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SERIE/063: Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L. - 18.01.2008 bis 20.01.2008


Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L.

25. Teil - 18.01.2008 bis 20.01.2008


18.1.08

Wir wurden 5.45 wieder von der Automatenstimme aus der Rufanlage, die immer an eine Kaufhausdurchsage erinnert geweckt. Dann kam die Beamtin von gestern, fragte, ob ich heute in den Hof will. "Ja". Irgendwelche Höflichkeitsformeln schenke ich mir. Frisches Brot will ich auch nicht. Wozu? Ich sage, das von gestern ist noch frisch. Stimmt auch, habe heute (Mit schlechtem Gewissen) sündigerweise 1 Scheibe "entsorgt", auch den Tee. Dann kam die Schwester, ich mußte meine Tabletten (auch 1 Lithofalk war dabei) unter ihren Augen schlucken. Ich kann mir nicht verkneifen: "So, das kleine Kind hat seine Medizin brav genommen". Sie meinte, das wäre schön. "Ja, so wollen sie uns haben" sage ich noch.

Den ganzen Vormittag über male ich mir aus, wie ich rüberbringen werde, dass ich nicht zum Hofgang gehe, wenn sie wieder ihre Erniedrigungs-Entkleidezeremonie wollen. "Wenn ich mich wieder so wie gestern hier demütigen lassen soll, verzichte ich auf den Hofgang" überlege ich mir und auch schon vorsorglich für evtl. Duschen: "Ich dusche nicht, wenn Sie daneben stehen und mich wieder anstarren. Das muss ich nicht haben. So pervers bin ich dann doch nicht veranlagt". Erst kommt das Mitagessen, eine Schale Fischragout, die ich zurückweise und eine Schale Salat. Salat und wiederum eine Scheibe Brot wandern - wieder mit schlechtem Gewissen, ins Klo. Jetzt habe ich seit 2 Tagen nichts gegessen, nicht weiter schlimm, das habe ich früher schon oft gemacht. Irgendwann kommt die Beamtin wegen dem Hofgang, ich sage, dass ich mich nicht wieder ausziehe. Nein, das brauchte ich auch nicht, nur Jogging-Anzug gegen Jeans und Pulli tauschen. "Gut, sonst wäre ich auch nicht rausgegangen". Ob ich nachher duschen will? "Nicht, wenn jemand daneben steht". "Nein, wir legen Ihnen Wäsche hin, dann können Sie allein Duschen". Das ist in Ordnung. Hofgang, diesmal in einem kleinen Nebenhof, neben dem Mutter-Kind-Haus. Es ist nachträglich für 10 Frauen mit Kindern bis zu 3 Jahren gebaut worden. Kinder über 3 Jahre gibt es hier nicht, erklärte mir eine Beamtin, weil sie zuviel vom Gefängnis mitbekommen. Sehr rücksichtsvoll. Wir dagegen sollen per Gehirnwäsche, die mit sexueller Erniedrigung eingeleitet und auch immer wieder praktiziert wird, zu braven Hausmütterchen umgepolt werden, die kochen, backen, putzen, in die Kirche rennen und ansonsten die Klappe halten und tun, was ihnen gesagt wird. Wie sagte doch der Anstaltsarzt gestern zu mir "Wir sitzen hier am längeren Hebel" und "Sie können uns nicht brechen, aber wir können Sie brechen". Zurück zum Hofgang. Mit mir sind noch 2 Arrestanten und eine Beamtin draußen, die sich gleich auf Bänke setzen, ich dagegen drehe ein paar Runden im Hof. Als ich an den dreien vorbei komme, fragt mich eine, warum ich in Arrest bin. Ich frage sofort, warum sie da ist. "Weil ich Alkohol angesetzt habe." Interessant, sie verrät mir das Rezept, während die Beamtin danebensitzt und interessiert zuhört.[*1]

[*1]: Die selbe Beamtin sagt den denkwürdigen Satz "Es wird zuviel über die Opfer geredet". Da widerspreche ich, gerade die Opfer von Gewaltverbrechen stehen oft genug im Regen und werden häufig mit lebenslanger Angst allein gelassen. Sie meinte, dass auch die Frauen hier teilweise Opfer wären. Das stimmt sicherlich bei vielen.

Das Gebräu soll in etwa so stark sein wie Sekt. Nur erwischen lassen darf man sich halt nicht. Ich erzähle, daß ich Tabletten gesammelt habe und was sonst noch war und sie meinen, dafür 4 Tage Bunker wären sehr viel und es sei auch erstaunlich, daß ich sofort nach meiner "Verurteilung" von Herrn Z. in die Arrestzelle gekommen bin, weil eine lange "Warteliste" für diese Zellen existiert. Tja, seltsam. Als wir wieder drinnen sind, dusche ich lange allein und genieße die Duschkabine in dem warmen Raum. Mal etwas anderes als die Friererei auf der D I. Während ich schreibe, Geschrei aus dem Fenster und irres, wirklich dreckiges Gelächter, das mir, wie vieles hier, Angst macht. Genauso war es manchmal auch in Neudeck.


19.1.08

Heute um 9.00 Hofgang, habe mit einer Beamtin herumdisskutiert, die meint, daß wir hier Disziplin lernen sollen und, uns einzufügen, sprich zu unterwerfen, die bayrisch/deutschen Spezialdisziplinen also. Sie will, dass Recht und Ordnung herrschen und ihre Kinder wieder lebendig nachhause kommen. Sie wähnt sich auf der guten Seite und meint zu ihrem schwierigen Beruf gehört ein guter Teil Idealismus. Ja, sagte ich, wie bei den Wärtern im Zoo, die ihre Tiere ja auch so lieben, daß sie sie in kleine Käfige sperren, sie füttern und sich um ihre Gesundheit kümmern. Aus reiner Tierliebe und Idealismus. Genau wie hier. Tiere von denen einige wie z.B. Eisbären in der Wildnis täglich zig Kilometer umherstreifen. Jede Schikane ist zu unserem eigenen Besten. Wahrscheinlich wollen sie erst einmal "richtige Menschen" aus uns machen durch ihre "Umerziehung": Ausgerechnet deutsche Beamte wollen wissen, was gut für mich ist, ha, das ist, als wenn ein dressierter Polizeihund einen Wolf umerziehen will.

Interessanterweise haben die beiden Mit-Gefangenen im Hof sich bei unserer Debatte sofort auf die Seite der Beamtin gestellt. Zumindest bei den beiden zeigt ihre Gehirnwäsche schon Erfolg.

Mittagessen um elf, Erbsensuppe mit Wurst. Weg. 3. Tag. Je mehr Druck sie ausüben, desto sturer werde ich, mein "Eselsgen" schlägt wieder durch. Ein weiterer Schritt in Richtung Selbstzerstörung. Trotzdem, lieber Tod als Sklavin hat ein Schriftsteller, ich glaube Theodor Storm, geschrieben. Während ich schreibe, ertönt wieder das gleiche irre Gelächter von gestern im Hof.

Nachmittags habe ich Brot, Käse, Eiersalat und Marmelade gegessen.


20.1.08

Habe heute beim Hofgang 8.30 erfahren, daß wir die Bunkerzeit selber bezahlen müssen, täglich zwischen 10 und 11 Euro. Typisch. Bei meinen 4 Tagen geht das ja noch, manche sind drei Wochen drin, bekommen, wenn sie das Geld nicht haben, eine Ersatzfreiheitsstrafe, d.h. noch länger Knast. Wir sind momentan 3 Bunkerinsassen und haben uns im Hof über unsere "Verbrechen" unterhalten. Als ich ihnen von den Attrappen erzählt habe, kam, wie so oft: "Ach du warst das.". Sie waren interessiert, warum ich das gemacht habe und haben eigentlich auch eher darüber gelacht. Die 3 Jahre 9 Monate fanden sie auch extrem hart. Naja, die R.'sche Abschreckung. Eine von den beiden hat einen Schleckermarkt überfallen, die Verkäuferin gewürgt und so 60,- Euro! erbeutet. Sie brauchte dringend Alkohol. Weil sie nicht daran gedacht hatte, ihre Kleidung zu wechseln oder eine Jacke überzuziehen wurde sie aufgrund der Zeugenaussage der Verkäuferin schon am Bahnhof gefaßt. Im Bunker ist sie, weil sie Alkohol angesetzt hatte und sturzbetrunken war. Die Dritte im Bunde ist wegen irgendwelcher Drogengeschichten hier und geht übermorgen auf Therapie. Wenn nichts mehr passiert, kommen sowohl die Schlecker-Räuberin als auch ich morgen hier raus, sie früh, ich nachmittags. Dann gehe ich gleich in Freizeitsperre, ich glaube 1 ½ Wochen. Mist, kein Fernsehen. Naja, in Neudeck hatte ich 8 ½ Monate keins. Heute habe ich wieder "normal" gegessen.



Anmerkungen der Schattenblick-Redaktion:

Bei diesem Gefängnistagebuch handelt es sich um die persönlichen Aufzeichnungen der Heide L., die deren subjektive Erlebnisse und Einschätzungen widerspiegeln. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte Dritter wurde gleichwohl durch Anonymisierung auf sämtliche Namensnennungen verzichtet. Der Text wurde in Hinsicht auf Orthographie und Interpunktion originalgetreu übertragen.


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Quelle:
Gefängnistagebuch von Heide Luthardt
© 2010 Irmgard Luthardt und Dr. Hans Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Februar 2010