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BERICHT/115: Großschlachtung - Werkverträge und Profite ... (1) (SB)



Vor dem Hintergrund fehlender Beschäftigungsalternativen unterwerfen sich Wanderarbeiter den vorschriftswidrig ungünstigeren Arbeits- und Lohnbedingungen. Wenn die disziplinierende Macht des Marktes nicht ausreicht, wenden ausbeuterische Arbeitgeber bewusst auch kriminelle Mittel an, um Wanderarbeiter gefügig zu machen: So werden Arbeiter vorsätzlich falsch informiert, mit Lohnabzügen oder Entlassung bedroht und im Extremfall mit Androhung oder sogar Anwendung von Gewalt eingeschüchtert. Die fehlende Rechtssicherheit und Konfliktfähigkeit der Wanderarbeiter stellt eine erhebliche Verwundbarkeit dar, die von unseriösen Arbeitgebern skrupellos ausgenutzt wird.
Norbert Cyrus - Wanderarbeit - zur Entwicklung einer mobilen Solidarität [1]

Die vier Grundfreiheiten des europäischen Binnenmarktes, der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital, sind zentrale Strukturmerkmale der neoliberalen Konstitution der Europäischen Union. Die dadurch allen EU-BürgerInnen gewährte Arbeitnehmerfreizügigkeit stellt eine erhebliche Flexibilitätsreserve für die Kapitalverwertung in Industrie, Landwirtschaft und Servicesektor dar. Das steile Gefälle im Wohlstandsniveau der einzelnen EU-Mitgliedstaaten ist durch Einkommensunterschiede bedingt, die im Extrem beim Faktor 10 liegen, wenn etwa der Durchschnittslohn in Bulgarien nur ein Zehntel des Verdienstes in Luxemburg beträgt. Weil die Menschen aus armen Regionen notgedrungen dorthin gehen, wo sie mehr oder überhaupt etwas verdienen, sind aus Rumänien, das heute über knapp 20 Millionen Einwohner verfügt, 3,5 Millionen Menschen für längere Zeit als ArbeitsmigrantInnen vor allem ins europäische Ausland gezogen. Wie im Falle Griechenlands, dessen Nationalökonomie ebenfalls unter der armutsbedingten Abwanderung arbeitsfähiger Menschen leidet, befinden sich zahlreiche gut ausgebildete Fachkräfte unter den modernen WanderarbeiterInnen der EU, so daß die hochproduktiven EU-Staaten nicht nur von deren Arbeitsleistung, sondern auch den Bildungsinstitutionen der abgehängten Peripherie profitieren.

Diese Entwicklung ist gewollt, wie der starke politische Widerstand gegen die Weiterentwicklung der europäischen Integration zur Sozialunion belegt. Große ökonomische Unterschiede in einem administrativ nach gemeinsamen Standards der Kapitalverwertung durchregulierten Wirtschaftsraum bieten die Grundlage für Profitmargen, die bei einem weitgehend angeglichenen Lohnniveau und entsprechender sozialer Absicherung nicht zu erreichen wären. Vor dem Hintergrund eines privatwirtschaftlich organisierten Europas, in dem eine kleine Minderheit über die große Masse an Grundbesitz, Geldvermögen und Produktionsmittel verfügt, während die große Mehrheit nichts anderes als ihre Arbeitskraft besitzt, treten die vier Grundfreiheiten nur für die EigentümerInnenklasse als Privilegien in Erscheinung. Der große Rest muß sich nach der stets zu knappen Decke strecken und mit Mobilität wettmachen, was ihm an ökonomischer Sicherheit am eigenen Wohnort fehlt. Was im betriebswirtschaftlichen Kalkül des neoliberalen Kapitalismus positiv zu Buche schlägt, wirkt sich für die soziale Situation der zu Migration gezwungenen Lohnabhängigen meist negativ durch Verlust der vertrauten Umgebung und des eigenen Sprachraums wie des Abschieds von Familie und FreundInnen aus.

Um sich als ökonomischer Akteur von Gewicht am Weltmarkt behaupten zu können, ist die Beschäftigungspolitik der EU ganz darauf ausgerichtet, eine positive Lohnentwicklung und die Verfügbarkeit von Lohnarbeit so zu begrenzen, daß das einzig wirksame Mittel der Lohnabhängigenklasse, der Streik, von der Konkurrenz der ArbeiterInnen um die knappe Ressource Arbeit unterlaufen wird. Nur so kann den Menschen der Imperativ der Flexibilisierung aufoktroyiert werden, der nicht nur ihre Arbeitszeit bestimmt, sondern ihre persönliche Lebensführung unter die Kuratel der Unternehmensinteressen stellt. ArbeiterInnen fast nach Belieben entlassen zu können, ihnen lediglich befristete Arbeitsverträge zuzugestehen oder sie gänzlich auf informelle Weise zu beschäftigen, die Arbeitszeit und -intensität zu erhöhen und sie mit dem Absturz ins ökonomische Elend zu bedrohen sind die Mittel der im neoliberalen Technokratenjargon "aktivierende Arbeitsmarktpolitik" genannten Grausamkeiten, mit denen die abhängig Beschäftigten gefügig gemacht und eingeschüchtert werden.

Geschwächt wird die Kampfkraft der Klasse des weiteren durch unternehmerische Strategien des Outsourcing einzelner Produktions- und Dienstleistungsbereiche in eigenständig wirtschaftende Profit Center, durch eine die innerbetriebliche Konkurrenz anheizende Praxis der Teamarbeit und Projektvergabe, durch die Aushebelung von Flächentarifverträgen und durch Leih- und Werkvertragsarbeit. All das trägt zur Entsolidarisierung der Lohnabhängigen bei, die einer unternehmerischen Logik unterworfen werden, laut der sie als angebliche Arbeitskraftunternehmer in eigener Sache unterwegs sind, und deshalb kaum realisieren können, daß sie im Verhältnis von Kapital und Arbeit als Ware behandelt werden und ihr "eigenverantwortlicher" Freiraum tatsächlich minimal ist.

Insbesondere das EU-rechtlich mit den vier Grundfreiheiten legitimierte Konstrukt des EU-weit abzuschließenden Werkvertrages hat dazu beigetragen, daß vertraglich relativ gut abgesicherte Stammbelegschaften in bestimmten Branchen immer weiter schrumpfen. Im Unterschied zu der im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) geregelten Leiharbeit, die bereits ein großes Einfallstor für Lohndumping und Klassenspaltung darstellt, treten die häufig schlechter entlohnten und sozial weniger gut abgesicherten WerkvertragsarbeiterInnen in keine offizielle Arbeitsbeziehung zu den Unternehmen, bei denen sie im Rahmen eines Werkvertrages tätig sind. Wenn ein Unternehmen einen Werkvertrag mit dem Anbieter eines bestimmten Werkes abschließt, dann ist dieser vollständig für die Erbringung dieser Leistung und damit auch für die dazu von ihm eingestellten ArbeiterInnen zuständig. Die Werkvertragsfirma ist für alles verantwortlich, was Organisation und Ausführung der Arbeit betrifft, deren erfolgreiche Bewältigung der Auftraggeber lediglich in Empfang nimmt, wobei er die dafür anfallenden Kosten als Sachkosten und nicht als Arbeitskosten verbucht, was konkrete Folgen etwa für die Befreiung von der EEG-Umlage [2] haben kann.

Im Falle der Fleischindustrie, wo verschiedenen Angaben zufolge bis zu 75 Prozent der Arbeiten von Werkvertragskräften ausgeführt werden, heißt das etwa, daß den jeweiligen Werkvertragsfirmen bestimmte Aufgaben im Gesamtprozeß zugewiesen werden, die ansonsten von Festangestellten in einem integrierten Gesamtablauf zu vollziehen wären. Was als Ausnahme zur Bewältigung von Produktionsspitzen oder Sonderaufgaben gedacht ist, kann so zur dauerhaften Kostensenkung und Abschieben der Verantwortung für die Arbeitskräfte an die Werkvertragsfirma genutzt werden. Wie diese mit den bei ihnen angestellten ArbeiterInnen umgehen, ob sie ihren Lohn pünktlich und vollständig erhalten, ob sie sozialversichert sind und Anspruch auf Überstundenzuschläge oder Urlaub haben, ist nicht mehr Sache des Auftragsgebers, sondern der Werkvertragsfirma.

Da der gewerkschaftliche Organisationsgrad bei der Werkvertragsarbeit nahe Null liegt und osteuropäische WanderarbeiterInnen durch Sprachbarrieren isoliert sind, bleiben die sozialen und arbeitstechnischen Bedingungen der Werkvertragsarbeit häufig intransparent. Seit Jahren gibt es in der Presse Berichte über haltlose Zustände nicht nur, aber vor allem in der Fleischindustrie und Landwirtschaft, wo besonders viele ArbeitsmigrantInnen aus Osteuropa unter schikanösen Umständen und für vergleichsweise geringen Lohn tätig sind. "Die Schlachtordnung" von Anna Kunze [3] ist eine 2014 veröffentlichte Sozialreportage, die daran erinnert wie wichtig journalistische Beiträge sind, die erhellende Einblicke in die dunklen Seiten der kapitalistischen Arbeitsgesellschaft ermöglichen. Gleiches gilt für die 2013 ausgestrahlte ARD-Reportage "Deutschlands neue Slums - Das Geschäft mit den Armutseinwanderern", in der die Monitor-Redakteurin Isabel Schayani und der Autor Esat Mogul über eine Parallelgesellschaft in der Bundesrepublik berichten, von der kaum jemand etwas weiß und viele auch nichts wissen wollen, so erbärmlich sind die Lebensbedingungen dort.

Für die Umsetzung der naheliegenden, von Gewerkschaften erhobenen Forderung, die hinter Werkverträgen versteckte Ausbeutung dadurch zu begrenzen, daß die davon betroffenen ArbeitsmigrantInnen in vertragsrechtlich abgesicherte Arbeitsverhältnisse übernommen werden, existiert aus den gleichen Gründen, aus denen der Sonderfall des Werkvertrages zum Regelfall eines Unterbietungswettbewerbs [4] zugunsten der auftraggebenden Unternehmen wurde, kaum politischer Wille. Das zu Lasten der ArbeiterInnen in Werkvertragsunternehmen ausgetragene Lohndumping steigert den Profit großer Unternehmen, die in der Bundesrepublik über weit mehr politischen Einfluß verfügen als jene GewerkschafterInnen, die sich aus Gründen prinzipieller Solidarität für die Rechte der WanderarbeiterInnen aus Polen, Rumänien oder Bulgarien stark machen. Unterminiert wird diese Solidarität zudem aus den gleichen Gründen, aus denen in die sogenannte Sozialpartnerschaft von Arbeit und Kapital eingebundene Lohnabhängige die fremdenfeindliche Ratio nationaler Standortkonkurrenz mitvollziehen, anstatt sich in internationalistischen Bündnissen und transnationalen Arbeitskämpfen zu organisieren.

Der spezifischen Abgrenzungsprobleme zwischen Werkvertrags- und Leiharbeit eingedenk handelt es sich in beiden Fällen um Flexibilitätsressourcen der Arbeitsgesellschaft, die als Vorteil der Lohnabhängigen auszuweisen insbesondere bei niedrigqualifizierten Arbeiten im besten Falle der Logik des kleineren Übels geschuldet ist, irgendeinen Job zu haben, anstatt vollständig arbeitslos zu sein. Für die meist aus dem EU-europäischen Teil Osteuropas stammenden WanderarbeiterInnen kommt erschwerend hinzu, daß sie aus sprachlichen Gründen nur wenig Möglichkeiten haben, die ihnen auch in diesem prekären Arbeitsverhältnis prinzipiell zustehenden Rechte in der Bundesrepublik einzufordern. Es ist dem freiwilligen Engagement sozial verantwortungsbewußter Menschen zu verdanken, daß sich an den Standorten großer Fleischkonzerne einige Gruppen und Initiativen gebildet haben, die sich um die Lebens- und Arbeitsverhältnisse der nichtdeutschen ArbeitsmigrantInnen sorgen und ihnen mit Rat und Tat zur Seite stehen. Am 9. Januar waren bei der Gewerkschaftslinken Hamburg einige AktivistInnen zu Gast, die von den Problemen und Herausforderungen berichteten, die das Eintreten für eine ganze Gruppe unterprivilegierter und sozial randständiger Menschen in ihren Städten und Gemeinden mit sich bringt.

(wird fortgesetzt)


Fußnoten:

[1] Werner Rügemer (Hrsg.): Arbeitsunrecht. Anklagen und Alternativen, Münster 2009, S. 209

[2] Die Ausbreitung der Werkverträge in der Fleischindustrie
https://gegenblende.dgb.de/++co++3c68ba7c-baaf-11e5-9de9-52540066f352

[3] https://www.zeit.de/2014/51/schlachthof-niedersachsen-fleischwirtschaft-ausbeutung-arbeiter/komplettansicht

[4] Der Unterbietungswettbewerb im Werkvertragsrecht
https://gegenblende.dgb.de/++co++25f006c8-fbd8-11e5-906f-52540066f352

24. Januar 2019


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