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BERICHT/065: Klimacamp trifft Degrowth - Rechenbar, teilbar, frei zum endlichen Verbrauch ... (2) (SB)


Nach Paris ... am Horizont ein El Dorado aus Verschmutzungsrechten

Klimacamp und Degrowth-Sommerschule im Rheinischen Braunkohlerevier 2015


The use of internationally transferred mitigation outcomes to achieve nationally determined contributions under this Agreement shall be voluntary and authorized by participating Parties. [1]

Man muß schon etwas genauer hinschauen, wenn man die vertragliche Grundlage für die Fortsetzung des Handels mit Verschmutzungsrechten [2] im UN-Klimavertrag von Paris entdecken will. Mit "internationally transferred mitigation outcomes" (ITMOs) sind die Ergebnisse grenzüberschreitender Schadensbegrenzungen gemeint, die durch die Inwertsetzung der durch die Emission klimawirksamer Gase oder das Artensterben entstandenen Zerstörungen quantifizierbar werden. Sie sollen zum Erreichen nationaler Klimaschutzziele - im Vertrag ansonsten als "intended nationally determined contributions" äußerst vage gefaßt - beitragen. Daß dieser Kompensationsmechanismus auf freiwilliger Basis zustande kommt und durch die beteiligten Akteure autorisiert wird, ist nicht nur das Ergebnis des Widerstands insbesondere lateinamerikanischer Regierungen gegen den Emissionshandel, sondern unterstützt den marktwirtschaftlichen Charakter eines Instruments von einer Eingriffstiefe, die durchaus mit den neoliberalen Freihandelsabkommen jüngerer Zeit zu vergleichen ist.

An sogenannte "non-Party stakeholders" wie die Zivilgesellschaft, die Privatwirtschaft, Finanzinstitutionen, Städte und andere subnationale Behörden gerichtet, wird zudem die wichtige Rolle der Bereitstellung von Anreizen zur Emissionsreduktion betont, die auch das Instrument des "carbon pricing" umfassen soll. So bleibt es auch in Zukunft bei dem nicht umsonst als "Ablaßhandel" karikierten Vorgehen, Beschränkungen von CO2-Emissionen dadurch legal zu überschreiten, daß andernorts nicht ausgeschöpfte CO2-Budgets aufgekauft, zusätzliche Bäume angepflanzt oder "Klimasenken", also Naturressourcen, die CO2 absorbieren, erhalten werden, ohne daß deren Zerstörung notwendigerweise hätte erfolgen müssen. Allein die Möglichkeit, daß Wälder abgeholzt werden könnten, soll Geld wert sein, was an die Wetten einer Versicherungsindustrie erinnert, deren Geschäft aus der Evaluation von Risiken besteht. Doch so virtuell die materielle Basis dieser Form von Kapitalakkumulation ist, so konkret sind ihre Folgen für Menschen, die in Wert gesetzte Naturressourcen nicht mehr nutzen dürfen oder die den damit ungenügend beschränkten Klimawandel zu erleiden haben.

Was in der Bilanz dieses Handels als No Net Loss ausgewiesen wird, kommt zudem durch den Einsatz eines Kapitals zustande, dessen Akkumulation im ersten Schritt zerstörerischen Bedingungen geschuldet ist. Bezöge man alle bislang externalisierten Kosten eines industriellen Produktionsprozesses ein, erforderte das Ergebnis, keinen Nettoverlust erzielt zu haben, materielle und finanzielle Aufwendungen von geradezu ruinöser Dimension. Die im Rahmen der Produktion etwa eines Autos anfallenden Zerstörungen betreffen nicht nur den unmittelbar im Werk anfallenden Verbrauch von Energie, Material und Arbeitskraft, deren Reproduktion ein eigenes Thema wäre. Angefangen mit der Förderung der diversen mineralischen und fossilen Rohstoffe über die beim Transport zur Fabrik verbrauchte Energie und die in der baulichen Infrastruktur der Industrieanlagen und Distributionsstrukturen enthaltenen Verluste bis zu den allgemein erforderlichen Voraussetzungen des Automobilismus in Form versiegelter Flächen für Straßen und Parkplätze wie auch den bereitgestellten Treibstoff basiert die logistische und ressourcentechnische Peripherie der Fahrzeugproduktion auf einem Verbrauch natürlicher Ressourcen, der in krassem Mißverhältnis zu den Milliarden Menschen steht, die kein Auto besitzen, wie zu den weit weniger zerstörerischen Mobilitätsalternativen, die ungenutzt bleiben.

Daß der Anspruch des liberalen Individualismus, sich beim Verbrauch von Naturressourcen keine Vorschriften machen zu lassen, die Schattenseite der Aggression, seinen Konsum zu Lasten anderer Menschen und Lebewesen durchzusetzen, unerwähnt läßt, hat Methode. "Freie Fahrt für freie Bürger" - der Freiheitsethos des Automobilismus stellt nicht in Rechnung, daß diese Fortbewegungsform den Menschen strafbewehrten Verkehrsregeln unterwirft, daß jedes Jahr Tausende Menschen und Hunderttausende Tiere allein auf deutschen Straßen sterben, daß die asphaltierte Umwelt die Bewegung des Automobils in enge Bahnen lenkt und daß das "Selbstfahrzeug" den Menschen auf ein Funktionsmodul reduziert, das in absehbarer Zeit durch rechnergestützte Algorithmen ersetzt werden wird. Das Erleben dieses Freiheitsgefühls, das zumindest bei jenen 50 Prozent deutscher Fahrzeughalter verbreitet sein dürfte, die beim Neukauf eines Wagens spritfressende tonnenschwere SUVs bevorzugen, setzt den Verbrauch des für viele andere Zwecke der chemischen und Nahrungsmittelproduktion essentiellen Erdöls voraus, vergiftet die atembare Luft und verheizt im Falle von Agrotreibstoffen Lebensmittel, die hungernden Menschen weiterhelfen würden.

Wie die Verteidigung des Privilegs des motorisierten Individualverkehrs durch abstrakte Gleichungsoperationen zeigt, bei denen das diese Rechnung begründende Interesse quasi im Gleichheitszeichen verschwindet, wird auch die Differenz der individuellen CO2-Emissionen etwa zwischen Zentralafrika und den USA nicht zur relevanten Grundlage von Klimaschutzmaßnahmen erhoben. Was in Ländern niedriger Produktivität nicht verbraucht wird, soll in die Maschinerie hochproduktiver Industriestaaten zum Wohle eines Ertrags eingespeist werden, der im Endeffekt dafür sorgt, daß oben oben und unten unten bleibt. Alles andere bedeutete die Aufhebung herrschender Verteilungsverhältnisse, also eines revolutionären Wandels im Zeichen der Eigentumsfrage. Hier hat die Doktrin des Antikommunismus dafür gesorgt, daß diese Frage als Verbrechen an der Freiheit kapitalistischer Selbstverwirklichung gebrandmarkt wird.

Es geht mithin um die Wahrung der Vorteile, die aus der industriellen Entwicklung der westlichen Metropolengesellschaften und des in der historischen Bilanzierung längst verbrauchten "Budgets" an CO2-Äquivalenten erwachsen sind. Das dabei etablierte, fast als Einbahnstraße zwischen dem globalen Norden und Süden verlaufende Produktivitätsgefälle bildet die Grundlage für den Überschuß an Kapital, mit dem den Menschen in "unterentwickelten" Ländern das Potential an Naturzerstörung abgekauft werden kann, daß sie noch nicht in Anspruch genommen haben. Auch wenn diese Länder nun für das Ergreifen von Klimaschutzmaßnahmen durch die großen Industriestaaten finanziell alimentiert werden sollen, so gleicht diese im Paris-Abkommen gefaßte Absicht bei weitem nicht den einseitigen Vorsprung im vergangenen wie zukünftigen Verbrauch von Naturressourcen und sogenannter CO2-Budgets aus.

Die im Kyoto-Protokoll als Clean Development Mechanism (CDM) und Joint Implementation (JI) verankerten Kompensationsmechanismen werden nicht kritisch überprüft und absehbar beendet, sondern bilden unter dem Vorsatz der Freiwilligkeit eine der zentralen Grundlagen für ein als grün ausgewiesenes Wachstum, mit dem neue Produktions- und Anlagesphären erschlossen werden sollen. Eine Vielzahl von Akteuren wie die Carbon Pricing Leadership Coalition (CPLC), die Institutional Investors Group on Climate Change (IIGCC), das Global Green Growth Forum (3GF) oder das Investor Network on Climate Risk (INCR), um nur einige Dachorganisationen für Großunternehmen, Pensionsfonds, private und öffentliche Investoren zu nennen, stehen bereit, das in die Krise geratene Wachstumsmodell des Industrie- und Finanzkapitalismus durch die Schaffung von sogenanntem Naturkapital zu stabilisieren.

"Paris Agreement rings in new era of international carbon trading" [3], "Pension funds welcome 'momentous' Paris climate agreement" [4], "Carbon Pricing At Center Stage in Climate Negotiations" [5], "Carbon markets in the Paris Agreement - an early holiday gift" [6] - Schlagzeilen wie diese künden davon, daß die eher diskrete Erwähnung der Bepreisung und Handelbarkeit von CO2-Äquivalenten im UN-Klimavertrag nicht verhindert hat, daß führende Akteure der Weltwirtschaft lukrative Chancen wittern. Paul Poulman, CEO von Unilever, schwärmt davon, daß das Vorhaben, das Wirtschaftswachstum zu dekarbonisieren, "Billionen Dollar und die immense Kreativität und Innovationsfreude des privaten Sektors freisetzen wird, der dieser Herausforderung auf eine Weise gerecht werden wird, die die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels verhindern wird". Peter Damgaard Jensen, CEO des dänischen Pensionsfonds PKA, freut sich darüber, daß das Paris-Abkommen "wichtige Maßstäbe für die Basis und nicht die Begrenzung unserer Ambition gesetzt hat, Schadensminderung, Adaption und Klimafinanzwirtschaft zu betreiben" [7]. Donald MacDonald, Vorsitzender des 13 Billionen Dollar schweren Dachverbandes IIGCC und Treuhänder des mit Einlagen von 40 Milliarden Pfund eher kleinen britische Pensionsfonds BTPS, geht davon aus, daß die institutionellen Anleger ihre Portfolios sehr schnell von fossilen zu grünen Technologien umschichten werden. Während des Klimagipfels in Paris wird er mit der Einschätzung zitiert, allein bei einer Veranstaltung von Investoren sei "Kapital von 24.000.000.000.000 Dollar vertreten" [8].

Die Unverbindlichkeit, die Klimaaktivistinnen und -aktivisten am Paris-Abkommen kritisieren, wird von den Vertretern der Finanzwirtschaft besonders gelobt. Diese "Flexibilität" ist Folge dessen, daß die staatlichen Rahmenbedingungen und öffentlichen Entscheidungsgrundlagen in erster Linie marktwirtschaftlich ausgerichtet sind. Was dem Klimaschutz dienen soll, muß profitabel sein und das Akkumulationsmodell der wirtschaftlich erfolgreichen Staaten begünstigen. Maßnahmen, die die Quellen der Emission klimawirksamer Gase, also insbesondere die industrielle Produktion und deren fossilistische Voraussetzungen, versiegen lassen, hinken der Möglichkeit, sich freizukaufen, hinterher. Das Motto der Klimagerechtigkeitsbewegung "System Change, Not Climate Change" könnte mithin nicht relevanter sein. Das bedeutete aber auch, daß bei der Bewertung der verschiedenen Instrumente zur Begrenzung des Klimawandels sehr genau hingeschaut werden muß.

(wird fortgesetzt)


Fußnoten:

[1] http://unfccc.int/resource/docs/2015/cop21/eng/l09r01.pdf

[2] RAUB/1086: Emissionsrechtehandel, Biodiversitätsgutschriften ... ungedeckter Wechsel auf das Leben (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/raub1086.html

[3] http://carbon-pulse.com/13339/

[4] http://www.ipe.com/news/esg/pension-funds-welcome-momentous-paris-climate-agreement/10011178.article

[5] http://www.carbonpricingleadership.org/news

[6] http://blogs.worldbank.org/climatechange/carbon-markets-paris-agreement-early-holiday-gift

[7] COP-21: Reactions to the Paris climate agreement
http://carbon-pulse.com/13323/

[8] http://www.taz.de/Gruener-Kapitalismus-nach-der-COP21/!5257074/


Klimacamp und Degrowth-Sommerschule 2015 im Schattenblick
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