wer das Sagen und wer sich zu unterwerfen hat. Jedenfalls gibt es geile Jobs hier, für die so mancher entsprechend Veranlagter sicher viel Geld anbieten würde, wenn er oder sie sie machen dürfte. Niemals werde ich mich freiwillig derart selber erniedrigen! Ich wurde dann zum Arzt geschickt und in der diskreten und entspannten Atmosphäre dort war der Check überhaupt kein Problem, ein blütenreines Gewissen hatte ich ja eh. Nachspiel: Ein paar Tage später hieß es, ich müsse zur Vernehmung. Ich war verwirrt, wollte die Polizei noch etwas von mir? Nein, die Damen in der Kleiderkammer hatten eine hausinterne Anzeige erstattet, worauf mir ein smarter Abteilungsleiter die erste Disziplinarstrafe meiner gesamten Haftzeit verpasste, die er aber großzügigerweise zur Bewährung aussetzte. Soviel zur lustigen Schlüpfer-Lüpfer-Einlage der "Gittergören". Diese Gruppe ist sicher sehr kreativ und was sie tun, ist für sie und ihre Zuschauer gut und wichtig, aber mit Freiheit oder Befreiung hat das nichts zu tun. Sie passen als Alibigruppe perfekt in das System und arbeiten dem, der ihre - und auch meine - Gefangenschaft verwaltet und organisiert und den sie freiwillig "Chef" nennen, in die Hand, so daß er sich im Glorienschein des humanen, lockeren und zutiefst demokratisch-toleranten Gefängnisdirektors präsentieren kann.

Echte Freigeister würden ihm seine Rosen vor die Füße werfen und das wäre dann wirklich eine "schonungslose Provokation", die diesen Namen auch verdient.


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Quelle: Copyright by Heide Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. November 2008