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SERIE/079: Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L. - 03.05.2008 bis 06.05.2008


Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L.

41. Teil - 03.05.2008 bis 06.05.2008


3.5.08

Heute hatten wir wieder Hofgang von 12.00 - 14.30. Es war gut, wieder länger in der Sonne und an der frischen Luft zu sein. Um 16.00 Uhr war Konzert "Voodo auf Tour", eine Rock-Band. Es war nich schlecht, aber die Blues-Gruppe voriges Mal war viel besser. Die assozialen Hardcore-Lesben-Weiber waren wieder einmal in ihrem Element, grölen, schreien und die aufgetakelten Frauen anmachen - vor allem "Al.", die mir schon in Neudeck ein Graus war und Sa., das "Es".[*] Zum Glück konnte ich während des Konzerts mal wieder ausgiebig mit A. reden. Sie hat Angst, daß sie in den Maßregelvollzug kommt, Psychaterin T. hat "anhaltende Wahnvorstellungen" diagnostiziert.

[*] Es hatte sich schon beim Hofgang mit seiner Freundin S. so engumschlungen auf dem Rasen gewälzt, daß ich fast rote Ohren bekam.

Habe in der Zeitung gelesen, daß irgendwer in der Bundesregierung jetzt auch noch eine "Behörde für Nationale Sicherheit" (oder so ähnlich) nach amerikanischem Vorbild (was auch sonst) fordert. Immer wenn ich denke, schlimmer kann's nicht mehr werden, geht es noch weiter.


4.5.08

H.'s 57. Geburtstag. Und ich hocke hier in dieser Massenviehhaltung unter so vielen assozialen, schwanzgesteuerten Weibern, teilweise dumm wie Bohnenstroh. Während ich diese Zeilen schreibe, wieder dröhnende Musik und Gekreische. Den Beamtinnen ist's offenbar egal. Zum Glück sind nicht alle so! Es gibt auch einige wie mich, die sehr darunter leiden, aber hier, wie überall sind die dumm-dreisten im Vorteil.

Heute habe ich C. in der Kirche gesehen, und mich sehr darüber gefreut. Ich habe oft an sie gedacht und hoffe, daß sie - wenn sie schon hier sein muss - in meiner Nähe untergebracht wird, so daß wir wenigstens etwas miteinander reden können - natürlich nicht offiziell.


5.5.08

Habe mich heute beim Wecken grottenschlecht und krank gefühlt, völlig kraft- und hoffnungslos. Als ich meine Tabletten im Büro holen wollte, stand K., eine Holländerin drinnen. Sie hält es mit ihrer Zellengenossin nicht mehr aus. Beamtin M. kannte das Problem. Fürsorglich sagte sie "Wir schauen einmal ob wir irgendwo anders ein Plätzchen für Sie finden. Das klappt schon". K. ging, ich kam. "Ich möchte auch irgendwo anders ein Plätzchen". "Sie bleiben hier!" "Schön, genau das wollte ich hören". "Genau das wollten Sie hören?" "Ja, Adios". Hinterher schlief ich noch einmal fest ein, träumte, der Knast Aichach wäre eine Festung, die auf einer Anhöhe direkt am Meer lag. Wir hatten so eine Art "Freigang" am Strand. Plötzlich gab es eine Art Alarm mit Lautsprecherdurchsage. Alle Gefangenen sollten sofort in die JVA kommen. Schnell strömten die anderen zusammen und gruppierten sich in Reih und Glied wie eine Kompanie bei der Bundeswehr. Dann marschierten sie ab. Ich suchte erst einmal in aller Ruhe meine Sandalen am Strand zusammen und trödelte dann langsam hinterher, die Gruppe war schon längst aus meinen Augen entschwunden. Problemlos kam ich bis in meine Zelle. Im Gefängnis lief alles für dortige Verhältnisse "normal", ein Grund für den Alarm war nicht ersichtlich.

B. ist wieder da, sie hatte 1 Woche Urlaub. In 2 ½ Wochen ist ihre 2/3 Strafe abgelaufen und noch immer hat sie keinen Bescheid darüber, ob sie frei kommt oder nicht. Sie sagte mir, der kann auch 3 Tage vorher kommen. Wie soll jemand da seine Zukunft planen? Das nennt man dann eine gelungene Resozialisierung!


6.5.08

Heute war wieder Kunstgruppe, nachdem ich mich gleich anfangs mit ein paar Leuten wegen einem Platz zum Arbeiten gezofft hatte, lief es eigentlich ganz gut. Mittags war Fr. T. da, sie hat mir erst für Juli einen neuen Termin gegeben, an dem sie mit mir einen Ausgang machen würde. Im Juni nix. Sie sagte, daß sie sich von der JVA instrumentalisiert und benutzt fühlt und sich deshalb bezüglich der Ausgänge etwas rar machen will. Sie meinte, ich wäre ein Kämpfertyp, aber auch daß sie sich gut vorstellen kann, daß sie mir das berühmte "Drittel" nicht geben werden. Nachmittags war ich dann noch bei der sog. "Gesprächsgruppe" beim katholischen Pfarrer. Es war schrecklich, dauerte aber (zum Glück) nur eine halbe Stunde. Keine Spur von Gespräch, der Pfarrer hielt einen Mini-Gottesdienst, das war's. Auch der Teilnehmerkreis war ein Alptraum, quatschende Junkies darunter. Hinterher hörte ich, daß der Pfarrer auch keine Lust mehr auf die Veranstaltung in dieser Form hat. Als wir zurückgingen, trödelte ich ein bisschen herum, im Treppenhaus kam mir eine junge Beamtin entgegen. "Frau Luthardt, übertreiben Sie es nicht. Das ist jetzt die Abmahnung". Schon wieder! M. hat in der Schneiderei neue Vorhänge bekommen und redet schon den ganzen Tag davon. So leicht kann man Leute glücklich machen. Auf dem Gang wieder einmal Gekreische, Gegröhle, dröhnende Musik, Türengeknalle. Diesmal halten die Beamten wieder die Klappe.



Anmerkungen der Schattenblick-Redaktion:

Bei diesem Gefängnistagebuch handelt es sich um die persönlichen Aufzeichnungen der Heide L., die deren subjektive Erlebnisse und Einschätzungen widerspiegeln. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte Dritter wurde gleichwohl durch Anonymisierung auf sämtliche Namensnennungen verzichtet. Der Text wurde in Hinsicht auf Orthographie und Interpunktion originalgetreu übertragen.


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Quelle:
Gefängnistagebuch von Heide Luthardt
© 2010 Irmgard Luthardt und Dr. Hans Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. März 2010