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SERIE/055: Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L. - 28.10.2007 bis 05.11.2007


Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L.

17. Teil - 28.10.2007 bis 05.11.2007


28.10.07

Heute nacht wurde die Uhr eine Stunde zurückgestellt - Winterzeit. Ich bin total entnervt - von allem und jedem. Beamte, ein Teil der Mitgefangenen, dieses ganze Scheiß-Neudeck - macht mich verrückt. Das ständige Eingeschlossensein, keine Bewegung, nur Mauern, Mauern und nochmals Mauern. Niemals ertrage ich das noch weitere 3 Jahre. Dann lieber tot. Ich merke immer mehr, wie ich abstumpfe und verblöde - und sie tun es ganz bewußt. Es ist ein probates Mittel, Menschen zu zerstören an Geist und Seele, unblutig und scheinbar human. Ich will nicht mehr. Einige Ideen gehen mir im Kopf herum, wie ich es beenden könnte. Heute habe ich einen Antrag an die Vollzugs-Geschäftsstelle eingeworfen, dass ich aufgrund des Attestes von Dr. W. erst nach Aichach gebracht werden will, wenn dort auch tatsächlich eine Einzelzelle, deren Bedarf er mir bescheinigt hat, frei ist. Ob sie sich danach richten - Keine Ahnung!


30.10.07

Nur Zoff mit den Beamten, besonders Fr. H., die den ganzen Tag mit den Hausmädchen herumplärrt, die ihre Zelle direkt meiner gegenüber haben. Gestern kam besagte Fr. H. mit meinem Antrag für die Vollzugs-Geschäftstelle wegen der Einzelzelle in Aichach und ich musste (?) unterschreiben, dass ich zur Kenntnis genommen habe, dass Neudeck keine Bitten oder Anträge an Aichach weiterleiten "kann". Ich stritt herum, dass man schon könnte, wenn man wollte und so ging es dann hin und her bis Fr. H. mir die Tür vor der Nase zuknallte. Heute wurde, wohl zum "Dank" meine Zelle von Fr. H. gefilzt. Auf dem Fenstersims draußen lag ein winziges Stück Brotkante. Daraufhin unterstellte sie mir, ich würde Tauben füttern. So ein Quatsch. Wenn sie wüßte, dass ich das Teil in Wirklichkeit dort hingelegt hatte, um zu sehen, ob meine "Hauswespen" auch Brot fressen. Es wird immer unerträglicher hier und Zeit, dass ich wegkomme, so oder so. Ich experimentiere wieder ziemlich viel herum.


1.11.07

Allerheiligen, Feiertag. Zum Glück wurde der Tag heute wie ein Sonntag organisiert, nicht wie der schreckliche Sonnabend. Wieso dauert das mit dem Revisions-Widerruf so lange, hat Hr. F. wieder geschlampt und es verzögert? Ich will weg und experimentiere auch jede Nacht herum. Die Beamtinnen-Bitch, Fr. W. sagte heute, als sie uns einschloss: "Ich fahre jetzt mit dem Fahrrad in den Englischen Garten und werde dann an euch denken". Sie selber fand es sehr witzig, wir weniger. Heute vormittag wieder 1 Stunde Palaver vor meiner Tür. Die schwarze Friseuse war da und wollte einer anderen Gefangenen Wollbänder in die Haare flechten. Fr. H. war aus dem Häuschen. Auf keinen Fall, das muss vorher genehmigt werden. Sie musste wieder gehen und soll morgen wiederkommen. Mein Gott! C., A. und S. glauben, dass es in ihrer Zelle spukt, sie haben dem Geist schon einen Namen gegeben. Naja, wer weiß. Ich möchte nicht wissen (d.h. eigentlich möchte ich schon wissen) wie viele Menschen in diesem Horror-Haus (eröffnet 1905, das Gebäude in dem die Sträflinge vorher hausten, stand auf dem gleichen Grund, wurde aber für den Neubau 1902 - 1905 abgerissen) und auf diesem Grundstück verrückt wurden oder gestorben sind. Hier ist ein Ort, an dem es viele Gespenster geben könnte.


5.11.07

Heute hat A. ihren ersten Verhandlungstag von vier vor dem Münchner Schwurgericht. Sie hat ihren 16jährigen Freund erstochen. Es steht bei ihr Sicherheitsverwahrung bzw. Psychiatrie im Raum. Ich mag sie und drücke ihr die Daumen, dass das Beste für sie herauskommt. Ich war bei ihrer Taufe (sie ist 26) dabei und sie hat mir des öfteren die Haare geschnitten. Ein nettes Mädchen. Woher ihr Ausraster - unter reichlich Alkohol - kam? Vielleicht kann es der Gutachter, Prof. N. von der Forensik der Münchner Uni-Klinik erklären. Heute morgen ist die Bestätigung vom Landgericht gekommen, das meine Revision zurückgenommen wurde, hoffentlich komme ich am Freitag hier weg!!!


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Anmerkungen der Schattenblick-Redaktion:

Bei diesem Gefängnistagebuch handelt es sich um die persönlichen Aufzeichnungen der Heide L., die deren subjektive Erlebnisse und Einschätzungen widerspiegeln. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte Dritter wurde gleichwohl durch Anonymisierung auf sämtliche Namensnennungen verzichtet. Der Text wurde in Hinsicht auf Orthographie und Interpunktion originalgetreu übertragen.


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Quelle:
Gefängnistagebuch von Heide Luthardt
© 2010 Irmgard Luthardt und Dr. Hans Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Februar 2010