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SERIE/072: Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L. - 15.03.2008 bis 25.03.2008


Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L.

34. Teil - 15.03.2008 bis 25.03.2008


15.3.08

Beim letzten Einkauf hieß es auf einmal von der Zahlstelle, ich hätte auch noch den halben März Einkaufssperre hätte. Ich wußte, dass sie am 29. Feb. abgelaufen war, schrieb einen Antrag an Hrn. Z. mit der Bitte um Abklärung. Gestern sollte ich dann zum "Bitt-Rapport" (was für ein besch... Wort) kommen. Er sagte ich hätte recht, er hätte es schon korrigiert. Weil ich schon einmal bei ihm war, fragte ich wegen Lockerungen. Er meinte, meine "Disziplinarstrafen" wären nicht das Problem, aber es könnte sein, daß vorher 2! Gutachten gemacht werden müssten. Ich sagte sofort, daß ich dann auf Lockerungen verzichten würde. Außerdem könnte auch noch ein weiteres Gutachten erforderlich sein, wenn es um die 2/3 Strafe ginge. Schock! Sicher war er sich aber nicht, er müsse sich erkundigen. Auch das Gutachten von vor der Verhandlung würde mit einfließen. Vielleicht beantrage ich einfach auf gut Glück Lockerungen, nur um zu sehen, was passiert.


18.3.08

Heute mittag: Ich stehe mit einer Tasse Tee unten im EG und schaue durch die Glastür ins Rondell. Beamtin F., die bei der Essensausgabe steht: "Fr. Luthardt, gehen Sie bitte rauf!" Ich: "Zu Befehl". Beamtin: "Sie wissen das ganz genau". Ich: "Ich höre das so gerne von Ihnen". Beamtin: "Beim nächsten Mal bekommen Sie eine Anzeige".


21.3.08

Karfreitag. Um 14.30 Uhr war evang. Gottesdienst, zum Schluß sollten alle, die wollten zum Abendmahl herunter zur Pastorin kommen, Männer und Frauen. 2 Pärchen, die sich von draußen kannten, kamen zusammen, eins verhielt sich noch relativ zurückhaltend, das andere befummelte sich ausgiebig, von den "Zuschauerbänken" aus voll im Blick- und Mittelpunkt stehend und unter den Augen von mindestens 5 Beamtinnen. Als das Abendmahl beendet war und sie sich trennen mussten, knutschten die beiden noch einmal ausführlicher und demonstrativ. Die Frauen auf den Rängen johlten, klatschten, schrieen. Es war, wie so oft hier, wie in einer Klapsmühle. Beim Hinausgehen sah ich, wie zwei Beamtinnen die beiden Frauen zur Seite nahmen und ihnen sagten daß sie natürlich eine Anzeige bekommen werden. Lange Gesichter. Ich bin wieder einmal völlig herzlos und finde, daß sie es schon allein für ihre Blödheit, so eine Schau in der Kirche vor den Augen von 5 Beamtinnen abzuziehen, verdient haben, angezeigt zu werden.


22.3.08

Schlagzeilen in der "AZ" heute, am Ostersonntag: "Aufruf zum heiligen Krieg. Bin Laden droht Papst". Wieder einmal die regelmäßig in den Medien stattfindende Angstschür-Attacke gegen den Islamismus und gleichzeitig eine Rechtfertigung für diese sog. "Anti-Terror-Kriege" oder "Friedensmissionen", sprich Angriffskriege, Überfälle, Massenmorde und Folterungen der "guten" Terror-Organisation Nato und damit auch den völker- und grundgesetzwidrigen sowie strafrechtlich relevanten Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan. Nichts neues also.

Passend dazu heute im Fernsehen (hr) ein Bericht über die "Helden" der Bundeswehr die mit ihrer Flotte vor der Küste Libanons auch dort für "Recht und Ordnung" im Sinne der USA und Israels sorgen, der "embedded" Reporter des Hessischen Rundfunks durfte dabei sein. Das alles vor dem Einheits-Hintergrund - schwarz-rot-gold, den sich mittlerweile fast alle Sender zugelegt haben (freiwillig) und mit dem das Volk subtil zwangspatriotisiert wird - das Mosaik ergibt ein Bild neu - und doch alt.


23.3.08

Ostermontag, heute vor 13 Monaten bin ich verhaftet worden. Habe wieder Panikattacken und bin manchmal klatschnass geschwitzt, so eine Art Klaustrophobie (Platzangst), in die aber auch riesige Zukunftsangst hineinspielt.

Russin N. hat mich offenbar ins Herz geschlossen, heute brachte sie mir Kaffee und Kuchen. Womit ich das verdient habe, weiß ich nicht. Auch die anderen der "Küchengang" sind sehr nett zu mir. Zum Glück, Streß mit anderen wäre das letzte, was man hier gebrauchen kann, außerdem hasse ich das.


25.3.08

Heute nachmittag ging es hier wieder zu wie in der Klapsmühle, Geplärre, Geschrei wie in einem Zoo, erwachsene Frauen reden wie dreijährige mit Kleinkinderstimmen. Die Junkies mit ihren kaputtgefixten Gehirnen haben einen Freifahrtschein und können sich fast so aufführen, wie sie wollen. Unsereins hätte schon längst Anzeigen kassiert. Heute haben sie mir beim Wäschetausch mit einer gedroht, weil ich sagte, ich hätte Unterwäsche von einer Bekannten in der Waschmaschine mitwaschen lassen. Ich sagte nur, ich hätte schon lange keine Anzeige mehr bekommen, was soll man sonst dazu sagen. Heute am 25.3. liegt eine dünne, aber geschlossene Schneedecke.

Meine Tischtennis- und Federball-Partnerin A. hat heute ihre Diagnose von der Psychaterin bekommen: Schizophrenie. Ich kenne sie ja relativ gut, glaube auch, daß sie eine Essstörung hat, aber schizophren? Naja, sie hat ihre Mutter mit einem Messer angegriffen und dann ihrer Schwiegermutter aufgelauert und sie mit dem Auto angefahren, als die auf ihrem Fahrrad vorbeikam. Verständlicherweise ist A. sehr geschockt. Ich denke, sie hat die Ärzte aber auch total genervt, weil sie angeblich geschwollene Schleimhäute hat und nicht essen kann, andererseits aber auch wieder viel isst. Was wahr, was eingebildet, was pathologisch an all dem ist - ich weiß es nicht.



Anmerkungen der Schattenblick-Redaktion:

Bei diesem Gefängnistagebuch handelt es sich um die persönlichen Aufzeichnungen der Heide L., die deren subjektive Erlebnisse und Einschätzungen widerspiegeln. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte Dritter wurde gleichwohl durch Anonymisierung auf sämtliche Namensnennungen verzichtet. Der Text wurde in Hinsicht auf Orthographie und Interpunktion originalgetreu übertragen.


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Quelle:
Gefängnistagebuch von Heide Luthardt
© 2010 Irmgard Luthardt und Dr. Hans Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Februar 2010