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SERIE/085: Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L. - 12.06.2008 bis 15.06.2008


Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L.

47. Teil - 12.06.2008 bis 15.06.2008


12.6.08

R. erzählte mir heute morgen, sie hätte gestern nachmittag Beamtin L. gefragt, ob die kurz meine Tür aufschließen könne, damit sie mir die Essenspläne für nächste Woche zeigen darf und ich dann "normales" oder "fleischloses" Essen auswählen kann. Antwort: "Nein, das geht auch durch die geschlossene Tür." Ein Witz, fast so schön wie der mit A.'s Sonnenbrille. Sie hatte beantragt, daß ihr eine hereingeschickt werden darf und bekam die schriftliche Rückmeldung: "Genehmigt: 1 Sonnenbrille - Augen müssen sichtbar sein"." Wir haben damals Tränen gelacht.

Arme R. Wenn sie mir abends nochmal warmes Wasser bringt, darf sie mir die Kanne gerade so schnell in die Hand drücken, sofort knallen sie die Tür zu. Wir sollen kein Wort miteinander reden. Keine Kontakte. Isolation. Weiße Folter.


14.6.08

Sonnabend, heut früh hat mich eine ganz nette junge Beamtin eingeschlossen "Sie müssen auch rein", sagt sie fast bedauernd. Mann merkt, daß sie nicht zum "Stammpersonal" der D I gehört. Was sind Beamte für mich? Weder irgendwelche Mutterersatzfiguren, wie für manch Gefangene hier noch Leute, die "es gut mit mir meinen" noch "Vorgesetzte", für mich sind es Frauen, die mich bewachen, wegschließen und von denen manche sich dadurch befriedigen, für lächerliche "Vergehen" Anzeigen zu schreiben. Nicht mehr und nicht weniger.


15.6.08

Kirche, evangelisch. Viel Unruhe, ständiges, nerviges Gequatsche auf den "Rängen". Als wir hinaus gehen, spricht mich eine junge Frau an, ich kenne sie nur vom Sehen. Ob "meine" Freizeitsperre vorbei wäre. "Ich habe schon wieder drei Wochen neue". Sie fragt warum, ich erkläre. Ungläubiges Kopfschütteln, "Die sind verrückt". Sie geht weiter, gleich darauf geht eine andere an mir vorbei "Das ist meine Frau!". "Ich habe kein Interesse," sage ich. Meine Güte, das fehlte mir jetzt gerade noch.

Mittags beim Aufschluß und Hofgang wieder Debatte mit meinen "Artgenossen" sprich Mithäftlingen, die nicht verstehen können, daß ich mich nicht füge. Ich würde mir doch nur selber schaden. Das weiß ich. Wie soll ich es ihnen erklären, das ich niemals Befehle und Anordnungen akzeptieren werde, nur weil sie von jemandem kommen, der eine Uniform trägt? Eine Uniform von einem Staat, den ich nicht mehr respektiere. Wie soll ich ihnen erklären, dass ich wenigstens ab und zu den Blick über die Dächer auf den Wald in der Ferne brauche, dass ich ein Minimum an Bewegungsfreiheit haben muss? Wie erklärt ein Vogel, dass er in Wind, Luft und Weite fliegen muss, auch wenn er es im Käfig doch "gut" hat, wie manche glauben. Wie erklärt ein Tiger, dass er durch den Dschungel streifen muss und nicht in einem vermeintlich für ihn "bequemen" Zoo leben will?

Im Radio wird auf allen Sendern kräftig der organisierte Massenwahn der Fußball EM hochgekocht. Vorgebliche EM-Fußball-Lieder mit Passagen wie "Wir werden siegen" im Text gespielt. Ein bißchen Patriotismus in Schwarz-Rot-Gold. Sieg über Polen. Kroatien hat nicht so geklappt. Morgen soll Österreich plattgemacht werden. Man plärrt wieder "Deutschland, Deutschland", schwenkt die Fahne und lädt sich die deutsche Nationalhymne als Klingelton aufs Handy. Opium fürs Volk. Dank an Irland. Gestern hat es - als einziges Land, das abstimmen durfte, den sog. EU-Reformvertrag mehrheitlich abgelehnt und damit einen europäischen Imperialismus, eine unsoziale, neoliberale Wirtschaftsordnung und eine massive Militarisierung, mit der Angriffskriege legalisiert würden. Regierungen und Medien heulen auf und ?? [*] ob der dummen, undankbaren und europafeindlichen Iren. Aber um ganz Europa abstimmen zu lassen, haben sie nicht den "Arsch in der Hose". Sie wissen, wie es ausgehen würde. Jetzt haben sie die Vision, Irland so lange abstimmen zu lassen, bis (dank gewaltiger Propagandaschlachten) das "richtige" Ergebnis herauskommt. Danke Irland!

[*] Anmerkung der Redaktion Schattenblick: Wort nicht lesbar


Gefängnistagebuch von Heide Luthardt


Anmerkungen der Schattenblick-Redaktion:

Bei diesem Gefängnistagebuch handelt es sich um die persönlichen Aufzeichnungen der Heide L., die deren subjektive Erlebnisse und Einschätzungen widerspiegeln. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte Dritter wurde gleichwohl durch Anonymisierung auf sämtliche Namensnennungen verzichtet. Der Text wurde in Hinsicht auf Orthographie und Interpunktion originalgetreu übertragen.


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Quelle:
Gefängnistagebuch von Heide Luthardt
© 2010 Irmgard Luthardt und Dr. Hans Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. März 2010